Luke: „Was werde ich dort finden?“ – Yoda: „Nur, was Du mit Dir nimmst…“
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Zum Ende des Jahres kommen hier meine persönlichen Top 3 Serien aus 2024
3. The Bear – King of the Kitchen (Disney+)
The Bear – Kind of the Kitchen ist kein leichter Genuss, sondern schwere, gehaltvolle Kost. Nicht nur auf der Inhaltsebene erzählt die Serie von traumatisierten und traumatisierenden Familienbeziehungen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Auch „Look an Feel“ der Serie selbst, sind geprägt von Gefühlen, Erlebens- und Verhaltensweisen, die charakteristisch sind für Traumafolgestörungen, insbesondere sog. Entwicklungstraumata (also solche, die eher nicht durch ein katastrophal einschneidendes Ereignis, wie z.B. einen Verkehrsunfall oder eine Naturkatastrophe, sondern durch anhaltende belastende Bedingungen in der Kindheit, wie instabile, aggressive oder abwesende Bezugspersonen). Die Atmosphäre ist geprägt durch das ständige Erleben von Anspannung, Druck, Angst etwas falsch zu machen/zu versagen. Nicht selten entlädt sich diese Anspannung in impulsiver Aggression gegen andere oder sich selbst, was weitere Belastungen und schlimmstenfalls Traumata verursacht. Hauptcharakter Carmen (gespielt von dem von mir bereits als Lip in Shameless verehrten Jeremy Allen White) erlebt zudem noch regelmäßig Intrusionen (quälende Erinnerungen und innere Stimmen) als Folge seiner traumatischen Erlebnisse in einer Lehrküche. In der Psychotraumatologie nennt man den Zustand eines chronisch übererregten Nervensystems Hyperarousal (Wikipedia): Das Gehirn, welches in der Vergangenheit die Erfahrung immer wiederkehrender Bedrohung/Verletzung gemacht hat, bleibt permanent angespannt, um auf mögliche erneute Bedrohungen schnell mit Kampf- oder Fluchtverhalten reagieren zu können. Allerdings führt dies auf Dauer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu diversen negativen Folgesymptomen, wie Nervosität/Hektik/Fehlern, erhöhter Schreckhaftigkeit und Kränkbarkeit, zwischenmenschlicher Aggressivität, Erschöpfung/Schlafstörungen/Burn-Out, kompensatorischem Substanzkonsum und am Ende gar Suizidalität. In The Bear werden uns diese tragischen Teufelskreise, das Leid das sie für alle Beteiligten bedeuten und die Anstrengung, die es bedarf, sich daraus zu lösen, nicht nur erzählt, sondern wir können sie regelrecht mitempfinden. Nicht wirklich ein Vergnügen und sicher nicht zu empfehlen für Menschen, die selbst komplex traumatisiert oder anderweitig akut psychisch belastet sind – aber ansonsten fesselndes, lehrreiches und faszinierendes Fernsehen.
