Sherlock: Sherlock Holmes

Ein eigenartiger Geselle ist dieser moderne Sherlock Holmes aus der BBC-Serie Sherlock. Kriminologisches Genie mit scheinbar perfektem Gedächtnis und grenzenlosem Selbstbewusstsein und doch überfordert und hilflos angesichts alltäglichster zwischenmenschlicher Interaktionen.
Wie können perfekte Logik und soziale Inkompetenz so nahe beieinander liegen?
Die Antwort: Sherlock Holmes hat offenbar ein Asperger-Syndrom. Diese angeborene Entwicklungsstörung aus dem Autismusspektrum wird nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F84.5) durch die folgenden Kriterien beschrieben:
  • Qualitative Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktionen
  • Eingeschränktes, stereotypes Repertoire von Interessen und Aktivitäten
  • Keine allgemeine Entwicklungsverzögerung
  • Kein Entwicklungsrückstand der Sprache
Die qualitativen Abweichungen in der sozialen Interaktion zeigen sich in Sherlocks mangelnder Empathiefähigkeit, seinem Desinteresse an den Meinungen und Gefühlen anderer und seiner Verweigerung gegenüber sozialen Normen.
Sein Repertoire an Interessen und Aktivitäten ist einseitig und beschränkt auf Fakten- und Fachwissen, aus dem wissenschaftlichen, vor allem kriminologischen Bereich.
Im Vergleich zu anderen Störungen aus dem Autismus-Spektrum zeichnet sich das Asperger-Syndrom dadurch aus, dass intellektuelle und sprachliche Fähigkeiten nicht beeinträchtigt sind. In einigen Fällen, zu denen Sherlock zweifelsfrei gehört, kann sogar eine intellektuelle und sprachliche Hochbegabung vorliegen.
Sherlocks Selbstdiagnose als hochfunktionaler Soziopath ist hingegen Unsinn. Soziopath ist eine veraltete und stark stigmatisierende Bezeichnung für Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung (wie z. B. Der Joker aus The Dark Knight oder Frank Underwood aus House of Cards), die bei Sherlock nicht vorliegt.
Typisch für das Asperger-Syndrom ist, neben den genannten Diagnosekriterien, eine Tendenz zu mechanistischem Denken und eine Vorliebe für rationale, wissenschaftliche und faktenbasierte Erklärungen.
Das an strenger Logik, mathematischer Wahrscheinlichkeit und naturwissenschaftlicher Expertise ausgerichtete Schlussfolgern macht Sherlock als Ermittler so herausragend treffsicher. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen (inklusive der Londoner Polizeibeamten) unterlaufen ihm kaum logische Fehlschlüsse, sogenannte Denkfehler.
Ein häufiger, typisch menschlicher Denkfehler ist z. B. der Halo-Effekt. Dabei schließt man unbewusst von einer markanten Eigenschaft einer Person auf weitere Eigenschaften, ohne diese tatsächlich zu kennen. So würden z. B. die meisten Menschen einer unsympathischen oder aggressiven Person eher ein Verbrechen zutrauen, als einer freundlichen oder schüchternen Person. Sherlock jedoch lässt sich davon nicht blenden und entlarvt so auch Täter, die von der Polizei gar nicht erst in Betracht gezogen werden.
Einen weiteren häufigen Denkfehler beschreibt das sogenannte Minimalgruppen-Paradigma. Es beschreibt die Tendenz, Personen die einem selbst als ähnlich oder der eigenen sozialen Gruppe zugehörig empfunden werden, positiver wahrzunehmen, zu bevorzugen und ihre Leistungen besser zu bewerten. Sherlock, der sich auch davon selten beeinflussen lässt, bleibt dagegen offen und aufmerksam auch für Verdächtiges in seinem engsten sozialen Umfeld – oft zu dessen Leidwesen und Verärgerung.
So ist Sherlocks wichtigste Waffe im Kampf gegen das Verbrechen sein logisch-schlussfolgernder Verstand und (im Gegensatz zu vielen anderen fiktionalen Super-Ermittlern) gerade nicht seine bloße Intuition.
Allerdings stößt auch Sherlocks Methodik hin und wieder an ihre Grenzen, nämlich immer dann, wenn sich Menschen – und auch das kommt vor – entgegen jeder Logik und statistischen Wahrscheinlichkeit verhalten. Dann ist selbst der hochintelligente Sherlock auf die Hilfe seines Freundes Dr. Watson angewiesen, der mit seinem intuitiven Verständnis für das Irrationale und Unvorhersehbare im Menschen, immer wieder den entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Ermittlungen leistet. 


