Demon Slayer: Water Breathing

In der Animeserie Demon Slayer wenden die Protagonist*innen verschiedene Atemtechniken an, um ihre Konzentration und Kampfkraft zu steigern.
Auch in der Psychotherapie kann die Atmung als hilfreicher „Anker“ eingesetzt werden. Viele dysfunkionale Erlebens- und Verhaltensweisen, welche im Leben zu Problemen und Leidensdruck führen, bestehen vor allem deshalb dort, weil sie unbewusst, quasi automatisch als Reaktion auf bestimmte Auslöser (gerne auch „Trigger“ genannt) erfolgen. Wären wir uns immer unserer Handlungsimpulse, deren Konsequenzen und Alternativen voll bewusst, würde allein das die Wahrscheinlichkeit des Problemverhaltens deutlich reduzieren. Die Psychologin Tara Brach fasst eine einfache und doch sehr wirksame Technik zur Selbstregulation in das griffige Akronym  R-A-I-N :

  1. Recognize what is happening
  2. Allow the experience to be there
  3. Investigate with interest and care
  4. Nurture with self-compassion

Ich habe R-A-I-N für meine deutschsprachigen Psychotherapien in R-A-U-M (für Veränderung) übersetzt:

Diese vier kurzen Schritte können schon sehr helfen, in angespannten, ängstigenden, überfordernden Situationen nicht in einer zu destruktiven Weise z.B. mit Aggression, Vorwürfen, Rückzug, Vermeidung, Scham oder Schuldgefühlen zu reagieren, sondern etwas bewusster und dadurch vielleicht abgewogener, moderater, konstruktiver zu handeln.
Hierbei kann eben die Atmung ein hilfreicher Anker sein: Wenn ich realisiere, dass ich gerade sehr angespannt bin, kann ich, kann ich mir bereits mit nur einem tiefen Atemzug Die Zeit verschaffen, um zu untersuchen, was gerade los ist und daraus Schlüsse für ein angemessenes, konstruktives Handeln zu ziehen. Dieses Handeln kann auch erstmal nach Innen gerichtet sein, z.B. durch ein paar weitere tiefe, bewusste Atemzüge für noch mehr Beruhigung und Fokus zu sorgen.

Tara Brach entlehnt ihre R-A-I-N-Technik der Achtsamkeitslehre des in Asien entstandenen Zen- Buddhismus. Insofern ist es nicht überraschend, dass in einem Anime wie Demon Slayer auch die Dämonenjäger*innen auf Techniken der achtsamen Atmung zurückgreifen um sich in Situationen größter Bedrohung und Anspannung zu fokussieren. Besonders eine Variante des Water Breathing, die sich Dead Calm nennt, weißt hier große Ähnlichkeit zu real eingesetzten Atemtechniken auf: Bei dieser Technik wird der Körper ganz still gehalten, volle Konzentration angestrebt und dadurch maximaler Fokus auf den zu bewältigenden Angriff ermöglicht. Das Wasser als Symbol passt hier sehr gut, denn so sanft und flexibel es ist, bezieht es gerade dadurch seine Widerstandskraft und Beharrlichkeit („steter Tropfen höhlt den Stein“).

In den buddhistisch orientierten Achtsamkeitsmethoden wird das Wasser daher ebenfalls gerne als Metapher verwendet: Ein aktuell sehr intensives Gefühl kann wie eine Welle sein, die uns mitreißen, runterziehen und uns vermeintlich die Luft zum Atmen nehmen kann. Letztlich jedoch geht jede, auch noch so mächtige Welle wieder ins Meer über, welches still und ewig die Gezeiten überdauert. Ebenso können wir lernen, heftige Gefühle auszuhalten, ohne uns vollständig mitreißen zu lassen, in dem Wissen, dass sie wieder abflauen werden und wir dann wieder zur Gelassenheit zurückfinden können („be the ocean, not the wave“). Und was hilft, um von einer starken Welle nicht zu weit mitgerissen zu werden? – Genau: Ein Anker.

Wenn also das nächste Mal alles zu viel wird, wir uns angegriffen, überfordert und verzweifelt fühlen und vielleicht in der Gefahr sind, ernsthaft destruktiv zu reagieren: Atmen!
Oder, für die Anime-Fans: Total Concentration! Water Breathing!

 

Weiterlesen

Cobra Kai und Karate Kid: Atem und Balance

Mister Miyagi, Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/File:Pat-Morita_(Karate_Kid).jpg

Inzwischen hat die Karate Kid Sequelserie Cobra Kai auf Netflix schon vier Staffeln. Genau wie die Filmreihe wird auch die Serie von Staffel zu Staffel schlechter, wie so oft, wenn die eigentliche Geschichte erzählt ist und Plots und Twists immer absurder werden müssen, um noch so etwas wie einen Spannungsbogen hinzubekommen. Für Karate Kid Fans ist Cobra Kai trotzdem ein großer Spaß. Wer hingegen nicht als Kind der Achtziger den Kranich geübt hat, verpasst fast nichts. 

Außer den Bezügen auf Mister Miyagis zeitlose zen-buddhistische und daoistische Weisheiten (Die 10 besten hier im Überblick), die schon die Filme zu etwas besonderem gemacht haben. Beispiel: „Wenn du fühlen das Leben geraten aus Fokus, immer zurückkehren zu Grundlage von Leben. Atmen. Kein Atem, kein Leben.“ Was vor Mister Miyagi seit Jahrhunderten schon Zen-Meister und Yogis wussten, ist inzwischen auch wissenschaftlich bestätigt: Ruhiges, gleichmäßiges Atmen entspannt und ist gesund. (mehr dazu bei Spektrum oder BBC). Dabei ist es für die Wirksamkeit ganz egal, ob man im Lotossitz vipassana-meditiert, eine Fantasiereise, Yoga oder autogenes Training macht, Rosenkranz betet oder einfach nur mit z.B. mit der kostenlosen App breathe die Atemfrequenz ganz direkt steuert: Der persönliche Zugang ist reine Geschmackssache, nur auf die Atmung kommt es an. 

