Dr. House: Dr. House

Seit ich vor fast vier Jahren angefangen habe, diesen Blog zu schreiben, wurde mir immer wieder Dr. House aus der gleichnamigen Serie nahegelegt. Für den Charakterneurosen-Podcast habe ich mich jetzt mal mit ihm befasst.

Eines gleich vorweg: Nein, Dr. House hat keine Narzisstische Persönlichkeitsstörung! Von den Diagnosekriterien nach ICD-10 (F60.80) erfüllt er nicht die für die Diagnose notwendigen fünf, sondern allenfalls drei:

  • Gefühl der eigenen Grandiosität und Wichtigkeit
  • Phantasien von Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe
  • Überzeugung besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder wichtigen Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
  • Bedürfnis nach exzessiver Bewunderung
  • Anspruchsdenken und Erwartung bevorzugter Behandlung
  • Ausbeuterische Haltung in zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Mangel an Empathie
  • Neid auf andere und/oder Überzeugung, von anderen beneidet zu werden
  • Arrogante und hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten

Das Gefühl von Grandiosität bezieht sich nur auf seine Fähigkeiten als medizinischer Diagnostiker, wo es tatsächlich adäquat ist. Als Kriterium einer Persönlichkeitsstörung müsste es sich jedoch situationsübergreifend zeigen. Gleiches gilt für das dritte Kriterium. Intensive narzisstische Phantasien, Bedürfnis nach Bewunderung und Neid können wir ausschließen. Auch ist House nicht wirklich empathieunfähig, er bemüht sich nur um eine möglichst distanzierte Haltung gegenüber seinen Patienten, um rationaler diagnostisch entscheiden zu können. Bleiben Anspruchsdenken, ausbeuterische Haltung (mit Einschränkungen) und arrogante Verhaltensweisen (aber Hallo!).

Doch dass wir die narzisstische Persönlichkeitsstörung ausschließen können, bedeutet nicht, dass Dr. House ein gesunder Mann wäre.

Zunächst einmal fällt die, in der Serie auch immer wieder thematisierte, Schmerzstörung ins Auge. Dr. House hat eine Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41). Diese ist definiert durch „einen mindestens 6 Monate andauernden intensiven und quälenden Schmerz in einem Körperteil, der nicht ausreichend durch eine körperliche Störung oder ein physiologisches Geschehen erklärt werden kann“.

Seine Schmerzen sind die Folge einer missglückten Operation am Bein, zeigen jedoch auch deutliche Zusammenhänge mit seinem emotionalen Befinden: Je einsamer, pessimistischer, misanthropischer und vor allem weniger verbunden mit seiner sozialen Umwelt er sich fühlt, umso stärker scheint er sie zu erleben und auch zu thematisieren, wohingegen er in Phasen erhöhten Selbstwertgefühls aufgrund beruflicher Herausforderungen und Leistungen oder in seltenen Momenten wahrer zwischenmenschlicher Verbundenheit, deutlich weniger eingeschränkt erscheint.

Aus der Chronischen Schmerzstörungen scheinen sich sekundär zwei weitere psychische Störungen zu ergeben

Erstens, eine Abhängigkeit von dem opioidhaltigen starken Schmerzmittel Vicodin. Eine Opioidabhängigkeit ist nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F11.2) gekennzeichnet durch drei oder mehr der folgenden Kriterien:

  • Starkes Verlangen, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle oder Kontrollverlust über Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums
  • Körperliche Entzugserscheinungen, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird
  • Toleranzentwicklung, d.h. es müssen immer größere Mengen konsumiert werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen
  • Gedankliche Einengung auf den Konsum, d.h. Aufgabe oder Vernachlässigung von Interessen und Verpflichtungen
  • Fortgesetzter Substanzkonsum trotz eindeutig schädlicher Folgen