Mehr zu Sherlock, Watson, Moriarty und Co. im Charakterneurosen-Podcast

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14 Kommentare

  1. Also mein Tipp wäre etwas in der Richtung Borderline oder Psychopathie, aber das sind nur vage Vermutungen.

  2. Symptome der schizotypen Störung können sein:
    1. Inadäquater oder eingeschränkter Affekt (der Patient erscheint kalt und unnahbar).
    2. Seltsame(s), exzentrische(s) und eigentümliche(s) Verhalten und Erscheinung.
    3. Wenig soziale Bezüge und Tendenz zu sozialem Rückzug.
    4. Seltsame Glaubensinhalte und magisches Denken, die das Verhalten beeinflussen und im Widerspruch zu (sub)kulturellen Normen stehen.
    5. Misstrauen oder paranoide Ideen.
    6. Zwanghaftes Grübeln ohne inneren Widerstand, oft mit dysmorphophoben, sexuellen oder aggressiven Inhalten.
    7. Ungewöhnliche Wahrnehmungsinhalte mit Körpergefühlsstörungen oder anderen Illusionen, mit Depersonalisations- oder Derealisationserleben.
    8. Denken und Sprechen vage, umständlich, metaphorisch, gekünstelt, stereotyp oder anders seltsam, ohne ausgeprägte Zerfahrenheit.
    9. Gelegentlich vorübergehende quasi-psychotische Episoden mit intensiven Illusionen, akustischen und anderen Halluzinationen und wahnähnlichen Ideen; diese Episoden treten im Allgemeinen ohne äußere Veranlassung auf.

    Aus meiner Sicht könnte man allenfalls 1,2 und 8 als gegeben ansehen. Es fehlen jedoch die anderen, insbesondere zeigen sich keinerlei Hinweise auf verzerrte, wahnhafte oder sonst irgendwie schizophreniform anmutende Denk- und Wahrnehmungsinhalte. Außerdem scheint Sherlock genau zu wissen, wie andere denken und fühlen und inwieweit sein eigenes Denken und Fühlen davon teilweise abweicht.
    All das spricht für mich deutlich mehr für ein Asperger-Syndrom, welches auch die Symptome 1,2, und 8 hinreichend erklären würde.

  3. Hallo,

    ich hätte einen Korrekturvorschlag:) Diesen Satz kann man so nicht stehen lassen: "…wenn sich Menschen…entgegen…statistischen Wahrscheinlichkeiten verhalten."

    Auch wenn ich einem Ereigniss (z.B. "Ich werde am Samstag im Lotto nicht gewinnen")
    eine hohe Wahrscheinlichkeit ungleich 1 zuordne, bin ich nicht überrascht, wenn das Gegenereignis ( "Ich werde am Sa. gewinnen") eintritt. Das Ergebnis ("Ich habe gewonnen") steht nicht im Widerspruch zu der Aussage "Die W'keit, dass ich nicht gewinne, ist hoch".

    Wir könnten z.B. sagen "…wenn sich Menschen…entgegen…der Vorhersage anders verhalten."

    Leider ist das genauso problematisch, wenn man darunter eine 'statistische' Vorhersage meint. Aber eine andere würde ein Sherlock Holmes auch nicht machen.

  4. Nein, weil ich es von vornherein für möglich halte zu gewinnen. Ich wäre nur überrascht, wenn ich diese Möglichkeit gänzlich ausgeschlossen hätte, also nur, wenn ich dem Ereignis "Ich werde gewinnen" die Wahrscheinlichkeit 0 zugeordnet hätte.

  5. Kurzer Beitrag:
    Wenn ich einem Ereignis eine ganz kleine W'keit gebe, muss ich meine Annahmen nicht revidieren, wenn es trotzdem eintritt.
    Wenn ich allerdings etwas für unmöglich halte, und es tritt doch ein, dann waren meine Annahmen mit Sicherheit falsch.

  6. Konkretes Beispiel:

    Holmes macht mehr oder weniger Aussagen der Art: " Eine Person, die in der Vergangenheit ein solches Verhalten gezeigt hat, wird sich in der Zukunft so und so verhalten. Dies halte ich mit einer Wahrscheinlichkeit von 80% für möglich".

    Jetzt stellt sich heraus, dass sich die spezifische Person anders Verhalten hat. Obige Aussage wird dadurch nicht notwendig ungültig. Es hat sich nur herausgestellt, dass die Person eben zu den 20% gehört.

