Luke: „Was werde ich dort finden?“ – Yoda: „Nur, was Du mit Dir nimmst…“
Luke: „Was werde ich dort finden?“ – Yoda: „Nur, was Du mit Dir nimmst…“
Auf ihrem Blog 28years.de schreibt Psychologin Alina über (erwachsene) Kinder suchtkranker Eltern. Für Charakterneurosen nimmt sie die Gallaghers aus der Kultserie Shameless unter die Lupe.
Die US-amerikanische Fernsehserie Shameless zeigt auf eindringliche Weise die zerstörerischen Auswirkungen von Frank Gallaghers Alkoholabhängigkeit. Diese betrifft nicht nur ihn selbst, sondern prägt auch das Leben seiner gesamten Familie.
Jedes Geschwisterkind entwickelt spezifische Bewältigungsstrategien. Einige davon spiegeln typische Verhaltensweisen wider, die oftmals in der Literatur und Forschung über Kinder aus alkoholkranken Familien beschrieben werden.
Fiona Gallagher ist die älteste Tochter des Gallagher-Clans. Als ihre Mutter Monica die Familie verlässt, als Fiona 16 Jahre alt ist, sieht sie sich gezwungen, die Hauptverantwortung für ihr Zuhause zu übernehmen.
Sie kümmert sich um ihre fünf jüngeren Geschwister und versucht, den durch Franks Alkoholabhängigkeit verursachten Zusammenbruch der Familie abzufedern. Fiona wird zur Ersatzmutter, Versorgerin und zentralen Stütze ihrer Geschwister – eine Rolle, die sie mit bemerkenswerter Entschlossenheit ausfüllt, auch wenn dies bedeutet, ihre eigenen Bedürfnisse und Träume zu opfern.
Ihre Geschwister, und sogar Frank selbst, wenden sich immer wieder an Fiona, wenn sie in Schwierigkeiten stecken. Um die finanziellen Lücken zu schließen, die Franks Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit hinterlassen, nimmt Fiona die verschiedensten, oft erniedrigenden Jobs an. Sie übernimmt nicht nur die Haushaltsführung, sondern wird auch zur moralischen und emotionalen Stütze ihrer Familie.
Fionas Rolle innerhalb der Gallagher-Familie entspricht genau dem, was in der Literatur über suchtbelastete Familien als die Rolle des „Familienhelden“ oder der „Verantwortungsbewussten“ beschrieben wird (Wegscheider, 1988; Black, 1988). Der Familienheld übernimmt in dysfunktionalen Familien häufig die Aufgaben und Pflichten, die eigentlich den Eltern zukommen, und versucht, das Leben der Familie so stabil wie möglich zu halten.
Die Tatsache, dass diese Rolle oft dem ältesten Kind zufällt, liegt vor allem daran, dass es aufgrund seines Alters am ehesten der Herausforderung gewachsen ist. Häufig sind sie zudem weiblich, da Frauen und Mädchen durch ihre Sozialisierung stärker auf Care-Arbeit und Verantwortungsübernahme geprägt werden.
Fiona ist also ein Musterbeispiel für das Helden-Kind: Sie hält den Haushalt zusammen und übernimmt die emotionale und praktische Versorgung der Familie. In ihrer Rolle versucht sie zudem, sowohl Frank als auch Monica zu ersetzen, indem sie Ordnung und Stabilität in das ansonsten chaotische Familienleben bringt.
Ein zentraler Aspekt dieser Rolle ist die sogenannte Parentifizierung, eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Fiona wird quasi zur Mutter ihrer jüngeren Geschwister, während Frank für sein Verhalten nicht einmal annähernd Verantwortung übernimmt. Diese Belastung zwingt Fiona dazu, schnell erwachsen zu werden, und lässt ihr wenig Raum für eigene Träume oder ihre persönliche Entwicklung.
Wie von Sharon Wegscheider und Claudia Black beschrieben, ist die Rolle des Familienhelden oft mit einem hohen Maß an Lob und Anerkennung verbunden, was diese Kinder motiviert, noch mehr zu leisten. Fiona erfährt diese Bestätigung indirekt vor allem durch ihre Geschwister. Doch diese Anerkennung hat ihren Preis.