Zweitens, scheint Dr. House unter einem Syndrom zu leiden, das als Male Depression, also „männliche Depression“, bezeichnet wird. Die klassischen Depressionssymptome Niedergeschlagenheit, Interessens- und Freudverlust sowie Antriebslosigkeit treten statistisch gesehen doppelt so häufig bei Frauen wie bei Männern auf, was dazu führt, dass Depressionen bei Männern vermutlich häufiger übersehen werden. Männer hingegen zeigen häufiger andere, weniger offensichtliche depressive Symptome, wie

  • Gereiztheit
  • Zynismus
  • Aggressivität
  • Dissoziales/delinquentes Verhalten
  • Risikoverhalten
  • exzessives Arbeiten („Flucht in die Arbeit“)
  • Suchtmittelmissbrauch

Diese können wir bei Dr. House deutlich erkennen. Der Zusammenhang zwischen der Schmerzstörung und der Depression besteht vermutlich in einem sogenannten depressiven Schmerzkreis: House ist enttäuscht von seiner sozialen Umwelt. Seine Frau und seine Ärzte haben ihn, seiner Ansicht nach, falsch behandelt, damit sein Leid verursacht und mit diesem letztlich alleine gelassen.

Dr. House zeigt die typisch depressive negative Weltsicht, die als kognitive Triade bezeichnet wird:

  • Negatives Selbstbild
  • Negatives Bild von der Welt
  • Negative Erwartungen für die Zukunft
Deutlich wird diese in seinem charakteristischen Satz: „Jeder Mensch lügt“.

Die Wahrnehmung seiner sozialen Umwelt als insuffizient und unehrlich führt zu emotionalem Rückzug und Feindseligkeit, welche wiederum Ablehnung und Gegenaggression auslösen. Dadurch chronifiziert sich ein Zustand von Einsamkeit und dem Erleben, nicht dazuzugehören und nicht gemocht zu werden. Wie hartnäckig diese Selbstwahrnehmung ist, zeigt sich unter anderem darin, dass Dr. House mit Komplimenten, Freundlichkeit oder Fürsorge kaum umgehen kann und reflexhaft zynisch oder aggressiv reagiert. Letztendlich verstärkt aber diese soziale Isolation durch das Zurückgeworfensein auf das eigene innere Erleben die Beschäftigung mit dem Schmerz und steigert somit dessen wahrgenommene Intensität. Der Versuch, diese mit Vicodin zu lindern, führt zu zusätzlichen sozialen Problemen.

Psychodynamisch erfüllt der Schmerz hier auch die Funktion, die Gefühle, welche Dr. House in seiner bewussten Selbstwahrnehmung schon lange resigniert aufgegeben hat, wie seine Wünsche nach Liebe, Versorgung, Zuneigung und auch die Hoffnung, diese noch zu erleben, im Unbewussten weiter artikulieren zu können. Die Selbstinszenierung als Leidender, Kranker, körperlich Schwacher („Krüppel“ wie Dr. House sagen würde) erlaub unbewusst die Identifikation mit der eigenen emotionalen Bedürftigkeit und ein heimliches Signal an die Umwelt: Helft mir!




Mehr über Dr. House gibt es im Charakterneurosen-Podcast zu hören

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True Detective: Rust


Der True Detective Rustin „Rust“ Cohle ist ein mürrischer Zeitgenosse. Seit dem Unfalltod seiner kleinen Tochter leidet er unter einer chronischen depressiven Störung, die als Dysthymia bezeichnet wird. Diese zeichnet sich nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F34.1) dadurch aus, dass die Symptomatik zwar weniger stark ausgeprägt ist, als bei einer akuten depressiven Episode (ICD-10: F32), dafür aber über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren anhält. In Rusts Fall äußert sich die depressive Symptomatik außerdem auf die für Männer typische Weise, in Form einer sogenannten male depression:
  • Dysphorie/Gereiztheit
  • Zynismus
  • Aggression/Impulsivität
  • Dissoziales/delinquentes Verhalten
  • Risikoverhalten, Extremsport
  • exzessives Arbeiten („Flucht in die Arbeit“)
  • Alkohol-/Nikotin-/Drogenmissbrauch

