Das Böse in House of Cards & The Shield

Francis „Frank“ Underwood aus House of Cards und Detective Vic Mackey aus The Shield – Gesetz der Gewalt verbindet auf den ersten Blick nicht viel. Hier der aalglatte Spitzenpolitiker, stets in Anzug und Krawatte, dort der raubeinige Cop, laut, aggressiv und respektlos. 

Bereits der zweite Blick offenbart jedoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Jeder der beiden ist in seiner Welt (der des politischen Establishments und der des Polizeiapparates und der Straßengangs) bewundert und gefürchtet zugleich. Sowohl Frank als auch Vic sind in höchstem Maße berechnend, kaltherzig, gierig und manipulativ. Nichts und Niemand scheint ihnen heilig zu sein. Prinzipien wie Personen verraten sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Das schlechte Gewissen, der innere Konflikt zwischen egoistischen Bedürfnissen und allgemeingültigen Moralvorstellungen, welcher viele Film- und Seriencharaktere stellvertretend für uns umtreibt, spielt für Frank und Vic keine Rolle. Sie lügen, drohen, erpressen und morden mit schockierender Gleichgültigkeit. Sie verfolgen ausschließlich ihre persönlichen Ziele und stellen diese ganz selbstverständlich über alles andere. Frank selbst formuliert es so: „Der Weg an die Macht ist mit Heuchelei gepflastert und Kollateralschäden. Kein Platz für Reue!“
Diese Kombination aus Narzissmus, Dissozialität, Aggression und Misstrauen gegenüber anderen wird als Maligner Narzissmus bezeichnet. Maligner Narzissmus ist eine spezielle und seltene Variante der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die zwar deren Kriterien erfüllt, aber darüber hinaus noch die zusätzlichen Merkmale Dissozialität, Aggressivität und eine misstrauische Grundhaltung voraussetzt.
Für die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssen nach der internationalen Klassifikation psychischer Krankheiten (ICD-10: F60.80) mindestens fünf der folgenden Kriterien vorliegen:
  • Gefühl der eigenen Grandiosität und Wichtigkeit 
  • Phantasien von Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe 
  • Überzeugung besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder wichtigen Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
  • Bedürfnis nach exzessiver Bewunderung 
  • Anspruchsdenken und Erwartung bevorzugter Behandlung 
  • Ausbeuterische Haltung in zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Mangel an Empathie
  • Neid auf andere und/oder Überzeugung, von anderen beneidet zu werden
  • Arrogante und hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten
Frank Underwood und Vic Mackey erfüllen den Großteil dieser Kriterien. Beide fühlen sich ihren Kollegen und Konkurrenten überlegen und leiten aus ihrer idealisierten Selbstwahrnehmung das Recht ab, die eigenen Interessen (Frank: Macht; Vic: Macht und Geld) ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen. Beide idealisieren ihre Ehen und sind blind dafür, dass sie ihre Frauen, genau wie alle anderen, manipulieren und verletzen. Die wenigen Freundschaften, die sie pflegen (Frank: Freddy, Doug; Vic: Shane, Lem, Ronnie), bestehen ausschließlich zu Menschen, die hinsichtlich Status und Hierarchie unterlegen sind. Dies dient der Sicherung der eigenen Überlegenheit und der Bewunderung durch die weniger Privilegierten. Doch selbst diese werden fallengelassen, sobald es der eigenen Sache dient. 
Alle, die höher in der Nahrungskette stehen (Frank: Präsident Walker; Vic: Captain Aceveda), werden als unfähig erlebt, um ihre Position beneidet und mit allen Mitteln und ohne Mitleid bekämpft.
Neben der ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung, weisen Frank und Vic auch die weiteren Merkmale maligner Narzissten auf: Dissozialität, Aggressivität und Misstrauen. Erst diese Kombination macht ihren individuellen Narzissmus so maligne, so verheerend für ihre Feinde, Freunde, Kontrahenten und Familien.
Die ausgeprägte Dissozialität (d.h. Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Normen und Gefühlen anderer) bewirkt, dass es nicht bei Neid- und Hassgefühlen auf all jene, die die eigene Grandiosität nicht anerkennen oder den eigenen Zielen im Wege stehen, bleibt, sondern dass diese auch aktiv, unter Missachtung jeglicher gesellschaftlicher Regeln, bis aufs Blut bekämpft werden, wobei sich ein hohes Maß an Aggressivität zeigt: Jeder (vermeintliche) Angriff wird massiv vergolten, jede kleinste Provokation heftigst erwidert. Bei Kränkungen wird impulsiv und unverhältnismäßig zurückgeschossen, nichts wird je vergessen oder vergeben.
Die hohe Kränkbarkeit hängt auch mit der per se misstrauischen Grundhaltung zusammen. Aus der eigenen Bereitschaft, jeden jederzeit dem eigenen Vorteil zu opfern, leitet sich die Erwartung ab, dass auch andere letztlich illoyal und ausschließlich auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Daher müssen alle Beziehungen durch Macht oder Manipulation kontrolliert und das Gegenüber in Angst, blindem Gehorsam und Abhängigkeit gehalten werden.
Beunruhigend an den Darstellungen des malignen Narzissmus in House of Cards und The Shield ist allerdings weniger die Tatsache, dass es solche Menschen gibt, sondern vielmehr, dass diese (zumindest für lange Zeit und mit verheerenden Folgen) erfolgreich und prägend in zentralen gesellschaftlichen Institutionen tätig sind. Es sieht sogar so aus, als wären es gerade die pathologischen Persönlichkeitsaspekte, die den Aufstieg und die Triumphe von Frank und Vic in oft zunächst ausweglos erscheinenden Situationen erst ermöglichen. Der maligne Narzissmus scheint einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen darzustellen, die entweder durch Prinzipien, Anstand, Skrupel, Mitgefühl oder Gemeinsinn gebunden sind.
Die meisten von ihnen verzweifeln irgendwann an der Verdorbenheit des Systems, versuchen schließlich mit ebenso illegalen Mitteln zurückzuschlagen, scheitern aber an ihren auf diesem Gebiet überlegenen narzisstischen Kontrahenten und werden schließlich entweder von ihnen vernichtet oder stehen geschlagen und beschämt da. Dieses düstere Bild wird in House of Cards und The Shield bei weitem nicht nur von Politik und Polizei gezeichnet, sondern zeigt sich genauso in Medien, Gewerkschaften, Kirchen sowie sozialen und gemeinnützigen Organisationen.
Muss man also ein maligner Narzisst sein, um sich in den hierarchisch-bürokratischen Gesellschaftsstrukturen zu behaupten? Lässt der gesellschaftliche Leistungs- und Konkurrenzdruck die Menschen gar erst zu malignen Narzissten werden? (Immerhin wissen wir kaum etwas über Franks und Vics Vorgeschichten)
Oder ist es in echt gar nicht so schlimm, wie im Fernsehen…?