2. Para – Wir sind King (Amazon prime)
Im Berlin-Universum des damals völlig zurecht gehypten deutschen Gangster-Epos 4 Blocks, spielt die Spin-Off-Serie Para – Wir sind King, bei der diesmal nicht starke Männer, sondern vier nicht minder starke junge Frauen im Mittelpunkt stehen. Diese haben mit allerhand gesellschaftlichen Benachteiligungen und Vorurteilen zu tun: Frau-Sein, Armut, Migrationshintergrund. Die Serie ist mit den vier großartigen Hauptdarstellerinnen, aber auch einer Vielzahl faszinierender Nebenrollen, erstklassig besetzt und schafft es so, überzeugend nicht nur die Lebensumstände, sondern auch die Gefühlswelt der Protagonistinnen zu erzählen. Dabei wird besonders deutlich, wie sehr das normabweichende und teils strafbare Verhalten der Vier, immer wieder aus dem Versuch entsteht, mit den materiellen, sozialen und emotionalen Folgen der bereits zuvor erfolgten Diskriminierung, Kränkung, Benachteiligung und Verletzung umzugehen, trotz diesen zu überleben. Hier zeigt sich uns der sozialpsychologische Etikettierungsansatz (bekannter als labeling approach, Wikipedia), nach dem normabweichendes, z.B. kriminelles, Verhalten eine Reaktion auf entsprechende Zuschreibungen als außerhalb bzw. unterhalb der Norm stehend sein kann. Als die Protagonistin Fanta zum Beispiel aggressiv auf die wiederholten subtil rassistischen Äußerungen ihres Lehrers reagiert, der sie aufgrund ihrer Hautfarbe als weniger intelligent und leistungsmotiviert vorverurteilt, scheint sich in ihrer Reaktion genau dieses Vorurteil zu bestätigen. Tatsächlich aber ist ihr Ausraster und der daraufhin fast folgende Schulabbruch nur richtig zu verstehen, wenn man die Belastungen kennt, denen Fanta zuvor durch den Lehrer ausgesetzt war. Gleiches gilt für die kriminellen Aktionen, welche die vier Mädchen immer wieder durchziehen müssen, um Para zu machen – Geld für sich, ihre Zukunft, ihre Familien aufzutreiben, in einer Gesellschaft, die ihnen von vornherein keine faire Chance gibt. Para – Wir sind King ist harter Stoff und konfrontiert die privilegierteren unter den Zusehenden mit der Nicht-Selbstverständlichkeit gesellschaftlicher Akzeptanz, materieller Sicherheit und unantastbarer Menschenwürde. Dabei ist die Serie aber auch spannend, witzig, elegant und lebendig – ein echtes Vergnügen.
1. Cobra Kai (Netflix)
Der Dauer-Fanliebling aller Kinder der 80er und 90er ging 2024 in die finale sechste Staffel (unnötigerweise auf drei Teile verteilt). Obwohl das Ganze insgesamt natürlich spürbar in die Länge gezogen wird und sich damit die immer selben Narrative wiederholen, ist gerade in der sechsten Staffel auch wieder alles dabei, was uns trotzdem begeistert dranbleien lässt: Action, Humor, Selbstreferenzen und 80er-Nostalgie. Über Cobra Kai habe ich schonmal hier auf dem Blog geschrieben und im Frühjahr 2025 – passend zur Veröffentlichung des letzten Teils der letzten Staffel – erscheint in einer Zeitschrift ein längerer Text von mir zum Thema, der dann auch hier verlinkt werden wird. In diesem Sinne: Cobra Kai Never Dies!
Auf ihrem Blog 28years.de schreibt Psychologin Alina über (erwachsene) Kinder suchtkranker Eltern. Für Charakterneurosen nimmt sie die Gallaghers aus der Kultserie Shameless unter die Lupe.
Die US-amerikanische Fernsehserie Shameless zeigt auf eindringliche Weise die zerstörerischen Auswirkungen von Frank Gallaghers Alkoholabhängigkeit. Diese betrifft nicht nur ihn selbst, sondern prägt auch das Leben seiner gesamten Familie.
Jedes Geschwisterkind entwickelt spezifische Bewältigungsstrategien. Einige davon spiegeln typische Verhaltensweisen wider, die oftmals in der Literatur und Forschung über Kinder aus alkoholkranken Familien beschrieben werden.
Fiona Gallagher ist die älteste Tochter des Gallagher-Clans. Als ihre Mutter Monica die Familie verlässt, als Fiona 16 Jahre alt ist, sieht sie sich gezwungen, die Hauptverantwortung für ihr Zuhause zu übernehmen.
Sie kümmert sich um ihre fünf jüngeren Geschwister und versucht, den durch Franks Alkoholabhängigkeit verursachten Zusammenbruch der Familie abzufedern. Fiona wird zur Ersatzmutter, Versorgerin und zentralen Stütze ihrer Geschwister – eine Rolle, die sie mit bemerkenswerter Entschlossenheit ausfüllt, auch wenn dies bedeutet, ihre eigenen Bedürfnisse und Träume zu opfern.
Ihre Geschwister, und sogar Frank selbst, wenden sich immer wieder an Fiona, wenn sie in Schwierigkeiten stecken. Um die finanziellen Lücken zu schließen, die Franks Untätigkeit und Verantwortungslosigkeit hinterlassen, nimmt Fiona die verschiedensten, oft erniedrigenden Jobs an. Sie übernimmt nicht nur die Haushaltsführung, sondern wird auch zur moralischen und emotionalen Stütze ihrer Familie.
