Warum mögen Kinder Paw Patrol?

Laut einer nicht-repräsentativen Umfrage sind die Top 3 Fragen, die Eltern von Kindergartenkindern beschäftigen:

  1. Wie bekommt man das Kind dazu, Gemüse zu essen?
  2. Was bedeutet B. O.?
  3. Warum um alles in der Welt fährt mein Kind auf Paw Patrol ab?

Hier die ultimativen Antworten:

  1. Gar nicht
  2. Bedürfnisorientierung, vgl. Attachment Parenting (Wikipedia)
  3. Da muss ich etwas weiter ausholen:

Wie bei allen Geschichten, die Menschen jeden Alters faszinieren, geht es auch bei der Paw Patrol v.a. um Identifikation. Aus der psychologischen Forschung wissen wir, dass uns solche Geschichten faszinieren, die von Figuren handeln, die eine Brücke zwischen unserem Selbstbild und unserem Idealselbst schlagen. Das Bedeutet, Figuren, die sowohl dem ähneln, wie wir uns selbst sehen, als auch dem, wie wir gerne sein würden. 

Paw Patrol bietet für Kinder eine Vielzahl möglicher Identifikationsfiguren an. Alle Hauptcharaktere sind selbst Kinder, Jungen und (zumindest ein paar wenige) Mädchen, sind groß oder klein, dick oder dünn… Sie weisen jede Menge unterschiedliche Charaktereigenschaften auf, die Kinder sich wünschen, aber gleichzeitig auch solche, die sie bei sich selbst wahrnehmen und mit denen sie nicht so glücklich sind: Chase ist der mutige Anführer, aber auch verletzlich durch seine Katzenhaarallergie. Marshall ist freundlich und hilfsbereit, aber auch tollpatschig. Rocky ist klug und erfinderisch, hat aber phobische Angst vor Wasser, usw. 

Eine besonders attraktive Identifikationsfigur ist der zehnjährige Junge Ryder, das Herrchen der Hundetruppe. Zunächst einmal hat er sechs Hunde, was alleine schon ein Traum vieler Kinder ist. Beziehungen zu Tieren sind eine beliebte Projektionsfläche für innige, exklusive und unverbrüchliche Beziehungen, wie wir sie uns als Menschen wünschen. Und Kinder, die sich in einer von Erwachsenen dominierten, definierten und kontrollierten Welt manchmal unverstanden fühlen, wenden sich mitunter lieber Tieren zu, die nicht werten, nicht tadeln, nicht fordern. (Nicht nur Kinder, im Übrigen). Geschichten von Flipper und Fury, bis zu Free Willy und Ostwind zeugen davon. 

Zudem ist Ryder ein autonomes Kind. Er scheint keine Eltern zu haben, die ihm Vorschriften machen oder seinen Idealismus zurechtstutzen. Was im echten Leben eine Katastrophe wäre, kann für Kinder, die, gerade im Paw Patrol-Alter, noch annähernd jeden Schritt unter der Aufsicht und mit der Erlaubnis von Erwachsenen gehen müssen, eine angenehme Ermächtigungsphantasie sein. Und weil wir auch im späteren Leben noch das Gefühl von Fremdbestimmtheit und Unfreiheit kennen und aus unserer Kindheit erinnern, mögen wir seit jeher Geschichten von Kindern, die autonom und wehrhaft ihren eigenen Weg gehen. Von Huckleberry Finn und Pipi Langstrumpf bis Harry Potter und Kevin allein zu Haus. 

Neben der individuellen Identifikation mit einer einzelnen Figur, bietet Paw Patrol noch eine zusätzliche Identifikationsebene durch die Team-Up-Struktur. Mit Team-Up werden Geschichten bezeichnet, in denen eine Gruppe von Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften Differenzen überwinden und sich zusammentun muss, um Herausforderungen zu bewältigen und Gefahren zu meistern. Solche Geschichten geben uns die Möglichkeit, die Vielseitigkeit und auch die Widersprüchlichkeit unserer Persönlichkeit repräsentiert zu sehen, indem wir uns in der Gesamtheit der Charaktere wiedererkennen. Jedes Kind kennt Mut und Angst, Stärke und Verletzlichkeit, Kompetenz und Überforderung – und alles gleichzeitig. Wir sind als echte Menschen vielschichtiger als es fiktionale Charaktere je sein könnten. Daher lieben wir Team-Up-Geschichten, vom Trojanischen Krieg und den zwölf Aposteln über die glorreichen Sieben und den Herrn der Ringe, bis zu den Avengers und My little Pony. 