  7. Ich muss dem widersprechen, ich habe mich in meiner Bachelorarbeit mit dem Thema Autismus-Spektrum-Störung auseinandergesetzt und Sherlock Holmes hat kein Asperger-Syndrom, aus folgenden Gründen:
    – er hat keine Schwierigkeiten sich in andere Menschen hineinzuversetzen, es ist ihm nur meist egal was andere von ihm denken, er irritiert und frustiert sein Umfeld oft sogar absichtlich
    – auf Watsons Hochzeit bezeichnet er sich sich selbst als unhöfliches Arschloch, das heißt er weiß sehr genau wie er auf andere wirkt und wie er sich verhält, eben weil er es absichtlich tut und nicht aus Mangel an sozialen Fähigkeiten, d.h. er kann Mimik und Gestik verstehen, hat auch als Kind keine Schwierigkeiten damit gehabt und er versteht auch soziale Normen, er verstößt aber absichtlich gegen diese
    – ein weiteres Beispiel dafür ist sein Besuch im Buckingham Palace mit nichts weiter als einem Laken bekleidet, was er lustig findet, er verweigert es Hosen anzuziehen, obwohl er genau weiß wie unpassend er sich verhält
    – Die qualitativen Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktionen von Menschen mit Asperger-Syndrom beruhen aber auf einer geringer vorhandenen oder komplett fehlenden Theory of Mind (der Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen), die darauf beruht, dass es ihnen schwerer fällt Mimik, Gestik und Tonlage von anderen Menschen zu interpretieren. Deshalb haben sie auch Schwierigkeiten mit Sarkasmus. Menschen mit Asperger-Syndrom sind nicht automatisch desinteressiert an Meinungen und Gefühlen anderer Menschen und erst recht verweigern sie nicht absichtlich soziale Normen. Der Knackpunkt ist, dass sie sich nicht an soziale Normen halten, die sie nicht kennen und nicht verstehen.
    – Sherlock Holmes findet die Gefühle, die andere zeigen meist völlig übertrieben und stellt diese bei sich selbst stärker in den Hintergrund. Er bevorzugt Logik vor Gefühlen. Es ist aber nicht so, dass er die Gefühle von anderen Menschen nicht wahrnimmt.
    – Es gibt sogar Studien dazu, dass vielen Menschen mit Asperger-Syndrom (gerade die mit hohen kognitiven Fähigkeiten) depressiv werden, weil sie merken, dass ihre Fähigkeiten im sozialen interagieren so viel schlechter sind als die anderer Menschen, Menschen mit Asperger-Syndrom wollen aber andere Menschen verstehen und Beziehungen zu ihnen aufbauen. (Zumal der Begriff Asperger-Syndrom sowieso langsam veraltet ist, weil man mittlerweile verstärkt von hochfunktioneller Autismus-Spektrum-Störung spricht. Spätestens wenn das ICD-11 in 2-3 Jahren allgemein gültig ist, ist der Begriff nicht mehr wissenschaftlich aktuell.)
    – Ich würde eher behaupten, dass Sherlock Holmes ein paar Merkmale der dissozialen Persönlichkeitsstörung aufweist, aber man ihm nicht klar eine bestimmte psychische Erkrankung diagnostizieren kann. Nicht jeder Mensch, der ein bisschen anders als andere ist, ist gleich psychisch krank.

  8. Ich würde die Tatsache, dass er sich als " Soziopath " bezeichnet gar nicht weit von der Hand weisen. Bei Persönlichkeitsstörungen ist es im Allgemeinen so, dass die Beziehungen zu anderen gestört oder im Alltag eingeschränkt sind. Alle Kriterien dazu können in der ICD 10 nachgelesen werden. Da mindestens 3 Kriterien erfüllt sein müssen, um eine PS zu diagnostizieren und so gut wie alle im Fall des Sherlock Holmes erfüllt sind, würde ich Asperger nicht ausschließen, aber genauso wahrscheinlich zutreffend, wäre die Diagnose Schizoide Persönlichkeit, welche zu den Persönlichkeitsstörungen zählt und somit zum veralteten Begriff " Soziopathie " gehört

  9. Schizoide Persönlichkeit ist wohl eher anzunehmen. Nachzulesen in der ICD 10 unter dem Kapizel F6 Persönlichkeitsstörungen. Und somit fällt er sehr wohl in die Rubrik " Soziopath"