Fionas Rolle innerhalb der Gallagher-Familie entspricht genau dem, was in der Literatur über suchtbelastete Familien als die Rolle des „Familienhelden“ oder der „Verantwortungsbewussten“ beschrieben wird (Wegscheider, 1988; Black, 1988). Der Familienheld übernimmt in dysfunktionalen Familien häufig die Aufgaben und Pflichten, die eigentlich den Eltern zukommen, und versucht, das Leben der Familie so stabil wie möglich zu halten.
Die Tatsache, dass diese Rolle oft dem ältesten Kind zufällt, liegt vor allem daran, dass es aufgrund seines Alters am ehesten der Herausforderung gewachsen ist. Häufig sind sie zudem weiblich, da Frauen und Mädchen durch ihre Sozialisierung stärker auf Care-Arbeit und Verantwortungsübernahme geprägt werden.
Fiona ist also ein Musterbeispiel für das Helden-Kind: Sie hält den Haushalt zusammen und übernimmt die emotionale und praktische Versorgung der Familie. In ihrer Rolle versucht sie zudem, sowohl Frank als auch Monica zu ersetzen, indem sie Ordnung und Stabilität in das ansonsten chaotische Familienleben bringt.
Ein zentraler Aspekt dieser Rolle ist die sogenannte Parentifizierung, eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Fiona wird quasi zur Mutter ihrer jüngeren Geschwister, während Frank für sein Verhalten nicht einmal annähernd Verantwortung übernimmt. Diese Belastung zwingt Fiona dazu, schnell erwachsen zu werden, und lässt ihr wenig Raum für eigene Träume oder ihre persönliche Entwicklung.
Wie von Sharon Wegscheider und Claudia Black beschrieben, ist die Rolle des Familienhelden oft mit einem hohen Maß an Lob und Anerkennung verbunden, was diese Kinder motiviert, noch mehr zu leisten. Fiona erfährt diese Bestätigung indirekt vor allem durch ihre Geschwister. Doch diese Anerkennung hat ihren Preis.
Die Belastung, die mit dieser Rolle einhergeht, führt häufig zu einer Überforderung, der Kinder emotional nicht gewachsen sind. Dies zeigt sich auch bei Fiona: Obwohl sie nach außen hin stark und entschlossen wirkt, zehren die ständigen Anforderungen und der Druck, alles zusammenzuhalten, an ihr und entladen sich manchmal schlagartig, zum Beispiel in einem Substanzmissbrauch.
Dennoch bleibt Fiona ein Symbol für Resilienz und Überlebenswillen. Trotz ihrer schwierigen Ausgangslage gelingt es ihr in späteren Staffeln, ihre alte Rolle abzulegen und ihre eigene Zukunft erfolgreich zu gestalten.
Phillip Ronan „Lip“ Gallagher ist das zweitälteste Kind der Gallagher Familie. In der Serie sticht Lip vor allem durch seine Intelligenz hervor. Mit einem GPA von 4.6 ist er das begabteste Familienmitglied.
Lips außergewöhnliche Intelligenz könnte ihm den Weg aus seinem sozialen Milieu ebnen, doch statt sein Potenzial voll auszuschöpfen, sabotiert er sich selbst immer wieder – sei es durch promiskuitive Beziehungen oder seinen exzessiven Alkoholkonsum.
So wird Lip bereits zu Beginn der Serie oft beim Rauchen von Zigaretten und Marihuana gezeigt. Doch während seiner Zeit am College wird deutlich, dass er auch ein immer problematischeres Verhältnis zum Alkohol entwickelt.
Zu den ersten sichtbaren Folgen gehört der Verlust seiner Stelle in der Studentenvereinigung. Auch seinen Job als Teaching Assistant verliert er aufgrund seines Alkoholkonsums. Langfristig führt Lips destruktives Verhalten schließlich zum Collegeverweis.
