The Big Bang Theory: Sheldon

Der Physiker Dr. Dr. Sheldon Cooper ist eine der Hauptfiguren der Comedyserie The Big Bang Theory. Er lebt mit seinem Kollegen und Freund Dr. Leonard Hoffstatter in einer Wohngemeinschaft in Californien. Weitere wichtige Bezugspersonen sind der Astrophysiker Dr. Rajesh Koothrappali, der Ingenieur Howard Wolowitz und Sheldons Nachbarin Penny.
Sheldon Cooper ist nicht nur intellektuell hochbegabt, er erfüllt auch die diagnostischen Kriterien* eines angeborenen Asperger-Syndroms. Diese tiefgreifende Entwicklungsstörung aus dem Autismusspektrum wird nach ICD-10 (F84.5) durch die folgenden Kriterien beschrieben:
  • Qualitative Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktionen
  • Eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten
  • Keine allgemeine Entwicklungsverzögerung
  • Kein Entwicklungsrückstand der Sprache
 
Die qualitativen Abweichungen in der sozialen Interaktion zeigen sich in Sheldons mangelnder Empathiefähigkeit, seinem scheinbaren Desinteresse an den Meinungen und Gefühlen seiner Mitmenschen sowie in seinen Schwierigkeiten, Humor und Sarkasmus zu verstehen.
Sheldons Aktivitäten unterliegen einem zwanghaft bis in Detail durchorganisierten Ablauf. Abweichungen von der Routine versetzen ihn in höchste Anspannung, weshalb er stets bemüht ist, seiner Umwelt seine Abläufe und Rituale aufzuzwingen. Ebenfalls charakteristisch für das Asperger-Syndrom sind seine Spezialinteressen und sein detailversessenes Wissen bzgl. Naturwissenschaften, Science Fiction und Modelleisenbahnen.
Die beiden letztgenannten Diagnosekriterien (fehlende allgemeine und sprachliche Entwicklungsverzögerung) dienen v.a. der Abgrenzung des Asperger-Syndroms vom frühkindlichen Autismus (sog. Kanner-Autismus). Dass Sheldon durch eindeutig überdurchschnittliche intellektuelle (IQ von 187) und sprachliche Fähigkeiten imponiert, stützt die Diagnose des Asperger-Syndroms.
 
Sheldon wuchs, gemeinsam mit einer Zwillingsschwester, in einer Familie der amerikanischen Mittel- bis Unterschicht auf. Weder Eltern noch Schwester scheinen seine intellektuellen Begabungen und wissenschaftlichen Interessen geteilt zu haben. Es gibt viele Hinweise darauf, dass er von Beginn an sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie als Sonderling galt. Sheldons Vater konnte mit dem Sohn, welcher seine Interessen (Football und Jagen) nicht teilte, offenbar nichts anfangen und zog sich enttäuscht von ihm zurück. Es lässt sich vermuten, dass auch seine attraktive und mutmaßlich in der Peergroup beliebte Schwester nicht unbedingt den engen Kontakt zu ihrem sonderbaren und schwierigen Bruder suchte.
 
So blieben Sheldon als primäre Bezugspersonen eine nicht näher charakterisierte Omi und seine Mutter, Mary. Mary verwöhnte ihren Sohn auf einer oral-regressiven Ebene, kochte ihm sein Lieblingsessen (Pasta mit Würstchen) und bemutterte ihn, wenn er krank war. Allerdings forderte sie dafür von ihm die widerspruchslose Unterordnung unter ihr konservativ-religiös geprägtes Normen- und Wertesystem und strafte Abweichungen und Widerspruch durch harsche Kritik. Somit konnte sich Sheldon mit seinen Interessen und intellektuellen Leistungen auch bei ihr nicht akzeptiert und aufgrund seines wahren Ichs geliebt fühlen.
 