Die Belastung, die mit dieser Rolle einhergeht, führt häufig zu einer Überforderung, der Kinder emotional nicht gewachsen sind. Dies zeigt sich auch bei Fiona: Obwohl sie nach außen hin stark und entschlossen wirkt, zehren die ständigen Anforderungen und der Druck, alles zusammenzuhalten, an ihr und entladen sich manchmal schlagartig, zum Beispiel in einem Substanzmissbrauch.
Dennoch bleibt Fiona ein Symbol für Resilienz und Überlebenswillen. Trotz ihrer schwierigen Ausgangslage gelingt es ihr in späteren Staffeln, ihre alte Rolle abzulegen und ihre eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Phillip Ronan „Lip“ Gallagher ist das zweitälteste Kind der Gallagher Familie. In der Serie sticht Lip vor allem durch seine Intelligenz hervor. Mit einem GPA von 4.6 ist er das begabteste Familienmitglied.
Lips außergewöhnliche Intelligenz könnte ihm den Weg aus seinem sozialen Milieu ebnen, doch statt sein Potenzial voll auszuschöpfen, sabotiert er sich selbst immer wieder – sei es durch promiskuitive Beziehungen oder seinen exzessiven Alkoholkonsum.
So wird Lip bereits zu Beginn der Serie oft beim Rauchen von Zigaretten und Marihuana gezeigt. Doch während seiner Zeit am College wird deutlich, dass er auch ein immer problematischeres Verhältnis zum Alkohol entwickelt.
Zu den ersten sichtbaren Folgen gehört der Verlust seiner Stelle in der Studentenvereinigung. Auch seinen Job als Teaching Assistant verliert er aufgrund seines Alkoholkonsums. Langfristig führt Lips destruktives Verhalten schließlich zum Collegeverweis.
Lips Trinkverhalten erfüllt mehrere Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit gemäß der ICD-10 (F10.2):
Lips Probleme spiegeln ein typisches Muster wider, das häufig bei Kindern suchtkranker Eltern zu beobachten ist. Kinder aus alkoholbelasteten Familien stellen eine Hochrisikogruppe für Suchterkrankungen dar.
Studien zeigen, dass etwa ein Drittel dieser Kinder im Erwachsenenalter selbst stofflich abhängig wird, und sie haben ein 4-6-fach erhöhtes Risiko für Suchtprobleme im Vergleich zu Kindern aus nicht-suchtkranken Haushalten.
Die Ursachen hierfür sind sowohl genetisch als auch psychosozial:
Glücklicherweise entscheidet Lip trotz der Parallelen zu seinem Vater, dass er nicht denselben Weg einschlagen will. Nachdem er die verheerenden Folgen seines Alkoholmissbrauchs erlebt hat, sucht er sich schließlich Hilfe. Schließlich gelingt es ihm, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken – wenngleich er nie wieder ein College besuchen wird.
Carl Francis Hashish Gallagher ist das zweitjüngste Kind der Gallagher-Familie. Carl wird zu Serienbeginn als das „Problemkind“ der Familie eingeführt. Mit einer Vorliebe für Chaos, Gewalt und Gefahr zeigt er in den frühen Staffeln zahlreiche antisoziale Tendenzen: Er verstümmelt Spielzeug, quält Tiere und hat Schwierigkeiten, Regeln zu akzeptieren.
Im Verlauf der Serie taucht Carl immer tiefer in kriminelle Machenschaften ein. Er wird zum Drogenhändler, arbeitet für lokale Gangs und wird schließlich zu einer Jugendstrafe verurteilt.
Nach seiner Entlassung aus dem Jugendgefängnis nimmt sein antisoziales Verhalten weiter zu: Er verkauft Waffen und adoptiert einen Gangster-Lebensstil, der selbst seiner Familie zunehmend missfällt.
Wie im Beitrag Shameless: Frank & Carl festgestellt, weist Carls Verhalten auf eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD-10: F90.1) hin, die ADHS-Symptome (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität) mit normverletzendem Verhalten kombiniert. Zu den typischen Merkmalen gehören Wutausbrüche, unüberlegtes Handeln und das Brechen von Regeln – alles Verhaltensweisen, die Carl regelmäßig zeigt.