Lips Trinkverhalten erfüllt mehrere Kriterien für eine Alkoholabhängigkeit gemäß der ICD-10 (F10.2):
Lips Probleme spiegeln ein typisches Muster wider, das häufig bei Kindern suchtkranker Eltern zu beobachten ist. Kinder aus alkoholbelasteten Familien stellen eine Hochrisikogruppe für Suchterkrankungen dar.
Studien zeigen, dass etwa ein Drittel dieser Kinder im Erwachsenenalter selbst stofflich abhängig wird, und sie haben ein 4-6-fach erhöhtes Risiko für Suchtprobleme im Vergleich zu Kindern aus nicht-suchtkranken Haushalten.
Die Ursachen hierfür sind sowohl genetisch als auch psychosozial:
Glücklicherweise entscheidet Lip trotz der Parallelen zu seinem Vater, dass er nicht denselben Weg einschlagen will. Nachdem er die verheerenden Folgen seines Alkoholmissbrauchs erlebt hat, sucht er sich schließlich Hilfe. Schließlich gelingt es ihm, sein Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken – wenngleich er nie wieder ein College besuchen wird.
Carl Francis Hashish Gallagher ist das zweitjüngste Kind der Gallagher-Familie. Carl wird zu Serienbeginn als das „Problemkind“ der Familie eingeführt. Mit einer Vorliebe für Chaos, Gewalt und Gefahr zeigt er in den frühen Staffeln zahlreiche antisoziale Tendenzen: Er verstümmelt Spielzeug, quält Tiere und hat Schwierigkeiten, Regeln zu akzeptieren.
Im Verlauf der Serie taucht Carl immer tiefer in kriminelle Machenschaften ein. Er wird zum Drogenhändler, arbeitet für lokale Gangs und wird schließlich zu einer Jugendstrafe verurteilt.
Nach seiner Entlassung aus dem Jugendgefängnis nimmt sein antisoziales Verhalten weiter zu: Er verkauft Waffen und adoptiert einen Gangster-Lebensstil, der selbst seiner Familie zunehmend missfällt.
Wie im Beitrag Shameless: Frank & Carl festgestellt, weist Carls Verhalten auf eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD-10: F90.1) hin, die ADHS-Symptome (Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Impulsivität) mit normverletzendem Verhalten kombiniert. Zu den typischen Merkmalen gehören Wutausbrüche, unüberlegtes Handeln und das Brechen von Regeln – alles Verhaltensweisen, die Carl regelmäßig zeigt.
Studien zeigen, dass Kinder von alkoholkranken Eltern deutlich häufiger eine ADHS haben als Kinder aus unbelasteten Familien (Maher et al., 2023). Zusätzlich zeigen die Kinder eher sogenannte externalisierende Verhaltensweisen (Hussong et al, 2014; Eiden et al., 2007) – das bedeutet, sie reagieren auf inneren Stress und Unsicherheit mit aggressivem, impulsivem oder sozial störendem Verhalten.
Dieses Verhalten ist eine Art emotionaler Schutzmechanismus, der die Kinder kurzfristig durch den Abbau innerer Anspannung entlastet, aber langfristig zu gravierenden Problemen führen kann. So kanalisiert Carl seine Unsicherheiten und die Vernachlässigung durch seine Eltern in destruktive Handlungen, was ihn früh auf einen kriminellen Pfad führt.
Wie Fiona entspricht auch Carl damit einer Rolle, die in der Literatur über Kinder aus suchtbelasteten Familien beschrieben wird: die des „Schwarzen Schafs“ oder „Sündenbocks“ (Wegscheider, 1988; Black, 1988).
Während Fiona auf die familiäre Dysfunktion reagiert, indem sie die Verantwortung für Stabilität und Ordnung übernimmt, verinnerlicht Carl das Chaos der Familie und lebt es durch auffälliges, destruktives Verhalten aus. Durch sein provokatives Verhalten wird Carl zum sichtbaren Symptom der inneren Konflikte innerhalb der Familie.
Antisoziale Verhaltensweisen, wie sie Carl in seiner Jugend zeigt, halten bei Kindern alkoholkranker Eltern oftmals bis ins Erwachsenenalter an (Harter, 2000). Doch Carl gelingt es, den gefährlichen Pfad zu durchbrechen. Nach einem traumatischen Vorfall, der ihm die Konsequenzen seines kriminellen Lebensstils vor Augen führt, beginnt er, seine Zukunft neu zu überdenken.
