Die über sieben Staffeln erzählte Geschichte der Sons of Anarchy ist eine Geschichte von Treue und Verrat, Loyalität und Rivalität, Liebe und Verlust. Zentrale Themen des menschlichen Seins also.
Schon Kleinkinder lernen, dass der Mensch Nähe und Bindung zu anderen Menschen braucht um zu überleben – physisch und emotional. Erst das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Liebenswürdigkeit durch Eltern und andere wichtige Bindungspersonen bildet die Basis für Selbstvertrauen, Stolz, Neugier und Mut. Das Wechselspiel von Entdeckung, Entwicklung, Leistung und Risiko auf der einen, Bindung, Sicherheit und Geborgenheit auf der anderen Seite, bestimmt das Leben.
Wie viel Rückversicherung durch Bindungspersonen ein erwachsener Mensch braucht, hängt maßgeblich von seinen frühen Bindungserfahrungen im Kindesalter ab. Sind die frühen Bindungen verlässlich, beschützend und wertschätzend, ermöglichen sie dem späteren Erwachsenen, sich auf der Grundlage einer inneren sicheren Basis im Leben voranzubewegen, flexible, gleichberechtigte Bindungen einzugehen und insgesamt ein gesundes Gleichgewicht zwischen Bindung und Individualität, zwischen Nähe und Distanz, zu leben. Je unsicherer oder negativer jedoch die frühen Bindungserfahrungen sind, umso mehr kann sich ein Mensch in einem ständigen Nähe-Distanz-Konflikt befinden, sprich: Sich einsam fühlen, wenn keine starke Bindungsperson verfügbar ist, sich aber gleichzeitig von zu großer Nähe bedroht und erdrückt fühlen.
Viele der Outlaws in Sons of Anarchy scheinen sich in einem latenten Nähe-Distanz-Konflikt zu befinden. An der Oberfläche lehnen sie Verbindlichkeiten, feste Beziehungen und einen Platz in der durch Normen definierten bürgerlichen Gesellschaft ab, predigen Anarchie, persönliche Freiheit und Außenseitertum. Vermutlich haben viele von ihnen eher ungute und instabile frühe Beziehungserfahrungen gemacht, so wie zum Beispiel Jax, der seinen Vater und Bruder verlor, dessen Stiefvater ein Gewaltverbrecher und dessen Mutter eine egozentrische und möglicherweise psychisch kranke Frau war.
Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die Outlaws der Sons of Anarchy ein geradezu übergroßes Bedürfnis nach Bindung und Nähe haben, was sich in der scheinbar endlosen, gänzlich unkritischen und unentwegt beschworenen Treue und Liebe zum Club und zur Familie (was für viele dasselbe ist) ausdrückt.
Der berühmte Psychoanalytiker Donald W. Winnicott* hat erkannt, dass hinter dissozialem, also regelverletzendem bzw. kriminellem Verhalten, häufig eine Hoffnung auf Bindung und Nähe – und sei es in Form von Strafe – steht.
So erscheinen uns die Söhne der Anarchie, aus einem psychologischen Blickwinkel betrachtet, als ehemals unsichere und im Stich gelassene Kinder, welche die dem menschlichen Leben immanente latente Spannung zwischen den einander entgegengesetzten Bedürfnissen nach Nähe und Distanz nicht aushalten und moderat in Form reifer, differenzierter Beziehungen lösen können.
So gibt es nur bedingungslose Liebe oder grenzenlosen Hass. Selbstaufgabe oder Anarchie.
Nähe bedeutet Unterwerfung, Distanz bedeutet Tod.
Gotta live this life `till you die…
*Winnicott, D.W. (2015). Aggression: Versagen der Umwelt und Antisoziale Tendenz. Klett-Cotta, 6.dt. Auflage.