Ivar der Knochenlose – was für ein schrecklicher Name! Nicht nur weil der arme Junge wie ein Ikea-Regal heißt, nein, viel schlimmer ist sein Beiname der auf die ständige gnadenlose Diskriminierung verweist, die ihm wegen seiner körperlichen Behinderung im Kreise der auf Stärke und Nahkampffähigkeiten basierenden Wikingergesellschaft zuteil wird.
Dass diese, seit frühester Kindheit ständig erlebte Entwertung und Kränkung im Selbstwertgefühl eines Menschen tiefste Schäden anrichten kann, ist keine Überraschung. Selbst sein eigener Vater Ragnar, enttäuscht davon, dass der Sohn nicht dem erwünschten Kriegerideal entspricht, möchte ihn zunächst zum Sterben im Wald aussetzen und straft ihn später, die gesamte Kindheit über, mit Ignoranz und Verachtung. Diese sind mittelbar über Ivar auch an dessen Mutter, Ragnars Frau Aslaug, gerichtet. Oberflächlich betrachtet, weil sie ihm nicht den erwünschten Stammhalter „geschenkt“ hat. Eigentlich geht es jedoch um wesentlich tiefer liegende Eheprobleme, welche die beiden, die sich längst in gekränkter Sprachlosigkeit voneinander zurückgezogen haben, jedoch nie bearbeiten werden. Da ist es zunächst einmal nicht verwunderlich, dass Aslaug, als liebende Mutter, ihrem gefährdeten und benachteiligten Sohn besonders viel Liebe, Fürsorge und Schutz zuteil werden lassen will.
Was die ohnehin schon sehr schwierige und eine gesunde Selbstwertentwicklung erschwerende Situation jedoch noch zusätzlich verkompliziert, ist, dass sie dabei über ihr eigentliches Ziel völlig hinausschießt. Statt liebevolle Unterstützung, die Ivar einerseits ein Gefühl von Sicherheit Geborgenheit und Wertigkeit vermittelt, andererseits aber auch seine persönlichen Ressourcen, Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten ernstnimmt und fördernd zur Entfaltung bringt, behandelt Arslaug ihn bis in die Jugend wie das zerbrechliche, völlig schutzlose und abhängige Baby, als welches sie ihn am schwierigen Anfang seines Lebens wahrgenommen hat. Auch von ihr erhält Ivar somit kein realistisches Feedback über seine persönlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, aber auch Fehler oder Schwächen, welche als Ausgangspunkt für eine psychische und emotionale Weiterentwicklung dienen könnten. Aslaugs Infantilisierung und Idealisierung Ivars, zeigt sich unter anderen daran, dass sie ihn übermäßig lange stillt und erreicht ihren tragischen Höhepunkt, als sie ihn selbst dann noch völlig unkritisch in Schutz nimmt, als er einem anderen Kind mit der Streitaxt den Schädel spaltet („es ist nicht deine Schuld, es ist nicht deine Schuld!“).
Natürlich sollten Eltern ihre Kinder immer lieben, selbst dann wenn diese schreckliche Fehler machen, aber eine adäquate Rückmeldung über das Verhalten (z. B.: „Ivar, mein Sohn, du weißt ich liebe dich und werde immer hinter dir stehen, aber anderen Kindern den Schädel zu spalten ist wirklich überhaupt nicht in Ordnung und ich möchte, dass du das zukünftig unterlässt“), ist wichtig um sich persönlich und sozial gesund weiterentwickeln zu können.
Ivar jedoch lebt in einer überaus verwirrenden Diskrepanz zwischen einerseits totaler Entwertung durch die Gemeinschaft und andererseits völlig überzogener Idealisierung durch seine Mutter. Für seine innere Welt bedeutet dies, dass es nur die absolut überlegenen und die absolut wertlosen Menschen gibt und er als körperlich Benachteiligter ganz besonders davon bedroht ist, in die zweite Kategorie gesteckt zu werden. Somit ist Ivars Selbstwertgefühl ständig von absoluter Zerstörung bedroht und die einzige Rettung davor scheint absolute Überlegenheit zu sein. Eine gesunde Selbstwertregulation (z.B.: „Ich bin im großen und ganzen ganz okay, habe einige besondere Talente, andere Dinge gelingen mir dagegen häufig nicht so gut wie anderen, bisweilen passieren mir schreckliche Fehler, doch ich besitze auch ausreichend positive Charaktereigenschaften und Fähigkeiten um mein Bestes zu geben um daraus zu lernen…“) ist dadurch kaum möglich.
