13 Reasons Why/Tote Mädchen lügen nicht – Staffel 4

Während ich mir die ersten acht Folgen der vierten Staffel von 13 Reasons Why anschaute, fragte ich mich, ob es im Writers Room diesen Moment gab, wo eine der Autor*innen einen Witz machen wollte und sagte: „Hey, ich hab eine Idee: Wie wär’s, wenn wir einfach mal billigsten Teenage-Slasher-Trash machen und am Ende kommt raus, dass der Protagonist die ganze Zeit eine dissoziative Persönlichkeitsstörung hatte?“ Dann fanden alle, dass das eine super originelle Idee sei und sie hat sich nicht mehr getraut zu sagen, dass es nur ein schlechter Witz war. Zumindest kann ich mir anders dieses Ergebnis nicht erklären. 
Daher möchte ich auch auf die dissoziative Persönlichkeitsstörung, die hier in der denkbar unoriginellsten Weise erzählt wird, nicht weiter eingehen. Mehr über dieses Störungsbild – das, anders als uns in 13 Reasons Why weisgemacht werden soll, in der Regel Folge schwerster früher Traumatisierungen ist, worauf es bei Clay sonst keinerlei Hinweise gibt – kann in den Posts über Mr. Robot und Fight Club gelesen und im Podcast zu Mr. Robot gehört werden. Wer noch tiefer in die Materie eintauchen möchte, dem sei der Podcast Vielzimmerwohnung empfohlen.
Zurück zu 13 Reasons Why. Immerhin, die letzten beiden Folgen knüpfen an das Konzept der Staffeln zwei und drei an: Harte Wahrheiten über persönliche Probleme und die gesellschaftlichen Missstände, die sie mitverursachen, und dazu eine gute Portion Empowerment. Das wird am Ende bisweilen etwas kitschig, aber allemal erträglicher, als die ersten 80%. 
Positiv hervorzuheben ist jedoch über die gesamte Staffel die Darstellung von Clays Psychotherapie. Nach den dilletantischen Versuchen eines Mr. Porter, wird hier endlich ein Therapeut gezeigt, der seinen Job beherrscht. Dr. Ellman respektiert, dass Clay lange Zeit nicht bereit ist, sich ihm wirklich zu öffnen, erinnert ihn aber dennoch beständig daran, dass er bereit sein wird zuzuhören, wenn Clay bereit ist, zu reden. In Folge 4 erklärt er Clay, dass dessen Ängste nicht davon weggehen werden, dass er sie zu unterdrücken versucht, sondern dass es die Konfrontation mit den Ängsten ist, die diese letztlich weniger bedrohlich und bestimmend werden lässt. Immer wieder lässt sich Dr. Ellman darauf ein, Clay die Kontrolle über den Prozess zu überlassen, z.B. wenn dieser die Plätze tauschen will, oder ihm persönliche Fragen stellt. Er zeigt Clay damit, dass er nicht irgendein pauschales Therapieprogramm mit ihn durchziehen will, sondern glaubhaft danach strebt, Clay dabei zu unterstützen, seinen ganz eigenen Weg im Umgang mit sei en Problemen und zu einem Leben, in dem er seinen Überzeugungen und seinen eigenen Bedürfnissen gerecht werden kann, zu finden. 
Gegen Ende spürt Dr. Ellman, dass Clay sich ihm endlich anvertrauen möchte, aber weiterhin von seinen Misstrauen gegenüber erwachsenen Autoritätspersonen daran gehindert wird. Er nutzt die Technik der therapeutischen Selbstoffenbarung, indem er Clay von seinen eigenen Problemen als Jugendlicher erzählt, um sich selbst für Clay als echte Person greifbarer zu machen und ihm zu vermitteln, dass Clays Gefühle nicht so abnorm sind, wie dieser denkt. Dadurch wird Clay von seiner Scham und dem Gefühl, so anders zu sein, dass ihn ohnehin niemand verstehen können wird, ein wenig entlastet – genau das nötige Bisschen, um endlich den letzten Schritt zu gehen und seine ganze Geschichte mit Dr. Ellman zu teilen. 
Wichtig bei der therapeutischen Selbstoffenbarung ist, dass sie immer nach dem Grundsatz der therapeutischen Nützlichkeit erfolgen muss, d.h. so viel, oder so wenig, wie die jeweilige Patient*in in diesem Moment benötigt, um einerseits die Therapeut*in authentisch und als fühlendes menschliches Wesen wahrnehmen zu können, und andererseits keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass es immer und ausschließlich die Gefühle und Bedürfnisse der Patient*in und niemals die der Therapeut*in sind, denen die Aufmerksamkeit in der Therapie zusteht. Dr. Ellman erzählt Clay von sich selbst, damit dieser sich sicher und verstanden fühlt und dadurch besser über sich selbst sprechen kann, und nicht um mit einem Schwank aus seiner wilden Jugend zu prahlen. Das ist gute therapeutische Arbeit und es sind gute Szenen, in einer mehr als durchwachsenen letzten Staffel einer aufsehenerregenden und innovativen Serie. Goodbye, 13 Reasons Why!

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