Aus Erwachsenensicht problematisch ist der sehr einseitige Blick auf Probleme jeder Art: Technik und Einsatzbereitschaft – letztlich Stärke – sind eigentlich immer die Lösung. Ryder und die Paw Patrol verfügen über so ziemlich jedes technische Spielzeug, das ein phantasiebegabtes Kind sich nur vorstellen kann. Auch das ist ein Kindertraum. Kinder können und dürfen viele Dinge nicht. Sie können nicht Auto fahren, aber ein cooles ferngesteuertes Auto kann ein veritabler Ersatz sein. Kinder sind durchweg auf den Schutz und die Begleitung Erwachsener angewiesen. Aber eine Spielzeugwaffe kann ein Gefühl von Stärke und Wehrhaftigkeit erleben lassen, ein schnelles Fahrzeug ein Gefühl von Autonomie usw.

Dennoch ist dieser technokratische Lösungsansatz bei der Paw Patrol zu einseitig und unkritisch dargestellt. Es gibt nur selten echte Dialoge, stattdessen vor allem Zurufe, Kommandos und markante Slogans. Unterschiedliche Perspektiven oder Prioritäten bekommen kaum Raum, meist gibt es nur eine „richtige“ Herangehensweise. Das ist eine Sicht auf die Welt, die man fast schon militaristisch nennen könnte und die wichtige soziale Fähigkeiten, wie Empathie, Kompromissbereitschaft und Geduld, vernachlässigt. Dazu passt natürlich, dass Paw Patrol letztlich dazu da ist, Merchandise zu verkaufen: Es gibt kein Problem (oder negatives Gefühl), das nicht durch die Anschaffung eines neues Devices (also Spielzeugs) gelöst werden kann. Konsum wird hier durchaus als primäres Mittel zur Bedürfnisbefriedigung propagiert.

Fairerweise muss man sagen, dass das nicht nur auf Paw Patrol zutrifft, sondern auch die meisten anderen Kinderserien zutrifft, die entweder direkt als Werbung (Lego Ninjago, Barbie) entwickelt sind, oder zumindest ein großes Interesse am Verkauf von Merchandise haben (z.B. Disney).

Für Kinder jedoch, können gerade diese eindimensionalen und dadurch eingänglichen Erklärungen und Lösungen ansprechend sein, da sie das fundamentale, urmenschliche Bedürfnis nach Weltverstehen zu befriedigen scheinen. Gerade Kinder im Paw Patrol-Alter haben viele Fragen: Wie funktioniert der Staubsauger, wie die Mikrowelle? Warum können Flugzeuge und Vögel fliegen, Menschen aber nicht? Was passiert mit dem Müll, nachdem er abgeholt wurde? Wie wird Essen zu Kacka? Wie funktionieren Geschlechtsorgane…? Bei der Paw Patrol werden die meisten Probleme durch ausführlich erklärte und für Kinder nachvollziehbare technische Lösungen bewältigt. Das vermittelt Kindern das Gefühl, das die Welt verstehbar, Probleme lösbar sind. Nicht umsonst repräsentieren die Fellfreunde Rollen, die auch im echten Leben der Kinder die Welt am Laufen halten: Polizei, Feuerwehr, Müllabfuhr, Seenotrettung, Bergwacht, usw. 

Geschichten, die uns vermitteln, dass es möglich ist, die Welt zu einem sicheren und guten Ort zu machen, wenn man Ängste und Differenzen überwindet, seine Stärken und Talente einsetzt und mit anderen kooperiert, haben eine wichtige beruhigende, Sicherheit, Zuversicht und Selbstwirksamkeit vermittelnde Funktion. Nicht nur, aber besonders auch, für Kinder. Da es sich hierbei aber nicht um ein rationales Wissen, sondern eine emotionale Erfahrung – die man auch Urvertrauen nennen könnte – handelt, muss diese immer und immer wieder gemacht werden, um wirksam zu blieben.

Was für Erwachsene an Paw Patrol auf Dauer unerträglich monoton und repetitiv sein mag, vom immergleichen Ablauf der meisten Episoden, bis hin zu den gebetsmühlenartig wiederholten Slogans, vermittelt Kindern Verlässlichkeit, Vertrauen und Selbstwirksamkeit. Ebenso wie Kindern vieler früherer Generationen die immergleichen Märchen, mit den immergleichen Erzählstrukturen und Formulierungen („Es war einmal…“, „Und wenn sie nicht gestorben sind…“) immer und immer wieder erzählt werden konnten. 