In dem allgegenwärtigen Bewusstsein, anders als alle anderen zu sein, von diesen nicht wirklich angenommen zu werden und nicht dazuzugehören, zieht Sheldon seine immer wieder enttäuschten Beziehungswünsche von den Mitmenschen ab und sucht Erfüllung im eigenen intellektuellen Binnenraum, wo er wissenschaftliche Höchstleistungen vollbringt und sich in die Rolle der (gerade aufgrund ihrer Andersartigkeit) allseits bewunderten Superhelden seiner Comics und Computerspiele phantasiert.
Seine intellektuelle Überlegenheit nutzt er immer wieder dazu, verdrängte Selbstzweifel zu unterdrücken, häufig auch auf Kosten Anderer, die er durch seine narzisstische Selbstüberhöhung kränkt.
 
Ein heimlicher unbewusster Versuch, sich doch noch die ersehnte liebevolle Zuwendung seiner Bezugspersonen zu sichern, ist für Sheldon (entsprechend den frühen Erfahrungen mit seiner Mutter) die Krankenrolle. So drückt sich der verdrängte Versorgungswunsch als manifeste Hypochondrie (ICD-10: F45.2) aus:
  • Beharrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit, an einer oder mehreren schweren und fortschreitenden körperlichen Krankheiten zu leiden
  • Anhaltende körperliche Beschwerden oder anhaltende Beschäftigung mit ihren körperlichen Phänomenen
  • Interpretation normaler oder allgemeiner Körperwahrnehmungen und Symptome als abnorm und belastend 

 
Im Falle einer tatsächlichen Erkrankung (z.B. Erkältung) reagiert Sheldon übertrieben regressiv und fordert von seinen Bezugspersonen maximale Betreuung und Zuwendung ein. Auch hier verlangt er die Einhaltung eines bis ins Detail festgelegten Verfahrensablaufs (Zubereiten von Hühnersuppe, Einreiben der Brust, Singen des Katzentanzlieds), was dem Bedürfnis des Asperger-Autisten nach Routine und Stereotypisierung entspricht.

 
Psychodynamisch-interaktionell wird hier Sheldons Versuch deutlich, den Kontakt zu anderen Menschen soweit zu standardisieren (Mitbewohnervereinbarung, Beziehungsrahmenvereinbarung), dass er stets vollständige Kontrolle über die Regulation von Nähe und Distanz hat, um nicht Gefahr zu laufen, durch zu große Nähe zu Anderen von diesen beschämt und gekränkt zu werden, wie er es seit frühester Kindheit immer wieder erlebt hat. Auch die radikale Verleugnung jeglicher sexuellen Bedürfnisse erklärt sich dadurch.

 
* In einer früheren Version dieses Beitrags schrieb ich, dass Sheldon Cooper unter einem Asperger-Syndrom „leidet“. Dankenswerterweise wurde ich darauf hingewiesen, dass Menschen mit Asperger-Syndrom unter dieser Diagnose nicht zwangsläufig leiden müssen. Siehe dazu auch hier.

 

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7 Kommentare

  1. Sheldon's Handlungstendenzen lassen ihn geradezu als archetypischen Aspie erscheinen- auch wenn die Autoren leugnen, er sei einer.

    Denkbar wäre aber auch eine strukturelle Dissoziation mit der anscheinend normalen autistisch wirkenden Sheldon-Persönlichkeit(ANP) und mindestens einer abgespaltenen emotionalen Persönlichkeit (EP), die in einem frühkindlichen Stadium feststeckt.

    Das würde freilich eine frühkindliche komplexe Traumatisierung (etwa Mißbrauch) voraussetzen, von der die Autoren aber bisher nichts angedeutet haben (das wäre wahrscheinlich auch ein Tabu für eine Commedy-Serie)

  2. "Sheldon lebt also in einem ständigen Kampf gegen die Einsamkeit und das latente, in seinem Unbewussten lauernde Gefühl,…."

