Musik-Therapie: Hurt & Selbstverletzung

TRIGGERWARNUNG: Selbstverletzendes Verhalten

 

I hurt myself today, to see if I still feel

Selbstverletztendes Verhalten – wie es in Hurt (1994 von Trent Reznor/Nine Inch Nails, 2002 fulminant gecovert von Johnny Cash) beschrieben wird – ist meist ein Symptom psychischer Erkrankungen oder zumindest emotionaler Probleme. Im Gegensatz zu gängigen Klischees ist es meist kein bewusster Ruf nach Aufmerksamkeit, eher ein unbewusster Ausdruck von Überforderung und Hilflosigkeit. Auch ist selbstverletzendes Verhalten nicht automatisch ein Hinweis auf Suizidalität oder gar immer ein Suizidversuch. Häufig stellt das daher so genannte nicht-suizidale selbstverletzende Verhalten (NSSV) einen Versuch da, sehr starke Gefühle zu regulieren, z.B.

Selbsthass – What have I become my sweetest friend
Einsamkeit – Everyone I know goes away in the end
Schmerz – I wear this crown of thorns upon my liar’s chair
Verzweiflung – Full of broken thoughts I cannot repair

Diese Gefühle können, wenn sie eine unerträgliche Intensität erreichen und die betroffene Person keine anderen Wege zur deren Regulation findet, zu einer extremen und diffusen inneren Anspannung führen, die das Gefühl, ein stabiles Ich zu sein, handlungsfähig in einer im Prinzip verstehbaren Welt zu sein, derart beeinträchtigen, dass der konkrete körperliche Schmerz wie ein Anker zur Realität, zur eigenen Handlungsfähigkeit, sein kann, der kurzfristig Beruhigung und Sicherheit zurückbringt.

I focus on the pain, the only thing that’s real

Dieses Gefühl beschreibt auch Gillian Flynn in dem großartigen (aber auch sehr triggernden!) Roman Cry Baby – Scharfe Schnitte (original Sharp Objects, sehr gelungen verfilmt als HBO-Miniserie und hier im Blog schon besprochen):

Mein Körper loderte förmlich. Ich lief umher, konzentrierte mich aufs Atmen, wollte meine Haut beruhigen. Doch sie schrie es laut heraus. Manchmal haben Narben ihren eigenen Willen… Als ich an jenem heißen, öden Morgen aufwachte, dachte ich mit Grauen an die Stunden, die vor mir lagen. Wie kann man sich sicher fühlen, wenn der ganze Tag so weit und leer ist wie der Himmel?

Ein Mensch, der sich selbst verletzt, ist nicht schwach, verrückt oder versucht, sich grundlos wichtig zu machen. Ein Mensch, der sich selbst verletzt, sucht nach Auswegen aus tiefer Verzweiflung und unerträglichem seelischem Schmerz. Ein Mensch, der sich selbst verletzt, hat noch nicht vollständig aufgegeben:

I am still right here

Ein Mensch der sich selbst verletzt, sollte unbedingt ernst genommen, nicht verurteilt oder abgewertet werden und bestenfalls kompetente professionelle Hilfe erhalten!

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Musik-Therapie: Innere Kritiker

I’m tired of being what you want me to be
Feeling so faithless, lost under the surface
Don’t know what you’re expecting of me
Put under the pressure of walking in your shoes
Every step that I take is another mistake to you

Als inneren Kritiker oder inneren Verfolger bezeichnet man in der Psychotherapie negative Gedanken über sich selbst.  Die lautlose innere Stimme, die uns beständig kritisiert, verurteilt, entwertet und beschämt:

Can’t you see that you’re smothering me
Holding too tightly, afraid to lose control?

Es ist wichtig zu verstehen, dass innere Kritiker auf den Glaubenssätzen der Personen beruhen, die unsere frühe Persönlichkeitsentwicklung prägen: Eltern, Großeltern, Geschwister, Gesellschaft: „Das und das gehört sich nicht“, „Sei nicht so und so“ etc. Diese Glaubenssätze sind Ausformulierungen von deren persönlichen Ängsten, Unsicherheiten, Scham- und Schuldgefühlen. Und diese beruhen wiederum auf denen der vorherigen Generation:

But I know
You were just like me with someone disappointed in you

Wir dürfen diese negativen Glaubenssätze unseren Altvorderen zurückgeben. Differenzierte Selbstkritik ist wichtig, aber der Maßstab dafür dürfen unsere eigenen Überzeugungen und Werte sein:

All I want to do
Is be more like me
And be less like you

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Musik-Therapie: Central Cee – Commitment Issues

Beziehungsprobleme – Commitment Issues – sind nicht nur ein beliebter Topos für Songs oder Filme, sondern auch Kernthema vieler Psychotherapieprozesse.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer verglich einst das menschliche Beziehungsverhalten mit einer Gruppe Stachelschweine im Winter: Alleine stehend friert jedes Tier und sucht folglich die Nähe der anderen. Rücken die Stachelschweine jedoch zu nahe zusammen, verletzten sie sich an den Stacheln der anderen, woraufhin sie wieder weiter auseinanderrücken. Da es den Punkt perfekter Distanz auf Dauer nicht gibt, entsteht eine ständige Hin- und Weg-Bewegung mit dem Ziel einer hinreichenden, möglichst ausgewogenen, Nähe-Distanz-Regulation.

Auf uns Menschen übertragen, suchen wir als soziale Wesen Verbundenheit, Sicherheit, Rückhalt, Bestätigung und soziale Anregung durch andere. Gleichermaßen binden uns die sozialen Bezüge, begrenzen somit unsere freie persönliche Entfaltung und nötigen uns Kompromisse im Handeln, aber auch im Denken und Fühlen, ab.

Beide Motive, Bindung und Autonomie, müssen wir ständig in einer unseren individuellen Bedürfnissen entsprechenden Balance halten, bzw. diese immer wieder aufs Neue herstellen. Das Stichwort für eine gelingende Lösung heißt bezogene Individuation – die Selbstverwirklichung betreiben und dabei trotzdem, grundsätzlich, in Beziehung bleiben.

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Musik-Therapie: Dissoziales Verhalten

Der Rapper Sido und der legendäre britische Kinder-Psychoanalytiker Donald W. Winnicott sind sich einig: Dissoziales (Norm-verletzendes Verhalten) bei Kindern und Jugendlichen ist nicht als etwas störendes und durch Druck zu unterbindendes zu verstehen, sondern als ein Hinweis, ein Hilferuf an Autoritäten und Bezugspersonen.

Es gilt die alte kinder- und jugendpsychotherapeutische Weisheit: Bevor ein Kind Probleme macht, hat es welche!

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