The Purge, Es, Scream: Clowns hinter Masken


Über Phänomene wie die sogenannten Horror-Clowns sollte man so wenig wie möglich berichten. Nicht nur, weil sie aufgrund ihrer Seltenheit kaum relevant sind, sondern vor allem auch, weil dadurch den Tätern unverdiente Aufmerksamkeit zuteilwird und dies wiederum Nachahmer animieren könnte. Aus der Suizidforschung kennen wir den sogenannten Werther-Effekt, benannt nach der ersten bekannten medial ausgelösten Suizidwelle infolge des Erscheinens von Goethes Leiden des jungen Werther.

„So verwirrten sich meine Freunde daran, indem sie glaubten, man müsse die Poesie in Wirklichkeit verwandeln […] und sich allenfalls selbst erschießen: und was hier im Anfang unter Wenigen vorging, ereignete sich nachher im großen Publikum“
J. W. v. Goethe

Der Werther-Effekt, also das animiert werden zur eigenen Durchführung suizidaler Handlungen infolge der öffentlichkeitswirksamen Darstellung ebensolcher, ist besonders stark, wenn die Berichterstattung emotionalisiert, detailreich, verherrlichend oder romantisierend ist und die Persönlichkeit und ihre individuellen Beweggründe intensiv zu analysieren versucht. Schillernde, raumgreifende Fotos, Grafiken und Überschriften tragen zur Aufmerksamkeit und damit zu der Verheißung, diese im Falle einer Nachahmung auch zu bekommen, bei.
Die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention hat daher Empfehlungen für die mediale Berichterstattung über Suizide veröffentlicht.


Dass ich mich jetzt an dieser Stelle dennoch mit den Clowns befasse, liegt an meinen Patientinnen und Patienten, die sich derzeit stark mit dem Thema beschäftigen. Ein zehnjähriger Junge war sehr aufgeregt, weil er fürchtete, die Clowns würden, wie er es in The Purge gesehen hatte, aufgrund ihrer Maskierung ungestraft mordend durch die Stadt ziehen und es käme an Halloween zur großen „Säuberung“ (dt. Untertitel des Films The Purge).

The Purge, Es, Scream… Aggressive Gewalttäter mit maskierten Gesichtern sind uns aus der Popkultur vertraut. Dabei ist die Tatsache, dass die Maske die Mimik – und damit den wichtigsten Teil der nonverbalen Kommunikation – verbirgt, entscheidend und weniger das, was die Maske darstellt. Der Blick ins Gesicht des Gegenübers gibt uns normalerweise Aufschluss über dessen Gestimmtheit, Motive und Einstellungen uns gegenüber. Fehlen diese Signale, fehlt uns Information, die uns die soziale Situation verstehbar, überschaubar und damit handhabbar macht und uns so Sicherheit vermittelt.

Handelt es sich um Clowns, mag der Kontrast zwischen einer eigentlich als lustig geltenden Darstellung und dem aggressiv-bedrohlichen Auftreten, die Verwirrung und damit die Angst noch etwas verstärken. (Deshalb ist der Joker aus The Dark Knight zwar bedrohlich, aber weniger gruselig, weil sein Lächeln gar keines mehr ist und damit die Gesamterscheinung weniger diskrepant wirkt). Allerdings haben viele Kinder auch schon vor normalen Clowns Angst. Auch hier zeigt sich also die verstörende Wirkung fehlender nonverbaler Signale.

Die groteske Verschleierung der nonverbalen sozialen Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten ist ein Grund für die ängstigende Wirkung von Masken.
Ein zweiter ist unser unbewusstes Wissen um den psychologischen Effekt der De-Individuation: Wird die eigene, individuelle Identifizierbarkeit reduziert – sei es weil wir Teil einer anonymen Masse sind, weil wir anonym im Internet kommunizieren, weil wir uniformiert, oder eben maskiert sind – reduziert dies die Hemmung aggressiver und antisozialer Impulse, die Tendenz zu normverletzenden und extremeren Verhaltensweisen steigt. Da wir diesen Effekt aus eigener Erfahrung kennen, unterstellen wir ihn (zu Recht) auch den maskierten Clowns und fürchten deren enthemmte Aggression.

Im Kino kann das Spaß machen, weil uns die maskierten Monster die Möglichkeit geben, intensive Erregung in Form von Angst, Schreck und Ekel (gefolgt von intensiv erlebter Erleichterung) zu empfinden, und in dem Wissen um die Fiktionalität des gezeigten, in der Sicherheit des Kinosessels, nicht dauerhaft die Kontrolle über diese Gefühle zu verlieren. (Dass dies meinem zehnjährigen Patienten nicht gelungen ist, verdeutlicht den Sinn und die Notwendigkeit von Altersbeschränkungen solcher Medien.)

Nun habe ich also doch über die Horror-Clowns geschrieben. Ich habe mich bemüht, dies in sachlichem Ton zu tun und verzichte auf reißerische, emotionsgeladene Bilder und auf den Versuch einer Analyse oder gar Mystifizierung der Motive der Täter.
Bleibt mir noch, in Kenntnis der begrenzten Reichweite und Zielgruppe meines Blogs, darauf zu hoffen, dass sich ohnehin keine potentiellen Nachahmungstäter unter den Lesern befinden.


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