    Naja, ob man das unbedingt als "Kampf" bezeichnen muss, weiss ich nicht. Er kennt das "Leben" nicht anders, so dass sein Gehirn sich voll und ganz auf diese (von uns als Störung angesehene) Lebensweise angepasst hat. "Normal" zu sein wäre meiner Meinung nach ein Kampf im Sheldons Universum 🙂

  3. Wenn Sheldon Asperger hat, dann auch 90 % der Bevölkerung. Von eingeschränkter Zahl von Interessen kann bei Sheldon eigentlich keine Rede sein. Er teil mit seinen Freunden Raj, Howard und Leonard eine große Anzahl an Interessen und Freizeitaktivitäten. Bei diesen ist er nicht einfach nur "dabei", sondern er engagiert sich auch aktiv bei der Gestaltung. Eine alternative nosologische Einstufung für Sheldonn wäre:

    F60.5 Anankastische [zwanghafte] Persönlichkeitsstörung

  4. Sheldons Erleben und Verhalten scheint mir doch erheblich von demjenigen von 90 % der Bevölkerung abzuweichen, auch wenn es sich im Laufe der Serie zunehmend differenziert. Seine Interessen sind deutlich auf Naturwissenschaften/Technik und Science Fiction/Fantasy eingeschränkt. Das alleine ist selbstverständlich nicht pathologisch, passt aber ins Gesamtbild. Die Kriterien für die anankastische Persönlichkeitsstörung wären erfüllt, aber da die Asperger-Diagnose das Gesamtbild weit besser erklärt, insbesondere auch die kommunikativen Besonderheiten, ist sie vorzuziehen. Die Zwanghaftigkeit wird durch sie ebenso abgedeckt und muss folglich nicht gesondert codiert werden.

  5. An meine Vorredner: Ist es wichtig, welche Störung Sheldon ganz genau hat? Es geht doch um eine Kategorisierung nach einem bestimmten Schema – und das ist weder auf dem Baum gewachsen noch unwandelbar.

    Für Sheldon ist das irrelevant. Er leidet tatsächlich, aber nicht unter seiner Störung, sondern unter seinen seltsamen, unlogischen, triebgesteuerten und ihm intellektuell unterlegenen Mitmenschen.

    Empfindet er das nur aufgrund seiner Störung? Nein, denn als Mensch mit einem IQ von 187 könnte er auch ganz ohne Störung so denken, ein Fehler, den hohe Intelligenz oft mit sich bringt.

    Ja, er hat wahrscheinlich Asperger. Aber seine hohe Intelligenz erlaubt es ihm, diesen zu kanalisieren, auch wenn ihn das sehr weit von vielem abschneidet, was andere Menschen als das empfinden, was das Leben erst lebenswert macht.

    Er aber leidet nicht darunter, zumindest nicht mehr, als andere Menschen mit ihrer sexuellen oder emotionalen Unsicherheit zu kämpfen haben. Das macht es auch so frustrierend, mit ihm Umgang zu haben, denn obwohl er nicht "normal" ist, wäre Sheldon für jeden Psychotherapeuten eine unknackbare Nuss.

    Was ja seine Beziehung zu Leonards Mutter so witzig macht, die ähnlich unemotional ist und ihn viel leichter verstehen und akzeptieren kann als den eigenen Sohn, obwohl sie es professionell besser wissen sollte.

  6. Nach seiner eigenen Aussage (in einem Zwiegespräch mit Penny) leidet er eindeutig darunter und bekennt dabei, dass er gerne „etwas mehr so wie seine Mitmenschen wäre“. Er erkennt an mehreren Stellen, dass ihm sehr viele Erfahrungen und Informationen dadurch verwehrt bleiben. Er gibt klar an, dass er damit unglücklich ist und die Situation gerne ändern würde und dass es ihm auch manchmal Angst einjagt, weil er sein soziales Umfeld nicht vor den Kopf und dadurch verlieren möchte. Das wird besonders in den letzten Staffeln überaus deutlich.