Studien zeigen, dass Kinder von alkoholkranken Eltern deutlich häufiger eine ADHS haben als Kinder aus unbelasteten Familien (Maher et al., 2023). Zusätzlich zeigen die Kinder eher sogenannte externalisierende Verhaltensweisen (Hussong et al, 2014; Eiden et al., 2007) – das bedeutet, sie reagieren auf inneren Stress und Unsicherheit mit aggressivem, impulsivem oder sozial störendem Verhalten.
Dieses Verhalten ist eine Art emotionaler Schutzmechanismus, der die Kinder kurzfristig durch den Abbau innerer Anspannung entlastet, aber langfristig zu gravierenden Problemen führen kann. So kanalisiert Carl seine Unsicherheiten und die Vernachlässigung durch seine Eltern in destruktive Handlungen, was ihn früh auf einen kriminellen Pfad führt.
Wie Fiona entspricht auch Carl damit einer Rolle, die in der Literatur über Kinder aus suchtbelasteten Familien beschrieben wird: die des „Schwarzen Schafs“ oder „Sündenbocks“ (Wegscheider, 1988; Black, 1988).
Während Fiona auf die familiäre Dysfunktion reagiert, indem sie die Verantwortung für Stabilität und Ordnung übernimmt, verinnerlicht Carl das Chaos der Familie und lebt es durch auffälliges, destruktives Verhalten aus. Durch sein provokatives Verhalten wird Carl zum sichtbaren Symptom der inneren Konflikte innerhalb der Familie.
Antisoziale Verhaltensweisen, wie sie Carl in seiner Jugend zeigt, halten bei Kindern alkoholkranker Eltern oftmals bis ins Erwachsenenalter an (Harter, 2000). Doch Carl gelingt es, den gefährlichen Pfad zu durchbrechen. Nach einem traumatischen Vorfall, der ihm die Konsequenzen seines kriminellen Lebensstils vor Augen führt, beginnt er, seine Zukunft neu zu überdenken.
Er entscheidet sich, eine Militärschule zu besuchen, wo er Disziplin und Struktur kennenlernt – etwas, das ihm in seiner Kindheit gefehlt hat. Diese Erfahrungen formen ihn zu einem gereiften jungen Mann, der schließlich den Weg zum Polizisten einschlägt – und dort die Fähigkeiten, die ihn einst in Schwierigkeiten brachten, nutzt, um Gutes zu bewirken.
Ingesamt zeigen die Geschichten der Gallagher-Kinder eindrucksvoll, wie sich die Schatten elterlicher Suchterkrankungen auf die nachfolgenden Generationen auswirken können. Doch trotz der Herausforderungen, die Fiona, Lip und Carl bewältigen müssen, sind sie auch ein Beispiel für Resilienz, Einfallsreichtum und die Kraft, sich selbst neu zu erfinden.
Jeder von ihnen geht seinen eigenen, oft steinigen Weg, doch sie alle beweisen, dass Veränderung möglich ist – sei es durch das Streben nach einem besseren Leben, den Mut, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, oder durch die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Shameless zeigt uns, dass selbst in den widrigsten Umständen die Chance auf Wachstum und eine bessere Zukunft besteht.