Er entscheidet sich, eine Militärschule zu besuchen, wo er Disziplin und Struktur kennenlernt – etwas, das ihm in seiner Kindheit gefehlt hat. Diese Erfahrungen formen ihn zu einem gereiften jungen Mann, der schließlich den Weg zum Polizisten einschlägt – und dort die Fähigkeiten, die ihn einst in Schwierigkeiten brachten, nutzt, um Gutes zu bewirken.
Ingesamt zeigen die Geschichten der Gallagher-Kinder eindrucksvoll, wie sich die Schatten elterlicher Suchterkrankungen auf die nachfolgenden Generationen auswirken können. Doch trotz der Herausforderungen, die Fiona, Lip und Carl bewältigen müssen, sind sie auch ein Beispiel für Resilienz, Einfallsreichtum und die Kraft, sich selbst neu zu erfinden.
Jeder von ihnen geht seinen eigenen, oft steinigen Weg, doch sie alle beweisen, dass Veränderung möglich ist – sei es durch das Streben nach einem besseren Leben, den Mut, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, oder durch die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. Shameless zeigt uns, dass selbst in den widrigsten Umständen die Chance auf Wachstum und eine bessere Zukunft besteht.
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Quellen für Fiona:
Caritas Augsburg. (o. D.). Rollenmuster. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://www.caritas-augsburg.de/hilfeberatung/suchtberatungbehandlungundkrankenhilfe/kiasu-projekt/rollenmuster/rollenmuster
BKK Bundesverband. (2007, Juli). Kindern von Suchtkranken Halt geben – durch Beratung und Begleitung: Leitfaden für Multiplikatoren. NACOA Deutschland. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://nacoa.de/sites/default/files/images/stories/pdfs/freundeskreise%20multiplikatorenleitfaden.pdf
Fandom. (o. D.). Fiona Gallagher (US) – Season 6. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://shameless.fandom.com/wiki/Fiona_Gallagher_(US)#Season_6
Quellen für Lip:
NACOA Deutschland. (o. D.). Fakten und Zahlen. Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://nacoa.de/infos/fakten/zahlen
Fandom. (o. D.). Lip Gallagher (US). Abgerufen am 10. Januar 2025, von https://shameless.fandom.com/wiki/Lip_Gallagher_(US)
Quellen für Carl:
Eiden, R. D., Edwards, E. P., & Leonard, K. E. (2007). A conceptual model for the development of externalizing behavior problems among kindergarten children of alcoholic families: role of parenting and children’s self-regulation. Developmental psychology, 43(5), 1187–1201. https://doi.org/10.1037/0012-1649.43.5.1187
Maher, B.S., Bitsko, R.H., Claussen, A.H. et al. Systematic Review and Meta-analysis of the Relationship Between Exposure to Parental Substance Use and Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder in Children. Prev Sci 25 (Suppl 2), 291–315 (2024). https://doi.org/10.1007/s11121-023-01605-2
Als ich in den späten 1990er Jahren zum ersten Mal den Filmklassiker Casablanca sah, war ich begeistert von Humphrey Bogarts Hauptrolle, dem hartgesottenen, zynischen, mit allen Wassern gewaschenen Rick Blaine. Er war der Inbegriff von cool. Zu diesem Habitus, den Bogart in einer Vielzahl weiterer Werke des film noir der 1940er Jahre verkörperte, gehörte neben dem schief sitzenden Fedora auch die ebenfalls lässig schief im Mundwinkel hängende Zigarette. Die Jüngeren mögen es nicht glauben, aber im 20. Jahrhundert galt Rauchen als sehr cool. Heute erfreulicherweise nicht mehr. Rauchten 2001 noch 28% der Jugendlichen in Deutschland, waren es zwanzig Jahre später nur noch 6% (Quelle). Nikotinabhängigkeit (ICD-10: F17.2) ist eine Suchterkrankung mit erheblichem Gesundheitsrisiko.
Während Nikotin als Volksdroge also auf dem Rückgang ist, haben wir es heute bekanntermaßen mit einer anderen Epidemie zu tun: Stress. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich gestresst und chronischer Stress ist mit Depressivität, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und einer Vielzahl weiterer Gesundheitsfolgen assoziiert (Quelle).