Ivar jedoch lebt in einer überaus verwirrenden Diskrepanz zwischen einerseits totaler Entwertung durch die Gemeinschaft und andererseits völlig überzogener Idealisierung durch seine Mutter. Für seine innere Welt bedeutet dies, dass es nur die absolut überlegenen und die absolut wertlosen Menschen gibt und er als körperlich Benachteiligter ganz besonders davon bedroht ist, in die zweite Kategorie gesteckt zu werden. Somit ist Ivars Selbstwertgefühl ständig von absoluter Zerstörung bedroht und die einzige Rettung davor scheint absolute Überlegenheit zu sein. Eine gesunde Selbstwertregulation (z.B.: „Ich bin im großen und ganzen ganz okay, habe einige besondere Talente, andere Dinge gelingen mir dagegen häufig nicht so gut wie anderen, bisweilen passieren mir schreckliche Fehler, doch ich besitze auch ausreichend positive Charaktereigenschaften und Fähigkeiten um mein Bestes zu geben um daraus zu lernen…“) ist dadurch kaum möglich.
Psychopathologisch können sich schwere Selbstwertstörungen symptomatisch auf verschiedene Weise manifestieren, z.B. als stark von Selbsthass und Minderwertigkeitsgefühlen geprägte Depressionen. Eine weitere Form von Selbstwertstörung ist die heutzutage berühmt-berüchtigte narzisstische Persönlichkeitsstörung.
Ein weit verbreitetes Missverständnis besteht darin, dass sogenannte Narzissten sich mit ihrer Störungen wohlfühlen und es nur die anderen seien die darunter leiden würden. Das ist jedoch eine viel zu oberflächliche Sichtweise. Vielmehr ist es so, dass Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung unter einer ständigen latenten aber totalen Bedrohung ihres Selbstwertgefühls leiden. Wie bei Ivar gibt es nur großartig oder absolut wertlos. Daher sind sie sozusagen darauf angewiesen sich selbst stets der eigenen Grandiosität und Größe zu versichern um sich vor der absoluten Selbstwertzerstörung zu schützen. Das resultiert dann in der Überhöhung der eigenen Eigenschaften und Leistungen und häufig auch in der Entwertung anderer. Beziehungen können dann rein instrumentell sein, d.h. andere dienen dazu erniedrigt zu werden (z.B. Ivars Bruder Hvitserk) oder werden nur solange als Gegenüber akzeptiert, wie sie dem eigenen Selvsteert durch Idealisierung dienlich sind (z.B. Ivars Frau Freydis).
Nach der internationalen Klassifikation psychischer Krankheiten (ICD-10: F60.80) kann eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden, wenn mindestens fünf der folgenden Kriterien vorliegen:
- Gefühl der eigenen Grandiosität und Wichtigkeit
- Phantasien von Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe
- Überzeugung besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder wichtigen Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
- Bedürfnis nach exzessiver Bewunderung
- Anspruchsdenken und Erwartung bevorzugter Behandlung
- Ausbeuterische Haltung in zwischenmenschlichen Beziehungen
- Mangel an Empathie
- Neid auf andere und/oder Überzeugung, von anderen beneidet zu werden
- Arrogante und hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten
Bei Ivar können wir alle genannten Kriterien erkennen und ihm somit eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostizieren. Ob seine Störung so weit geht, dass er sich tatsächlich selbst für einen Gott hält, oder es lediglich genießt, wenn andere dies tun, bleibt offen.
Apropos Götter: Floki, der Vikings-Charakter, nach dem ich am häufigsten gefragt werde, ist bis Staffel 5 gar nicht verrückt, bloß ein bisschen exzentrisch und sehr religiös. Erst später, nach dem Verlust aller Menschen die ihm wirklich etwas bedeutet haben, hat es den Anschein, dass er eine wahnhafte Störung (ICD 10: F22.0) entwickelt. Andererseits kann in der Welt von Vikings auch nicht ausgeschlossen werden, dass er vielleicht einfach eine Inkarnation des mythischen Loki (Wikipedia) ist und die Götter tatsächlich zu ihm sprechen. Wer weiß das schon?