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Quellen für Fiona:
Caritas Augsburg. (o. D.). Rollenmuster. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://www.caritas-augsburg.de/hilfeberatung/suchtberatungbehandlungundkrankenhilfe/kiasu-projekt/rollenmuster/rollenmuster
BKK Bundesverband. (2007, Juli). Kindern von Suchtkranken Halt geben – durch Beratung und Begleitung: Leitfaden für Multiplikatoren. NACOA Deutschland. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://nacoa.de/sites/default/files/images/stories/pdfs/freundeskreise%20multiplikatorenleitfaden.pdf
Fandom. (o. D.). Fiona Gallagher (US) – Season 6. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://shameless.fandom.com/wiki/Fiona_Gallagher_(US)#Season_6
Quellen für Lip:
NACOA Deutschland. (o. D.). Fakten und Zahlen. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://nacoa.de/infos/fakten/zahlen
Fandom. (o. D.). Lip Gallagher (US). Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://shameless.fandom.com/wiki/Lip_Gallagher_(US)
Quellen für Carl:
Eiden, R. D., Edwards, E. P., & Leonard, K. E. (2007). A conceptual model for the development of externalizing behavior problems among kindergarten children of alcoholic families: role of parenting and children’s self-regulation. Developmental psychology, 43(5), 1187–1201. https://doi.org/10.1037/0012-1649.43.5.1187
Maher, B.S., Bitsko, R.H., Claussen, A.H. et al. Systematic Review and Meta-analysis of the Relationship Between Exposure to Parental Substance Use and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in Children. Prev Sci 25 (Suppl 2), 291–315 (2024). https://doi.org/10.1007/s11121-023-01605-2
Als ich in den späten 1990er Jahren zum ersten Mal den Filmklassiker Casablanca sah, war ich begeistert von Humphrey Bogarts Hauptrolle, dem hartgesottenen, zynischen, mit allen Wassern gewaschenen Rick Blaine. Er war der Inbegriff von cool. Zu diesem Habitus, den Bogart in einer Vielzahl weiterer Werke des film noir der 1940er Jahre verkörperte, gehörte neben dem schief sitzenden Fedora auch die ebenfalls lässig schief im Mundwinkel hängende Zigarette. Die Jüngeren mögen es nicht glauben, aber im 20. Jahrhundert galt Rauchen als sehr cool. Heute erfreulicherweise nicht mehr. Rauchten 2001 noch 28% der Jugendlichen in Deutschland, waren es zwanzig Jahre später nur noch 6% (Quelle). Nikotinabhängigkeit (ICD-10: F17.2) ist eine Suchterkrankung mit erheblichem Gesundheitsrisiko.
Während Nikotin als Volksdroge also auf dem Rückgang ist, haben wir es heute bekanntermaßen mit einer anderen Epidemie zu tun: Stress. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich gestresst und chronischer Stress ist mit Depressivität, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und einer Vielzahl weiterer Gesundheitsfolgen assoziiert (Quelle).
Oft sind systemische und gesellschaftliche Faktoren für das stressvolle Leben verantwortlich. Fast könnte man sagen, Stress ist das Rauchen des 21. Jahrhunderts: Alle wissen, dass er ungesund ist und dennoch haftet ihm eine irrationale Aura von Coolness an: Wer hustlet, ein Erfolgs-Mindset hat, High-Performer ist oder Follower maximiert, scheint irgendwas richtig zu machen.
Was den persönlichen Umgang mit stressigen Umständen und psychischem Stresserleben angeht sind die wirksamen Gegenmaßnahmen (Abgrenzung, Achtsamkeit, Entspannung) ebenso bekannt, wie damals beim Rauchen (Aufhören) – und genau wie damals bleiben sie häufig hehre Vorsätze.
Nun kommt der Funfact: Im Hinblick auf Stressmanagement – v.a. im Arbeitskontext – könnten die heutigen Gestressten etwas von den Rauchenden der ausgehenden Bonner Republik lernen: Diese hatten nämlich nicht nur irgendwann Lungenkrebs, sondern davor ein oft echt gutes Pausenverhalten. Nachdem das Rauchen in den meisten öffentlichen und professionellen Räumen schon verboten war, ließen sie (dem Suchtdruck, aber auch einfach der Routine nachgebend) in schöner Regelmäßigkeit alle ein bis zwei Stunden konsequent alles stehen und liegen, verließen für fünf bis zehn Minuten den Arbeitsplatz, gingen ein paar Schritte bis vor die Tür, um dort bei Wind, Wetter und Sonnenschein an der frischen Luft zu stehen. Alleine den Gedanken freien Lauf lassend (sie hatten noch kein Smartphone) oder entspannt plaudernd mit einem Grüppchen Kolleg*innen, das ein wohliges Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund der regelmäßig gemeinsam verbrachten Kurzpausen empfand.
