Club der roten Bänder: Emma

Es gibt viele Gründe, sich über die VOX-Serie Club der roten Bänder zu freuen. Eine europäische Serie (deutsche Adaptation eines katalanischen Originals), die so differenziert, unterhaltsam, tragikomisch und plausibel ist, wie die erfolgreichen US-Produktionen. Eine Serie, der es gelingt, jugendliche Protagonisten glaubwürdig darzustellen. Und – darauf habe ich lange gewartet – eine Serie, die mit viel Sorgfalt und Einfühlsamkeit das Thema Essstörungen behandelt.

Emma, das einzige Mädchen im Club der roten Bänder, wird im Krankenhaus wegen einer Anorexia nervosa behandelt, der Krankheit, die auch als Magersucht bekannt ist.

Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F50.0) ist die Anorexia nervosa durch die folgenden Symptome definiert:
  • Das Körpergewicht liegt unter einem Body-Mass-Index (BMI) von 17,5
  • Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch Vermeidung von hochkalorischer Nahrung 
  • Körperschemastörung
  • Endokrine Störung: Bei Mädchen/Frauen Amenorrhoe (Ausbleiben der Periode), bei Jungen/Männern Libido- und Potenzstörungen
Emma ist deutlich untergewichtig und muss daher regelmäßig gewogen werden, um ein lebensbedrohliches Untergewicht auszuschließen. Darüber hinaus dient das regelmäßige Wiegen der behandelnden Ärztin als Kontrolle des Therapieverlaufs, da Emma, was im Rahmen ihrer Erkrankung häufig vorkommt, über ihr Essverhalten lügt und heimlich Essen verschwinden lässt. Dass Emma vor dem Wiegen von ihrer Ärztin abgetastet wird, dient dazu, auszuschließen, dass sie durch das Verstecken kleiner, schwerer Gegenstände in ihrer Wäsche die Waage manipuliert.

Den Jungs im Club der roten Bänder fällt es, wie vielen Außenstehenden, zunächst schwer, nachzuvollziehen, warum Emma nicht „einfach was isst“. Sie bekommt jedoch in der Serie immer wieder Gelegenheit den Jungs und uns Zuschauern über ihre Gefühle zu berichten. Wir lernen, dass ihre Eigenwahrnehmung bezüglich ihres Körpers im Verlauf der Krankheit stark verzerrt worden ist. Trotz ihres objektiven Untergewichts, empfindet sie ihren Körper weiterhin als „zu fett“. Dieses Symptom bezeichnet man als Körperschemastörung.

Die Angst davor, „noch fetter“ zu werden, hat bei Emma zu einem Ekel, einer regelrechten Angst, vor Essen geführt. Wenn sie zum Essen gezwungen wird, fühlt sie sich schon nach kleinsten Mengen voll, dick und unwohl und erbricht ihr Essen wieder, um dieses Gefühl loszuwerden.

Wer nicht an einer Essstörung (oder anderen schweren Krankheit) leidet, kann sich vermutlich kaum vorstellen, wie es sich anfühlen muss, ständig unter Druck zu sein, gegen das eigenen Gefühl, die eigene Körperwahrnehmung, zu handeln. Darum betrügt Emma beim Essen und Wiegen, versteckt ihren dünnen Körper unter weiter Kleidung und reagiert gereizt und aggressiv-abwehrend auf Kommentare oder Vorschriften bezüglich ihres Essverhaltens.

Die Ursachen einer Anorexia nervosa sind vielfältig und lassen sich selten eindeutig festlegen. Häufig spielen jedoch, neben genetischen, sozialen und anderen persönlichen Faktoren, Selbstwertprobleme eine Rolle.

Teufelskreise halten die Erkrankung aufrecht: Aus Selbstunsicherheit entsteht der Wunsch, etwas dünner und damit vermeintlich attraktiver zu sein. Ersten anerkennenden Rückmeldungen folgen eher Abwertung und Kritik und schließlich Druck und Zwang, wieder mehr zu essen. Diese können Angst sowie Scham- und Schuldgefühle hervorrufen, was das Selbstwertgefühl weiter schwächt…

Günstig für Emma ist, dass Leo und Jonas sich in sie verlieben und ihr damit die intensivste positive Rückmeldung über ihre Persönlichkeit geben, die vorstellbar ist. Damit setzen sie, ohne es zu wissen, vielleicht genau am entscheidenden Auslöser von Emmas Erkrankung an und geben, so scheint es zumindest in der ersten Staffel, den Anstoß zur Veränderung.


Über Emma und ihre Freunde vom Club der roten Bänder sprechen wir auch in der fünften Folge des Charakterneurosen-Podcasts.

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