Oft sind systemische und gesellschaftliche Faktoren für das stressvolle Leben verantwortlich. Fast könnte man sagen, Stress ist das Rauchen des 21. Jahrhunderts: Alle wissen, dass er ungesund ist und dennoch haftet ihm eine irrationale Aura von Coolness an: Wer hustlet, ein Erfolgs-Mindset hat, High-Performer ist oder Follower maximiert, scheint irgendwas richtig zu machen.
Was den persönlichen Umgang mit stressigen Umständen und psychischem Stresserleben angeht sind die wirksamen Gegenmaßnahmen (Abgrenzung, Achtsamkeit, Entspannung) ebenso bekannt, wie damals beim Rauchen (Aufhören) – und genau wie damals bleiben sie häufig hehre Vorsätze.
Nun kommt der Funfact: Im Hinblick auf Stressmanagement – v.a. im Arbeitskontext – könnten die heutigen Gestressten etwas von den Rauchenden der ausgehenden Bonner Republik lernen: Diese hatten nämlich nicht nur irgendwann Lungenkrebs, sondern davor ein oft echt gutes Pausenverhalten. Nachdem das Rauchen in den meisten öffentlichen und professionellen Räumen schon verboten war, ließen sie (dem Suchtdruck, aber auch einfach der Routine nachgebend) in schöner Regelmäßigkeit alle ein bis zwei Stunden konsequent alles stehen und liegen, verließen für fünf bis zehn Minuten den Arbeitsplatz, gingen ein paar Schritte bis vor die Tür, um dort bei Wind, Wetter und Sonnenschein an der frischen Luft zu stehen. Alleine den Gedanken freien Lauf lassend (sie hatten noch kein Smartphone) oder entspannt plaudernd mit einem Grüppchen Kolleg*innen, das ein wohliges Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund der regelmäßig gemeinsam verbrachten Kurzpausen empfand.
Fast alles perfekt um Stresserleben zu reduzieren: Wir können uns für 60-90 Minuten optimal konzentrieren, danach wird es immer mühsamer. Eine kurze Pause hilft. Den Arbeitsplatz zu verlassen, erhöht die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich auch mental Abstand zur Arbeit zu nehmen. Körperliche Bewegung regt den Kreislauf an und reduziert Erschöpfung sowie schädliche Fehlhaltungen. Positiver sozialer Kontakt und Zugehörigkeit fördern positive Emotionen. Und tiefes Atmen aktiviert das parasympathische Nervensystem, das für Entspannung und Regeneration zuständig ist (Quelle).
Nur die Zigarette selbst vermiest die schöne Gesundheitsbilanz. Was wäre, wenn wir alle uns bei der Arbeit, zu Hause und in der Schule verhielten wie Rauchende, aber ohne zu Rauchen? Alle ein bis zwei Stunden ein paar Minuten vor die Tür, ohne Smartphone, und tief die frische Luft ein- und ausatmen. Alleine oder zu Mehreren. Insbesondere dann, wenn wir spüren, dass Stress und Anspannung hoch sind. Statt „Ich muss jetzt erstmal eine rauchen!“, würden wir ebenso bestimmt und selbstgewiss sagen: „Ich muss jetzt erstmal atmen gehen!“
Die Rauchenden haben sich überraschend schnell an die weitgehenden Rauchverbote Anfang des Jahrhunderts gewöhnt. Vielleicht würde sich auch unsere beschleunigte Leistungsgesellschaft schneller an die Atempause gewöhnen, als wir denken.
Wer das Raucherpausen-Feeling noch steigern und gleichzeitig den gesunden Effekt des tiefen, langsamen Atmens optimieren möchte, kann sich sogar einen Atemstrohalm (breathing straw) mitnehmen (vom haushaltsüblichen Papp- oder Glasstrohalm bis zu eigens gefertigten schicken Metallmodellen zum Umhängen ist alles geeignet) und durch diesen ausatmen: Verlangsamt die Ausatmung und steigert dadurch den Entspannungseffekt. Und schon sieht man fast so cool aus wie Bogart!