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2 Kommentare

  1. Danke für den wirklich interessanten und lesenswerten Artikel.
    Eine Frage habe ich noch: Was ist der Antrieb von Doug Stamper, dem Assistenten von Frank Underwood? Er ordnet sich bedingungslos den Interessen und Plänen von Frank unter, ohne diese jemals zu hinterfragen- und das schon seit vielen Jahren. Dabei ist er oft nicht weniger skrupellos als Frank selbst.

    Er steht aber viel weiter unten "in der Nahrungskette" als Frank, sowohl finanziell wie auch gesellschaftlich. Er ist unverheiratet und hat keine Kinder. Was bringt Doug also dazu, sein Leben komplett Frank Underwood zu widmen?

  2. Vielen Dank!
    Doug scheint eine abhängige Persönlichkeitsstruktur zu haben. Er hat wenig Selbstbewusstsein, zeigt kaum eigene Wünsche und Bedürfnisse und ordnet sich Frank bedingungslos unter. Möglicherweise waren Selbstzweifel und Unsicherheit schon ein Grund für seinen früheren Alkoholismus.
    Seit er trocken ist, klammert er sich an Frank, der die von ihm selbst vermissten Eigenschaften – Stolz, Selbstbewusstsein, Macht, Stärke – verkörpert und von dessen Glanz ein klein wenig auf Doug abfärbt, ohne dass er sich selbst positionieren, eigene Ziele und Bedürfnisse formulieren und vertreten müsste, was er sich offenbar nicht zutraut. Doug scheint der Meinung zu sein, im Leben nichts Gutes verdient zu haben – nichtmal Liebe, wie wir in Staffel 2 sehen – weshalb ihm die Rolle als Franks Schoßhund angemessen erscheint.
    Wer kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die eigene Liebenswürdigkeit hat, ist anfällig für die Idealisierung von Menschen, die damit scheinbar unbegrenzt gesegnet sind und somit keine Zweifel, Ängste und Schuldgefühle zu kennen scheinen.
    Frank nutzt diese Dynamik aus, indem er Menschen in Notlagen (Doug, Meechum, Zoe, Linda, Peter…) zunächst aufbaut um ihre Dankbarkeit und Schuldgefühle dann langfristig schamlos für seine Zwecke auszunutzen.