Zum Zeitpunkt der beiden Handlungsebenen von True Detective ist Rusts Depression bereits chronifiziert und aus seinem Alkohol-, Nikotin-, Drogen- und Medikamentenmissbrauch hat sich eine Multiple Substanzabhängigkeit entwickelt. Für diese Diagnose müssen nach ICD-10 (F19.2) mindestens drei der folgenden Merkmale vorliegen, und zwar seit mindestens einem Monat:
  • Starkes Verlangen oder Zwang, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle über den Konsum oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren
  • Körperliches Entzugssyndrom
  • Toleranzentwicklung: Bei fortgesetztem Konsum derselben Menge treten deutlich geringere Effekte auf
  • Aufgabe oder Vernachlässigung anderer Interessen. Hoher Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum der Substanz
  • Anhaltender Substanzkonsum trotz schädlicher Folgen

Eine gravierende schädliche Folge von Rusts Drogen- und später Medikamentenkonsum (vor und während des frühen Handlungsstranges) sind die dadurch ausgelösten Halluzinationen. Da diese eindeutig im Zusammenhang mit dem Substanzkonsum stehen (später, als Rust nur noch trinkt, treten die Halluzinationen nicht mehr auf) und über einen längeren Zeitraum immer wieder auftreten, liegt eine halluzinatorische substanzinduzierte psychotische Störung (ICD-10: F19.52) vor, auch bekannt als Drogenpsychose.

Was Rust Cohle so charismatisch und interessant macht, ist, dass er, neben seinen vielfachen und schwerwiegenden psychopathologischen Beeinträchtigungen, ein überaus intelligenter und offenbar sehr gebildeter Mann ist, der den Zuschauer und, zu dessen Leidwesen, seinen Partner Martin Hart, an seiner depressiven Weltsicht teilhaben lässt.

Rust zeigt dabei ein für depressive Störungen typisches Denkmuster, welches die Kognitionspsychologie als Kognitive Triade bezeichnet. Diese ist durch eine negative und hoffnungslose Sichtweise auf drei zentrale Lebensbereiche gekennzeichnet:
  • Negatives Selbstbild
  • Negatives Bild von der Welt
  • Negative Erwartungen für die Zukunft

Rust schreibt den Menschen im Allgemeinen überwiegend negative Eigenschaften, vor allem Selbstsucht, Eitelkeit und Ignoranz, zu. Sich selbst nimmt er davon nicht aus, sondern beansprucht für sich lediglich, die bittere Wahrheit im Gegensatz zu der Mehrheit seiner Mitmenschen nicht zu verdrängen.

Sein, zuvor wahrscheinlich optimistischeres, Weltbild scheint durch den Tod seiner Tochter zerstört worden zu sein. Eine Welt in der unschuldige Kinder sterben und all die anderen Gräueltaten, die er in seinem Job erlebt möglich sind, kann nur schlecht sein. Um den Schmerz über den Verlust seiner Tochter besser aushalten zu können, findet der intelligente und eloquente Rust nachträglich viele gute Argumente für die Verkommenheit der Welt als Ganzes. Man nennt das Rationalisierung. So kommt er zu dem Schluss, dass es das Glück seiner kleinen Tochter war, in einer so durchweg schlechten Welt, nicht lange genug zu leben, um von ihr korrumpiert zu werden. Daran wird deutlich, dass Rust gar nicht mehr anders kann, als in der Welt nur das Schlechte zu sehen, da er sonst wieder ungeschützt seiner unverarbeiteten Trauer ausgesetzt wäre.