In dieser Repetition bzw. ihrer konkreten Umsetzung im Falle der Paw Patrol, liegt allerdings auch ein kritisch zu sehendes Element: Paw Patrol ist eine für Kinder des Zielgruppenalters sehr schnelle und aufregende Serie. Die Folgen sind kurz, aber sehr stark emotional aufgeladen: Es geht immer um einen akuten Notfall, der aus dem Nichts entsteht und dann unter hohem Zeitdruck gelöst werden muss. Das Stresslevel der Figuren ist hoch – und damit auch das der zuschauenden Kinder. Nach wenigen Minuten kommt es dann zur erfolgreichen Lösung – und damit zu einer schnellen und intensiven Entspannung und damit Befriedigung – markiert durch den erlösenden Lacher am Ende jeder Episode. Durch das Streaming, geht aber dann gleich wieder die nächste Folge, mit dem nächsten Notfall los… So entsteht ein Kreislauf aus erregender Anspannung und euphorischer Entspannung, der sehr angenehm erlebt wird und es in der Folge schwer macht, sich davon wieder zu lösen. Etwa vergleichbar mit den bekannten und viel diskutierten Mechanismen von social media.

Fazit: Paw Patrol ist sicher keine Qualitätsunterhaltung für Kinder. Andererseits ist eine gewisse Teilhabe an kulturellen und sozialen Phänomenen einer Generation schon auch wichtig und auch wir Erwachsene gönnen uns ja bisweilen einen stumpfen Actionfilm, Trash-TV oder Social Media. Hier wie da sind v.a. die richtige Dosis und der richtige Umgang entscheidend.

Die 5 wichtigsten Regeln sind (diesmal ernsthaft):

  1. Ein klarer Rahmen: Es gibt Kindern Klarheit und damit Sicherheit, wenn von vorneherein ein für sie verstehbarer, transparenter und verlässlicher Zeitrahmen gesetzt wird. Wie oft in der Woche, zu welchen Zeiten und wie lange darf Ferngesehen werden. Gerade bei jüngeren Kindern, sollte man das immer wieder kommunizieren, z.B.: „Jetzt beginnt die letzte Folge für heute, danach schalte ich den Fernseher aus.“
  2. Ein guter Abschluss: Gerade bei aufregenden Sendungen wie Paw Patrol ist es sinnvoll den Rahmen in der Anzahl Folgen und nicht in Zeit zu bestimmen, damit die Kinder nicht mitten in einer sehr spannenden Folge ausschalten müssen, sondern am Ende der Episode, wo es einen guten Abschluss gab.
  3. Emotionen nicht persönlich nehmen: Kinder dürfen frustriert darüber sein, wenn sie etwas nicht bekommen. Ein Wut- oder Weinanfall wenn der Fernseher ausgemacht werden muss, ist eine gesunde Art des Kindes, seine Frustration zu zeigen. Als Eltern sollten wir das als legitimen Emotionsausdruck, nicht als persönlichen Angriff oder valide Kritik an unseren wohl überlegten pädagogischen Grenzen betrachten.
  4. Alternative Angebote machen: Die Kapazitäten jüngerer Kinder, mit Langeweile und Einsamkeit umzugehen, sind begrenzt. Ist ein Kind zu sehr sich selbst überlassen, wächst die Sehnsucht nach Unterhaltung und den bekannten Figuren aus dem Fernsehen. Wir können unseren Kindern aktiv Angebote zum kreativen und aktiven Spielen machen, oder auch schon sehr kleine Kinder auf spielerische Weise in Haushaltstätigkeiten einbeziehen, damit sie auch jenseits von Paw Patrol Erfahrungen von positiver Aufregung und sozialer Verbundenheit machen.
  5. Die wichtigste Regel in der Erziehung überhaupt: Vorbild sein! Kinder lernen weitaus stärker durch Beobachtung und Nachahmung, als durch Erklärungen und Regeln. Als Eltern müssen wir uns fragen, ob wir glaubwürdig sind, wenn wir den Kindern vermitteln wollen, dass zu viel Medienkonsum nicht gut tut. Dass Reden, Spielen und Bewegung an der frischen Luft auch Spaß machen können. Wenn wir unseren eigenen Medienkonsum und unsere Entspannungsstrategien reflektieren und an diesen arbeiten, dürfen wir getrost darauf vertrauen, dass unsere Kinder langfristig auch ihren eigenen guten Weg mit diesen Themen finden werden.

Klingt anstrengend? Nur Mut: Kein Einsatz zu groß, keine Pfote zu klein!

Weiterlesen