Suicide Squad: Harley Quinn

Zu Suicide Squad ist ja von Kritikerseite bereits alles gesagt. Auch die Geschichte der Psychiaterin, die dem Joker verfällt, derentwegen ich mir den Film, trotz der (zu Recht) vernichtenden Kritiken, angesehen habe, wird nur oberflächlich behandelt.
Was wir dennoch erfahren, ist, dass Dr. Harleen Quinzel, die spätere Harley Quinn, im Arkham Asylum (der legendären forensischen Psychiatrie Gotham Citys) offenbar psychotherapeutische Gespräche mit dem Joker führte, in deren Rahmen sie sich immer mehr in ihn verliebte. Ein beliebtes Motiv, das zeigt, dass die psychotherapeutische Beziehung, ihre Beschaffenheit, Regeln und Grenzen, Autoren nachhaltig interessieren.
In Film und Fernsehen wird die therapeutische Beziehung dem hohen Anspruch, einerseits echte intensive Gefühle und tiefes Vertrauen hervorzubringen und gleichzeitig streng auf die Therapie und deren Ziele begrenzt zu bleiben, oft nicht gerecht. So ergab die Auswertung von über 100 Filmen*, in denen Psychotherapeuten vorkamen, dass diese in 45% der Fälle die Grenzen des therapeutischen Rahmens überschritten. Etwa die Hälfte der Grenzüberschreitungen war sexueller Natur.
In der Realität sind solche schweren therapeutischen Kunstfehler zum Glück seltener, wenngleich sie natürlich vorkommen. Gelingt es, eine gute, konstruktive und tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen, ist diese einer der wichtigsten, in manchen Studien sogar der wichtigste Wirkfaktor erfolgreicher Psychotherapien. „Gut“ ist die therapeutische Beziehung dann, wenn Therapeut und Patient sowohl wohltuende, Vertrauen und Sicherheit fördernde Nähe aufbauen, als auch das Geschehen innerhalb und außerhalb der Therapiesitzungen analytisch reflektieren und zwischen diesen beiden Ebenen flexibel hin- und herwechseln können. Um nicht in die Gefahr zu geraten, dauerhaft zu einseitig zu agieren, also sich zum Beispiel zu unreflektiert auf die positiven Gefühle gegenüber dem Patienten einzulassen und sich in Rettungs- oder Liebesphantasien zu verlieren, praktizieren Psychotherapeuten in den ersten Jahren ihrer Tätigkeit nur unter Supervision erfahrener Kollegen, denen sie regelmäßig über den Therapieverlauf berichten.
Dies scheint Dr. Quinzel versäumt zu haben, weshalb niemand intervenieren kann, als sie sich mehr und mehr in ihren manipulativen Patienten verliebt und diesem schließlich zur Flucht verhilft.
Im Rahmen des Ausbruchs kommt es zu einer eigenartigen Szene: Obwohl Harley dem Joker bereits verfallen und ergeben zu sein scheint, lässt er sie überwältigen und verabreicht ihr Elektroschocks. Es wirkt, als sei der Joker mit der Elektrokrampftherapie (EKT), bei welcher mittels Stromstößen gezielt Krampfanfälle des Gehirns ausgelöst werden, vertraut.
Vermutlich wurde er ihr selbst in Arkham gegen seinen Willen unterzogen. Indem er nun Harley dasselbe antut, wehrt er das Gefühl des passiven Opfers ab und projiziert es auf Harley, um sich selbst wieder aktiv, stark und wehrhaft fühlen zu können. Es ist einer von mehreren grausamen Akten des Jokers, die alle dazu dienen, Harley zu dem irren, albernen aber auch unheimlichen Freak zu machen, als welcher er selbst von allen anderen gesehen wird.
In unserer Realität wird EKT tatsächlich zur Behandlung schwerer Depressionen und Schizophrenien eingesetzt, wenn psychotherapeutische und medikamentöse Behandlungsversuche erfolglos bleiben. Allerdings nur, wenn der Patient dem zustimmt.
Die durch die elektrischen Impulse ausgelösten Krampfanfälle des Gehirns stoßen dabei dessen Selbstheilungskräfte an, so dass bestimmte Botenstoffe wieder ins Gleichgewicht gebracht und neuronale Verbindungen quasi repariert werden können.
Bei Harley Quinn, die vor der EKT keine psychiatrischen Symptome zeigt, ist diese selbstverständlich absolut kontraindiziert und erwirkt somit auch eine geradezu paradoxe Reaktion: Die EKT löst bei Harley deutliche Symptome einer Manie aus. Diese affektive (= die Stimmung betreffende) Störung, kann sich nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F30.2) unter anderem äußern durch:
  • gesteigerte Aktivität, motorische Ruhelosigkeit
  • gesteigerte Gesprächigkeit, Rededrang
  • Verlust sozialer Hemmungen, unangemessenes Verhalten
  • überhöhte Selbsteinschätzung
  • Ablenkbarkeit
  • Tollkühnes oder leichtsinniges Verhalten ohne Risikobewusstsein
  • Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit
Darüber hinaus kann eine manische Episode mit psychotischen Symptomen (Wahn, Halluzinationen) einhergehen, was Harley andeutet, wenn sie berichtet, Stimmen zu hören oder sich nicht sicher ist, ob es sich bei Enchantress um eine optische Halluzination handelt.
Somit unterscheidet sich Harley, bei aller Liebe und äußerlichen Ähnlichkeit, vom Joker. Während dessen Fröhlichkeit nur Sarkasmus ist, ein Stilmittel, welches seinen Zorn noch grausamer wirken lässt, ist Harleys Stimmung, infolge der Manie, tatsächlich gehoben. Sie genießt weniger die Grausamkeit, als vielmehr die Action um ihrer selbst willen. Während der Joker planmäßig handelt, um andere, meist Batman, zu provozieren, tut und sagt Harley impulsiv wonach ihr ist und hat wenig Gespür und kaum Interesse für die Konsequenzen. Der Joker möchte Angst verbreiten, weil die Gesellschaft ihn verstoßen hat. Darum stiftet er Chaos. Harley kehrt der Gesellschaft den Rücken, weil das Chaos aufregender ist.
Manien verlaufen episodisch (im Gegensatz zu der zeitstabilen und situationsübergreifenden dissozialen Persönlichkeitsstörung des Jokers). Auf manische Phasen mit starker Symptomatik folgen Phasen, in denen die gesunde Grundpersönlichkeit wieder hervortritt, die sich, auch bei Harley Quinn, „normale“ Dinge wünscht: Eine Familie, ein Tässchen Espresso, ein gutes Buch…
*Gharaibeh, N.M. (2005). The psychiatrist’s image in commercially available American movies. Acta psychiatrica Scandinavica, 111(4), 316-319.
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Homeland: Carrie