Das misanthropische Weltbild, das Rust sich selbst immer wieder dadurch bestätigt, dass er sich obsessiv mit Verbrechen, Leid und menschlichen Abgründen beschäftigt und alle einladenden Gesten wohlwollender Mitmenschen zurückweist, lässt ihn auch für die Zukunft nur Schlechtes erwarten: Habgier, Hass, religiöser Fanatismus und Umweltzerstörung werden, so Cohle, dazu führen, dass die Menschheit sich selbst vernichtet. Wenn es nach ihm geht, darf sie vorher noch erkennen, was ihm schon lange klar ist: Dass alles von Anfang an sinnlos war.

Psychologen nennen das Depression, Philosophen Melancholie, Nihilisten wahrscheinlich Realismus. Rusts Partner Martin versucht es mit Humor zu sehen: „Für einen Typen, der keinen Sinn in seiner Existenz sieht, machst du dir ganz schön viele Gedanken darüber.“

Mehr zur ersten Staffel von True Detective gibt es im Charakterneurosen-Podcast zu hören!
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Casablanca: Rick

Hätte man dem charismatischen Cafébetreiber Rick Blaine aus dem Filmklassiker Casablanca von 1942 etwas über Depressionen erzählt, hätte er wahrscheinlich angenommen, es gehe um die jüngste amerikanische Wirtschaftskrise. Allenfalls hätte er ein vages Bild des psychologischen Depressionsbegriffes als irgendeine neurotische Spinnerei für Frauen und Feiglinge gehabt…

Tatsächlich sind die Symptome einer depressiven Störung nur schwer in Übereinstimmung zu bringen mit dem Männerbild, das Rick geprägt hat und zu dessen Inbegriff er wurde.
Diese Symptome sind nach ICD-10 (F32):
  • Depressive/gedrückte Stimmung
  • Interessen-/Freudverlust
  • Antriebsminderung, gesteigerte Ermüdbarkeit
  • Verlust des Selbstvertrauens
  • Schuldgefühle
  • Suizidgedanken
  • Konzentrationsstörungen, Unentschlossenheit
  • Psychomotorische Hemmung oder Agitiertheit
  • Schlafstörungen
  • Appetitstörungen
Nun mögen die starren Geschlechtsrollenstereotypen mit denen Rick aufgewachsen ist, inzwischen etwas (!) an Gültigkeit verloren haben, Tatsache ist dennoch, dass Männer statistisch seltener an einer solchermaßen definierten depressiven Störung erkranken. Haben Männer also weniger Grund, traurig, verzweifelt und niedergeschlagen zu sein? 
In Ricks Fall wohl kaum! Als unter ungeklärten Umständen seiner Heimat beraubter Paria findet er in Paris die Liebe seines Lebens, nur um von dieser später ohne weitere Erklärung wieder verlassen zu werden. In Casablanca baut er sich ein neues Leben auf und genießt hohes Ansehen unter den Ausgestoßenen, Gestrandeten und Verfolgten Europas. 
Aber glücklich wirkt er dabei nicht. Kränkung und Verlust sitzen zu tief. Der frühere Idealist und Philanthrop, der mehrfach im antifaschistischen Widerstand engagiert war, ist zum Egoisten und Zyniker geworden („Ich halte für niemanden den Kopf hin“). 
Er begegnet seinen Mitmenschen gereizt und herablassend (Ugarte: „Sie verachten mich, nicht wahr?“ Rick: „Wenn ich einen Gedanken an Sie verschwenden würde, wahrscheinlich“).
Er provoziert und beleidigt seine Gäste (Rick: „Sie können Ihr Geld an der Bar ausgeben.“ Deutscher Gast: „Wissen Sie eigentlich, wer ich bin?“ Rick: „Das weiß ich, seien Sie froh, dass Sie überhaupt an die Bar dürfen.“). Er benutzt und verletzt die Frauen (Yvonne: „Wo warst du gestern Nacht?“ Rick: „Das ist schon solange her, ich erinnere mich nicht mehr.“ Yvonne: „Sehen wir uns heute Nacht?“ Rick: „Ich plane nie soweit im Voraus.“). Er schmuggelt, besticht, zockt, raucht und trinkt.