Fast alles perfekt um Stresserleben zu reduzieren: Wir können uns für 60-90 Minuten optimal konzentrieren, danach wird es immer mühsamer. Eine kurze Pause hilft. Den Arbeitsplatz zu verlassen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich auch mental Abstand zur Arbeit zu nehmen. Körperliche Bewegung regt den Kreislauf an und reduziert Erschöpfung sowie schädliche Fehlhaltungen. Positiver sozialer Kontakt und Zugehörigkeit fördern positive Emotionen. Und tiefes Atmen aktiviert das parasympathische Nervensystem, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist (Quelle).
Nur die Zigarette selbst vermiest die schöne Gesundheitsbilanz. Was wäre, wenn wir alle uns bei der Arbeit, zu Hause und in der Schule verhielten wie Rauchende, aber ohne zu Rauchen? Alle ein bis zwei Stunden ein paar Minuten vor die Tür, ohne Smartphone, und tief die frische Luft ein- und ausatmen. Alleine oder zu Mehreren. Insbesondere dann, wenn wir spüren, dass Stress und Anspannung hoch sind. Statt „Ich muss jetzt erstmal eine rauchen!“, würden wir ebenso bestimmt und selbstgewiss sagen: „Ich muss jetzt erstmal atmen gehen!“
Die Rauchenden haben sich überraschend schnell an die weitgehenden Rauchverbote Anfang des Jahrhunderts gewöhnt. Vielleicht würde sich auch unsere beschleunigte Leistungsgesellschaft schneller an die Atempause gewöhnen, als wir denken.
Wer das Raucherpausen-Feeling noch steigern und gleichzeitig den gesunden Effekt des tiefen, langsamen Atmens optimieren möchte, kann sich sogar einen Atemstrohalm (breathing straw) mitnehmen (vom haushaltsüblichen Papp- oder Glasstrohalm bis zu eigens gefertigten schicken Metallmodellen zum Umhängen ist alles geeignet) und durch diesen ausatmen: Verlangsamt die Ausatmung und steigert dadurch den Entspannungseffekt. Und schon sieht man fast so cool aus wie Bogart!
In der Animeserie Demon Slayer wenden die Protagonist*innen verschiedene Atemtechniken an, um ihre Konzentration und Kampfkraft zu steigern.
Auch in der Psychotherapie kann die Atmung als hilfreicher „Anker“ eingesetzt werden. Viele dysfunkionale Erlebens- und Verhaltensweisen, welche im Leben zu Problemen und Leidensdruck führen, bestehen vor allem deshalb dort, weil sie unbewusst, quasi automatisch als Reaktion auf bestimmte Auslöser (gerne auch „Trigger“ genannt) erfolgen. Wären wir uns immer unserer Handlungsimpulse, deren Konsequenzen und Alternativen voll bewusst, würde allein das die Wahrscheinlichkeit des Problemverhaltens deutlich reduzieren. Die Psychologin Tara Brach fasst eine einfache und doch sehr wirksame Technik zur Selbstregulation in das griffige Akronym R-A-I-N :
Ich habe R-A-I-N für meine deutschsprachigen Psychotherapien in R-A-U-M (für Veränderung) übersetzt:
Diese vier kurzen Schritte können schon sehr helfen, in angespannten, ängstigenden, überfordernden Situationen nicht in einer zu destruktiven Weise z.B. mit Aggression, Vorwürfen, Rückzug, Vermeidung, Scham oder Schuldgefühlen zu reagieren, sondern etwas bewusster und dadurch vielleicht abgewogener, moderater, konstruktiver zu handeln.
Hierbei kann eben die Atmung ein hilfreicher Anker sein: Wenn ich realisiere, dass ich gerade sehr angespannt bin, kann ich, kann ich mir bereits mit nur einem tiefen Atemzug Die Zeit verschaffen, um zu untersuchen, was gerade los ist und daraus Schlüsse für ein angemessenes, konstruktives Handeln zu ziehen. Dieses Handeln kann auch erstmal nach Innen gerichtet sein, z.B. durch ein paar weitere tiefe, bewusste Atemzüge für noch mehr Beruhigung und Fokus zu sorgen.
