Game of Thrones: Daenerys

Am Ende von Game of Thrones scheiden sich ja die Geister. Unter anderem die Entwicklung von Daenerys Stormborn of House Targaryen, the First of Her Name, Queen of the Andals and the First Men, Protector of the Seven Kingdoms, the Mother of Dragons, the Khaleesi of the Great Grass Sea, the Unburnt, the Breaker of Chains (das soll doch zumindest einmal hier ausgeschrieben werden), über ihre Entwicklung zum Ende hin also, wurde viel und hitzig diskutiert. Was die Dramaturgie und Inszenierung angeht, können andere dazu mehr Substanzielles sagen (Zeynep Tufekci zum Beispiel), psychologisch jedoch lässt sich Danys Verhalten schlüssig erklären.

Daenerys hat nie ein sicheres Leben kennengelernt. Bereits als Kleinkind war sie auf der Flucht, dann im Exil. Die Eltern ermordet, war ihre einzige Bezugsperson ihr narzisstisch gestörter, gemeiner Bruder Viserys, der ihr immer klar machte, dass sie von ihm keinen Schutz zu erwarten habe, sondern vielmehr als willfähriges Faustpfand für seine Machtansprüche herzuhalten habe. Sie wurde zwangsverheiratet, vergewaltigt, betrogen, verraten, bekämpft. Mehrfach entging sie nur knapp Mordversuchen, teilweise aus den Reihen enger Vertrauter. 
Die Welt von Game of Thrones ist brutal, aber bei genauerem Hinsehen, haben doch die meisten Protagonisten in den frühen und prägenden Jahren ihrer Entwicklung zumindest eine liebevolle, fördernde und beschützende Bezugsperson. Die Stark-Kinder haben ohnehin ziemlich gute Eltern, selbst Jon Snow, der durch Catelyn abgelehnt wird, erfährt von Eddard Liebe und Anerkennung. Tyrion hat es weniger gut getroffen, immerhin hassen ihn Schwester und Vater und die Mutter hat er nie kennengelernt. Aber wenigstens hat er in seinem großen Bruder Jamie eine wichtige Bezugsperson, die ihm Liebe, Respekt und in der Kindheit auch Schutz gewährt. 
Solche Erfahrungen sind für Kinder wichtig, denn sie entscheiden darüber, ob sie sich im späteren Leben sicher und zuversichtlich in der Welt, v.a. in der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen, bewegen, oder ängstlich, misstrauisch und defensiv. Psychologen sprechen hier von Bindung. Für ein kleines Kind ist die Umwelt voller Gefahren und Überforderungen. Schon Hunger oder Müdigkeit können Herausforderungen sein, die es alleine nicht bewältigen kann. Darum ist die Erfahrung, dass andere Personen die Bedürfnisse des Kindes wahrnehmen, richtig deuten und auf sie zeitnah und effektiv reagieren, zentral für das Sicherheitsgefühl des Kindes. Wenn Kinder bei Angst und Überforderung regelmäßig und schnell Zuwendung in Form von Verständnis, Bestätigung und Hilfe erfahren, entsteht eine sichere Bindung bzw. das, was gerne Urvertrauen genannt wird. Diese sichere Bindungserfahrung bildet die Basis dafür, später selbstständiger und selbstsicherer die Welt, die ja zeitlebens ein immer wieder ungewisser, unsicherer, überfordernder und potentiell bedrohlicher Ort bleibt, zu explorieren. Im Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten und im Vertrauen auf die eigene Liebenswürdigkeit, die dazu führen wird, dass im Notfall auf die wichtigsten Bezugspersonen Verlass sein wird, wenn man alleine nicht mehr weiterweiß.
Daenerys ist nun nicht sicher gebunden. Sie sehnt sich zwar, wie jeder Mensch, nach Freundschaft und Liebe, ist aber gleichzeitig auch extrem misstrauisch und hat große Angst erneut verraten oder verlassen zu werden. Auch deshalb strebt sie so sehr nach absoluter Macht: Es fällt ihr leichter, Beziehungen zu Menschen aufzubauen, wenn diese hierarchisch unter ihr stehen, weil das ihr unbewusstes Ohnmachtsgefühl angesichts der Möglichkeit, verraten oder verlassen zu werden, mildert. Wir nennen ein solches Bindungsverhalten, das einerseits von großen Nähewünschen, andererseits von intensiver Angst geprägt ist, unsicher-ambivalente Bindung. 
Menschen mit stark ausgeprägter unsicher-ambivalenter Bindung neigen dazu, sich in Beziehungen übermäßig kontrollierend oder mitunter auch manipulativ zu verhalten, um für sich immer wieder Sicherheit herzustellen. Daenerys fordert von den Menschen um sie herum immer wieder Loyalitätsbeweise („bend the knee“) oder spricht Drohungen im Falle von Untreue aus („I´ll burn you alive“). Weil Jon Snow durch seinen Geburtsanspruch ihre Macht, die für sie Sicherheit bedeutet, potentiell bedrohen könnte, bleibt sie bei aller Liebe ängstlich und misstrauisch. Dies führt dazu, dass sie von ihm immer weitere Beweise seiner Loyalität und Liebe (für Dany in diesem Fall dasselbe) fordert und seinen Beteuerungen („You are my Queen“) nicht glauben kann, obwohl sie auf uns als Zuschauer lange Zeit sehr glaubwürdig klingen. Durch ihr Drängen auf exklusive Loyalität, bringt sie Jon zunehmend in Situationen, in welchen es für ihn tatsächlich immer schwieriger wird, Danys Ansprüchen gerecht zu werden, zum Beispiel, wenn sie von ihm verlangt, seine Schwestern über seine wahre Abstammung zu belügen. 
Die Gewissenskonflikte, in welche sie ihn damit bringt, bewirken tragischerweise genau das Gegenteil dessen, was Dany sich unbewusst erhofft: Jon kann sich ihr nicht mehr vorbehaltlos anvertrauen, zieht sich zurück, wird distanzierter und unsicherer, was seine ursprünglich so liebevollen Gefühle angeht. Dany wiederum spürt diese Distanz, was ihre alten Verlassenheitsängste erst recht aktiviert. Die Basis ihrer unsicheren Bindung, der Glaubenssatz „Wahre Liebe gibt es nicht. Zumindest nicht für mich. Nur Macht schützt mich vor der Feindseligkeit anderer“, wird wieder lauter in ihren Gedanken. 
So stellt sie Jon, stellvertretend für alle Mitmenschen, auf eine letzte ultimative Probe: Könnt ihr mich lieben, mich schützen, mir folgen, auch wenn ich die Stadt niederbrenne? Das wäre absolute Loyalität. Alles, was dieser entgegenstehen könnte, selbst familiäre Bindungen, oder ethische Prinzipien, beinhaltet für Dany schon Verrat und Untreue. Je unsicherer sie wird, umso radikaler versucht sie, Beweise dafür zu erzwingen, dass sie doch bedingungslos geliebt wird und lässt den anderen damit keine Luft mehr zu atmen, sie selbst zu sein, den eigenen Prinzipien treu zu bleiben. So funktionieren Beziehungen aber nicht. Liebe, die man nur beweisen kann, indem man sich selbst verleugnet, hört auf, Liebe zu sein und wird Zwang. Mal wieder hat Tyrion recht: „Duty is the end of love.” 

Mehr über das Finale von Game of Thrones gibt es auch im Charakterneurosen-Podcast zu hören 

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