Rick, der vor dem Verlust seiner großen Liebe (und auch später, nach dem Wiedersehen mit ihr) ein ganz anderer (gewesen) zu sein scheint, zeigt damit die Symptome eines psychopathologischen Konstrukts, das als male depression (männliche Depression) bezeichnet wird.
Dieses Syndrom, das noch nicht Eingang in die offiziellen internationalen Klassifikationssysteme psychischer Krankheiten gefunden hat, beschreibt eine mehr an (typischerweise) männlichen Erlebens- und Verhaltensweisen orientierte Reaktion auf depressive Gefühlslagen und soll verhindern, dass depressive Störungen bei männlichen Patienten übersehen, oder fehldiagnostiziert werden (z.B. als Sucht oder dissoziale Persönlichkeitsstörung).
Vorgeschlagene Kriterien für die Diagnose einer male depression sind:

  • Dysphorie/Gereiztheit
  • Zynismus
  • Aggression/Impulsivität
  • Dissoziales/delinquentes Verhalten
  • Risikoverhalten, Extremsport
  • exzessives Arbeiten („Flucht in die Arbeit“)
  • Alkohol- und Nikotinmissbrauch
Während sich die psychologische Forschung unserer Tage dem Phänomen der männlichen Depression langsam annähert, wusste Captain Renault in Casablanca Ricks Verhalten bereits richtig einzuordnen: „Weil ich, mein lieber Rick, den Verdacht hege, dass unter dieser zynischen Schale ein recht sentimentales Herz schlägt.“ Er erkennt Ricks Schmerz, gesteht ihm aber auch seine Abwehrmechanismen zu. Er trinkt, raucht und scherzt mit ihm und als es darauf ankommt, lässt er ihn nicht hängen. Wie man das unter Männern macht.
So entlockt er schließlich dem notorischen Zyniker Rick die berühmtesten Schlussworte der Filmgeschichte: „Louis, ich denke das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“
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Dark Knight Trilogy: Batman

Batman ist die, in einen High-Tech-Fledermaus-Kampfanzug gewandete, Tarnidentität des Milliardärs Bruce Wayne, mithilfe derer er nachts Verbrecher in den Straßen seiner Heimatstadt Gotham City jagt. Batmans Geschichte wird, nicht zum ersten Mal, im Rahmen der Filmtrilogie “Batman Begins”, “The Dark Knight” und “The Dark Knight Rises”, wie folgt erzählt:
Bruce Wayne wächst zunächst unter vermeintlich idealen Bedingungen auf. Besonders sein Vater scheint geradezu traumhaft gut zu sein: Selfmade-Milliardär, sozialer Wohltäter, liebender Ehemann und Vater. Umso mehr können wir annehmen, dass sich der kleine Bruce, angesichts dieses schier unerreichbaren Rollenvorbilds, schon früh mit Insuffizienz- und Minderwertigkeitsgefühlen herumzuschlagen hat. Allerdings müssen diese, um die dringend benötigte Fürsorge des Vaters nicht zu gefährden, ins Unbewusste verdrängt werden.

Erstmals erschüttert wird die heile Welt des Bruce Wayne durch den Sturz in einen dunklen Brunnenschacht, in welchem es von Fledermäusen wimmelt. In der Folge dieser als lebensbedrohlich erlebten Situation (aus welcher ihn schließlich sein Vater befreit!), entwickelt er eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) mit den folgenden Symptomen:

  • Wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks, Albträume)
  • Innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen
  • Vermeidung von Umständen, die der Belastung ähneln
  • Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (Ein- und Durchschlafstörungen, erhöhte Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten)

Die Angst in traumaassoziierten Situationen und der Drang diese zu vermeiden, führen dazu, dass Familie Wayne eine Oper, in deren Verlauf Fledermäuse umherflattern, vorzeitig durch einen Seiteneingang verlassen muss und das Elternpaar von einem Straßenräuber ermordet wird. Bruce entwickelt daraufhin starke Schuldgefühle. Dass er sich insgeheim manchmal vom übergroßen Schatten des Vaters frei gewünscht hätte, dürfte diese zusätzlich verstärkt haben. 