Tara Brach entlehnt ihre R-A-I-N-Technik der Achtsamkeitslehre des in Asien entstandenen Zen- Buddhismus. Insofern ist es nicht überraschend, dass in einem Anime wie Demon Slayer auch die Dämonenjäger*innen auf Techniken der achtsamen Atmung zurückgreifen um sich in Situationen größter Bedrohung und Anspannung zu fokussieren. Besonders eine Variante des Water Breathing, die sich Dead Calm nennt, weißt hier große Ähnlichkeit zu real eingesetzten Atemtechniken auf: Bei dieser Technik wird der Körper ganz still gehalten, volle Konzentration angestrebt und dadurch maximaler Fokus auf den zu bewältigenden Angriff ermöglicht. Das Wasser als Symbol passt hier sehr gut, denn so sanft und flexibel es ist, bezieht es gerade dadurch seine Widerstandskraft und Beharrlichkeit („steter Tropfen höhlt den Stein“).
In den buddhistisch orientierten Achtsamkeitsmethoden wird das Wasser daher ebenfalls gerne als Metapher verwendet: Ein aktuell sehr intensives Gefühl kann wie eine Welle sein, die uns mitreißen, runterziehen und uns vermeintlich die Luft zum Atmen nehmen kann. Letztlich jedoch geht jede, auch noch so mächtige Welle wieder ins Meer über, welches still und ewig die Gezeiten überdauert. Ebenso können wir lernen, heftige Gefühle auszuhalten, ohne uns vollständig mitreißen zu lassen, in dem Wissen, dass sie wieder abflauen werden und wir dann wieder zur Gelassenheit zurückfinden können („be the ocean, not the wave“). Und was hilft, um von einer starken Welle nicht zu weit mitgerissen zu werden? – Genau: Ein Anker.
Wenn also das nächste Mal alles zu viel wird, wir uns angegriffen, überfordert und verzweifelt fühlen und vielleicht in der Gefahr sind, ernsthaft destruktiv zu reagieren: Atmen!
Oder, für die Anime-Fans: Total Concentration! Water Breathing!
I’m tired of being what you want me to be
Feeling so faithless, lost under the surface
Don’t know what you’re expecting of me
Put under the pressure of walking in your shoes
Every step that I take is another mistake to you
Als inneren Kritiker oder inneren Verfolger bezeichnet man in der Psychotherapie negative Gedanken über sich selbst. Die lautlose innere Stimme, die uns beständig kritisiert, verurteilt, entwertet und beschämt:
Can’t you see that you’re smothering me
Holding too tightly, afraid to lose control?
Es ist wichtig zu verstehen, dass innere Kritiker auf den Glaubenssätzen der Personen beruhen, die unsere frühe Persönlichkeitsentwicklung prägen: Eltern, Großeltern, Geschwister, Gesellschaft: „Das und das gehört sich nicht“, „Sei nicht so und so“ etc. Diese Glaubenssätze sind Ausformulierungen von deren persönlichen Ängsten, Unsicherheiten, Scham- und Schuldgefühlen. Und diese beruhen wiederum auf denen der vorherigen Generation:
But I know
You were just like me with someone disappointed in you
Wir dürfen diese negativen Glaubenssätze unseren Altvorderen zurückgeben. Differenzierte Selbstkritik ist wichtig, aber der Maßstab dafür dürfen unsere eigenen Überzeugungen und Werte sein:
All I want to do
Is be more like me
And be less like you
Im Feed des Charakterneurosen Podcasts (zur Podcast-Website) gibt es jetzt den Audiomitschnitts meines Vortrags „Märchen, Mythen, Netflix – Moderne Märchen in der Psychotherapie“ bei dem es u.a. auch um Sex Education, Cobra Kai und Gabby’s Dollhouse geht.
Wer den Podcast noch nicht abonniert hat, kann das unter diesem rss-feed tun.
Viel Spaß beim Hören!
Seine fiktionalen Charaktere zeigen Trauer und Scham, Unsicherheit und Verletzlichkeit – er selbst niemals. Die Sublimierung im schriftstellerischen Werk scheint der Abwehrmechanismus gegenüber den frühen unbewussten Ängsten Ernest Hemingways. Im Juli wäre er 120 Jahre geworden.
Mein Text zum 120. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers Ernest Hemingway im Deutschen Ärzteblatt PP ist hier frei verfügbar.