Mr. Robot: Elliot

SPOILERWARNUNG: Wer die erste Staffel von Mr. Robot noch nicht bis zum Ende gesehen hat, sollte hier nicht weiterlesen, da der Text überraschende Wendungen zum Ende der Staffel vorwegnimmt.

Elliot Alderson aus Mr. Robot hat zunächst eine recht typische soziale Phobie, das heißt er hat Angst vor sozialen Situationen, also Essenseinladungen, Small-Talk usw. In der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F40.1) ist diese durch die folgenden Symptome definiert: 
  • Deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten
  • Deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen die Furcht besteht, sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten
  • Mindestens zwei Angstsymptome in den gefürchteten Situationen, z.B. Erröten, Zittern, Schwitzen etc.
  • Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten.
  • Einsicht dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben und unvernünftig sind
  • Die Symptome beschränken sich ausschließlich oder vornehmlich auf die gefürchteten Situationen oder auf Gedanken an diese
Elliots Vermeidungsverhalten, also sein weitgehender sozialer Rückzug, macht ihn jedoch so einsam, dass er seine Gefühle mit Drogen dämpfen muss. Dadurch gerät er in einen Teufelskreis aus Angst, Vermeidung und Selbstvorwürfen. Elliot nimmt vor allem Morphin, ein stark wirksames Schmerz- und Betäubungsmittel aus der Gruppe der Opioide, ein, konsumiert aber auch Cannabis, Extasy und das ebenfalls opioidhaltige Entzugsmittel Suboxone. Während er die leichteren Drogen scheinbar eher unter Kontrolle hat, zeigt Elliot deutliche Anzeichen einer Opioidabhängigkeit (ICD-10: F11.2):
  • Starkes Verlangen, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle oder Kontrollverlust über Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums
  • Körperliche Entzugserscheinungen, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird
  • Toleranzentwicklung, d.h. es müssen immer größere Mengen konsumiert werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen
  • Gedankliche Einengung auf den Konsum, d.h. Aufgabe oder Vernachlässigung von Interessen und Verpflichtungen
  • Fortgesetzter Substanzkonsum trotz eindeutig schädlicher Folgen
Die erwünschte Wirkung der Drogen ist natürlich immer nur vorübergehend. Als zu dieser ohnehin sehr belastenden Situation auch noch immer mehr Stress hinzukommt, entwickelt Elliot eine multiple Persönlichkeitsstörung. Diese schwere und seltene Störung wird diagnostiziert, wenn die folgenden Kriterien vorliegen (ICD-10: 44.81):
  • Zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb eines Individuums, von denen zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils eine in Erscheinung tritt
  • Jede Persönlichkeit hat ihr eigenes Gedächtnis, ihre eigenen Vorlieben und Verhaltensweisen und übernimmt zu einer bestimmten Zeit, auch wiederholt, die volle Kontrolle über das Verhalten der Betroffenen
  • Unfähigkeit, wichtige persönliche Informationen zu erinnern
  • Überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen
Elliot erfüllt diese Kriterien. Dass beide Persönlichkeiten gleichzeitig aktiv sind und auch noch so lebhafte Dialoge führen, wie das in Mr. Robot dargestellt wird, ist dagegen eher unrealistisch.  

Dass Elliots multiple Persönlichkeitsstörung ausbricht, hängt maßgeblich mit der Angst und dem Stress zusammen, die er aufgrund seiner sozialen Phobie hat. Auch der Drogenmissbrauch könnte hierzu beigetragen haben. Als er sich immer mehr einsam, verlassen und überfordert fühlt, spaltet er einen Teil seiner Persönlichkeit unbewusst innerlich ab. Dieser Persönlichkeitsanteil erhält die Gestalt seines Vaters, vor dem er zwar große Angst hat, den er aber auch als stark und mächtig erlebt hat. Ohne es zu wissen, erhofft er sich von seinem Vater, dass diese seine Probleme löst und die großen Herausforderungen bewältigt.

Dieser Mechanismus, der zwar hoch pathologisch ist, in sich aber dennoch eine gewisse Logik hat, ist ein gutes Beispiel dafür, dass psychiatrische Symptome, so eigenartig sie auch wirken mögen, sehr häufig auch eine bestimmte Funktion erfüllen. Man nennt dies Krankheitsgewinn. Nur ist es im echten Leben meist so, dass der psychische und/oder soziale Schaden, der für die betroffene Person dadurch entsteht, schnell den Nutzen überwiegt.

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3 Kommentare

  1. Hallo Niklas,
    ich habe gerade die letzte Staffel von Mr. Robot beendet und bin beeindruckt, wie sehr die Drehbuchautoren sich in das Themenfeld der Dissoziativen Identitätsstörung eingelesen haben müssen. Was in der letzten Staffel ans Licht kommt, wirft noch einmal ein anderes Licht auf seine Diagnosen. Hast du die Serie ebenfalls zu Ende geschaut? Falls nicht, empfehle ich dies dringend und würde mich über eine ausführliche Besprechung im Podcast freuen.
    Liebe Grüße!
    Christiane

  2. Hey,
    nein, leider bin ich damals nicht über die erste Staffel hinausgekommen. Die haben wir auch schon im Podcast besprochen. Eines schönen Tages schaffe ich vielleicht noch den Rest…

  3. Hallo zusammen, ich kenne bisher nur die erste Staffel und habe heute den Podcast gehört. Mir ist hängengeblieben, dass du sagtest, es müsse in der Kindheit ein Trauma stattgefunden haben, damit es zu einer derartigen Abspaltung von Persönlichkeitsanteilen kommen kann.

    Daraufhin habe ich mir nun die erste Folge nochmals angeschaut. Dort hatte ich bereits mit der ersten Szene das Gefühl, dass es um Kinderpornographie bzw. in weiteren Andeutungen in der ersten Folge um sexuellen Missbrauch an Kindern bzw. generell sexuellen Missbrauch geht.

    Ich hatte die Serie schon beiseite gelegt. Aber jetzt muss ich tatsächlich weiterschauen, weil ich wissen möchte, ob ich richtig liege.

    Es ist immer wieder spannend, was in Filmen und Serien steckt, die heutzutage viel nur nebenbei konsumiert werden, ohne ihnen längeres oder größeres Interesse zu widmen. Vielen Dank für den Podcast!

    Beste Grüße
    Karina