Ein weiteres zentrales Thema von Cobra Kai und Karate Kid ist Balance, das Grundprinzip der einflussreichen chinesischen Philosophie des Daoismus (wikipedia). Im Tao Te King (kindle, spotify) von Laotse, quasi der Bibel des Daoismus, heißt es: 
 
Wenn gewisse Dinge als schön gelten, werden andere Dinge hässlich. Wenn gewisse Dinge als gut gelten, werden andere Dinge schlecht. Sein und Nichtsein erzeugen einander. Schwer und Leicht vollenden einander. Lang und Kurz gestalten einander. Hoch und Tief bestimmen einander. Vorher und Nachher folgen einander. 
[…] Verehrt man die Großen zu sehr, werden die Menschen kraftlos. Steht Besitz zu hoch im Kurs, beginnen die Menschen zu stehlen…“ 
 
Das ewige, um Balance bemühte Hin und Her der Gegensätze ist ein Grundmuster von Cobra Kai. Kreese, Johnny, Hawk – in jeder Generation von Cobra Kai findet sich jemand, der aus einer Erfahrung der Erniedrigung und Kleinheit heraus, Stärke und Ermächtigung durch den Weg der Faust (Zuerst schlagen, hart schlagen, keine Gnade!) strebt, was mit der Zeit ins Gegenteil umschlägt, um sich schließlich (mal mehr, mal weniger) in Richtung Mitte (Balance!) einzupendeln. 
Genauso im Miyagi-Do: Miyagi selbst ein traumatisierter Kriegsheld, Daniel ein impulsiver Heißsporn und Robby ein zynisch-rücksichtsloser Kleinkrimineller. Sie alle finden durch das auf Kontemplation und Defensivität ausgerichtete Miyagi Do-Karate zu mehr Ruhe und innerem Frieden, wenngleich auch dieser durch das ewige Ringen um Balance immer wieder ins Gegenteil umschlägt (selbst bei Meister Miyagi, wenn er den Whisky und die alten Fotos rausholt).
 
In der Medizin und Psychologie spricht man von Homöostase (wikipedia): Systeme wir Körper und Psyche streben nach Gleichgewicht durch das Ausbalancieren entgegengesetzter Kräfte: Schlaf vs. Wachheit, Aktivität vs. Entspannung, Wachstum vs. Stagnation, Beziehung vs. Selbstverwirklichung… Dabei ist die Homöostase nie ein statisches Mittelmaß, sondern immer eine dynamische Pendelbewegung. 
In der Tiefenpsychologie gehen wir, auf dem Homöostasemodell aufbauend, von sieben zentralen Grundkonflikten aus, die jeder Mensch in einer für sich individuell zu findenden Balance lösen muss, um Gesundheit, Selbstverwirklichung und gelingende Beziehungen zu erreichen, z.B.: 
  • Abhängigkeits- vs. Individuationskonflikt (Suchen von zwischenmenschlicher Nähe vs. Individueller Selbstverwirklichung) 
  • Selbstwertkonflikt (Selbstüberschätzung vs. Selbstabwertung) 
  • Schuldkonflikt (Ich bin an allem schuld vs. die anderen sind an allem schuld) 
  • (Detaillierte Beschreibungen der einzelnen Konflikte anhand von Filmbeispielen auf filmschreiben.de
 
In den Formulierungen der Grundkonflikte kommt die Bipolarität menschlichen Denkens und Fühlens zum Ausdruck. Jedes Konfliktthema lässt sich auf dem Kontinuum zwischen zwei Extremen verstehen. Je extremer und einseitiger ein Konflikt gelöst wird, umso dysfunktionaler ist dieser Modus des Erlebens und Verhaltens. Forciertes Überkompensieren kann ebenso problematisch sein, wie passive Vermeidung. Extreme Modi führen dazu, dass auf verschiedene innere und äußere Anforderungen unflexibel in immer derselben Weise reagiert wird, was das Funktionsniveau verringert, sekundäre emotionale und soziale Kollateralschäden verursacht und die Entwicklung neurotischer Symptome begünstigt. 
Beispiel: Kreese und Johnny haben zwar ähnliche Konfliktmuster – ein forciertes Überkompensieren von Unsicherheit und Kränkung durch Stärke und Dominanz – aber bei Creese ist dieses extremer und unflexibler ausgeprägt, was ihn dysfunktionaler und für seine Umwelt toxischer macht, als Johnny, der dann doch immer wieder einlenken kann und zu moderateren Lösungen kommt. 
 
Das höchste Maß an psychischem und sozialem Wohlbefinden können wir folglich erwarten, wenn alle wichtigen Konfliktthemen ausreichend stabil und dabei ausreichend flexibel ausbalanciert sind. Dieses flexible Variieren innerhalb eines der eigenen Persönlichkeit entsprechenden mittleren Bereichs sorgt für psychische Homöostase und ein hohes psycho-soziales Funktionsniveau. Oder, wie Mister Miyagi sagen würde: Balance. Um aber diese Balance ständig immer wieder neu zu finden, das Leben immer wieder neu auszubalancieren, braucht es den Gegensatz, den Konflikt. Braucht es Miyagi Do und Cobra Kai – und manchmal sogar Eagle Fang…

Weiterlesen