Seine ohnmächtigen Schuldgefühle projiziert er auf den Täter und schmiedet irgendwann im Lauf der nächsten Jahre einen Racheplan, welchen er bei dessen Haftentlassung umzusetzen versucht. Bis dahin scheint ihn die Rachephantasie für ein äußerlich unauffälliges und leidlich erfolgreiches Leben als Student einer Eliteuni ausreichend stabilisiert zu haben. Als der unausgegorene Racheplan an der Realität scheitert, wirft die narzisstische Kränkung den jungen Mann in eine schwere Depression (ICD-10: F32.2), die sich in typisch männlicher Weise manifestiert:

  • Sozialer Rückzug
  • Zynismus
  • Gereiztheit
  • Parasuizidales Risikoverhalten

Trotz der, zum Markenzeichen stilisierten, Einzelgängerrolle bleibt Bruce insgeheim weiterhin von der Sehnsucht nach der verlorenen väterlichen Anerkennung und mütterlichen Geborgenheit getrieben, welche er beide auf seine Jugendliebe Rachel verschiebt, wobei er das gemeinsame Glück aber vermeidend in eine phantasierte Zukunft projiziert, wahrscheinlich aus Angst, Rachel durch seine untergründig empfundene Unvollkommenheit zu enttäuschen und/oder zu gefährden und dadurch (wie die Eltern) wieder zu verlieren.
Als Rachel (und mit ihr die Erlösungsphantasie) im zweiten Film “The Dark Knight” tatsächlich stirbt, wiederholen sich die Schulddepression und schließlich, zu Beginn des dritten Films “The Dark Knight Rises”, der bekannte Ausweg aus dieser durch die Flucht in die Rolle des maskierten Helden. Wieder wird die empfundene Schuld auf die Bösen projiziert und das Minderwertigkeitsgefühl durch die narzisstische Selbstglorifizierung als edler Rächer abgewehrt.

Bruce Wayne ist also gefangen in einem sich ständig neu inszenierenden Dilemma, einem chronisch misslingenden Beziehungsmuster: Zwar hat er den starken Wunsch von seinen Mitmenschen geliebt und angenommen zu werden. Jedoch ist er in seinem tiefsten Inneren davon überzeugt, den Erwartungen nicht genügen zu können (vermutlich aufgrund des idealisierten und unerreichbaren väterlichen Vorbilds). In dem subjektiven Zwang, sich perfekt und damit liebenswert zu präsentieren, spaltet er alle mit dem väterlichen Idealbild nicht vereinbaren Selbstaspekte (Angst, Rachsucht, Aggressivität, Bindungsängste, Depression…) mithilfe des heimlichen Alter-Egos Batman ab. Tragischerweise wird der nach außen wahrgenommene Bruce Wayne dadurch eindimensional und leer, vermag Andere nicht wirklich an sich zu binden (mit Ausnahme von Rachel in einer Mischung aus Nostalgie und Mitleid).

Der traurige, einsame Bruce Wayne kann einem wahrlich leid tun und man ist regelrecht dankbar, dass Hollywood ihm nach drei langen Filmen voller Leiden und zermürbenden Selbstzweifeln doch noch ein Happy End schenkt.
Gönnen wir also diesem leidgeprüften Batman sein wohlverdientes Glück und trinken mit Alfred einen Fernet Branca auf sein Wohl!

Mehr zur Dark Knight Trilogie gibt es auch im Charakterneurosen-Podcast Folge 20 zu hören!

 

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