Im Zentrum von Homeland steht die CIA-Agentin Carrie Mathisen. Carrie leidet unter einer bipolaren affektiven Störung (ICD-10: F31). Die Bezeichnung bipolar bezieht sich darauf, dass das Hauptmerkmal der Störung ein Wechsel zwischen den beiden Extrempolen affektiven Erlebens, Manie und Depression, ist.

Relativ viele Menschen, die unter Stimmungsschwankungen oder widersprüchlichen Gefühlen leiden, meinen sich in mehr oder weniger seriösen Beschreibungen der bipolaren affektiven Störung („himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt…“) wiederzufinden, also „manisch-depressiv“ zu sein. Tatsächlich sind aber die meisten Stimmungsschwankungen völlig normal und eine bipolare affektive Störung mit Krankheitswert recht selten.

In Homeland können wir dagegen viel über eine wirkliche bipolare affektive Störung lernen.

Diese ist zu einem bedeutsamen Anteil genetisch determiniert, das heißt, Angehörige von Erkrankten haben ein (Studien zufolge bis zu siebenfach) erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken. Diese Disposition hat Carrie von ihrem Vater geerbt. Allerdings wird nicht jeder Mensch mit familiärer Vorbelastung krank, Carries Schwester Maggie leidet beispielsweise nicht unter der Störung.
Warum bei gleichem genetischem Risiko ein Mensch erkrankt und der andere nicht, erklärt das psychologische Diathese-Stress-Modell. Es besagt, dass zur Disposition für eine bestimmte Erkrankung (Diathese) noch belastende Faktoren (Stress) hinzukommen müssen, um zum Ausbruch der betreffenden Krankheit zu führen. Je stärker die genetische Disposition, umso geringer die Stressschwelle und umgekehrt.

Im Verlauf der Serie erfahren wir, dass Carrie krank wurde, nachdem sie begonnen hatte, aufs College zu gehen. Für eine so ehrgeizige Person wie sie, dürfte das mit einigem Stress verbunden gewesen sein. Zudem hat sich an ihrem ersten Collegetag ihre Mutter von der Familie abgewandt und nie mehr gemeldet, worunter sie beträchtlich gelitten haben muss. Es gibt Hinweise darauf, dass der Weggang Carrie schwerer getroffen hat, als Maggie. Zunächst scheint Maggie die ältere zu sein, möglicherweise war sie bereits in ihrem Leben als Ärztin, Ehefrau und Mutter angekommen und gefestigt, während Carrie gerade erst auf dem Sprung zur Verselbstständigung und entsprechend irritierbar war. Darüber hinaus hat Maggie ein engeres Verhältnis zum zweiten Elternteil, ihrem Vater, der später auch bei ihr lebt. Möglicherweise hatte sie als ältere noch mehr „gute“ Jahre mit ihm, bevor er selbst krank wurde. In ihrem Beruf als Ärztin wird der Wunsch deutlich, für den kranken Vater da zu sein, während sie der Mutter nicht verzeiht, dass sie ihn verlassen hat.

Anders Carrie: Sie hat Verständnis für ihre Mutter, die es mit dem kranken Vater nicht mehr ausgehalten hat. Sie verdrängt auch ihre eigene Krankheit, welche sie mit den schwachen Seiten des Vaters verbindet, und sucht sich stattdessen in Person von CIA-Agent Saul einen Ersatzväter, der Macht, Stärke und Belastbarkeit verkörpert.

Die Verdrängung der eigenen Schwäche zeigt sich auch in Carries Lebensstil. Sie ist ein Workoholic und definiert sich selbst fast ausschließlich über ihren Beruf. Sie arbeitet viel, ernährt sich ungesund, trinkt zu viel, schläft zu wenig, nimmt ihre Medikamente unregelmäßig und ohne fachärztliche Kontrolle und hat keine stabilen, vertrauensvollen Beziehungen in ihrem Privatleben. Somit finden wir in Carries Alltag nahezu alle Stressoren, die den Ausbruch der Erkrankung begünstigen. Auch das unterscheidet sie von Maggie, deren Leben wesentlich beschaulicher und geregelter zu sein scheint.

Als die Belastungen immer größer werden und sie zudem ihre Medikamente absetzt, erlebt Carrie schließlich einen Rückfall. Dieser verläuft nach dem typischen Muster des Typs I der bipolaren affektiven Störung: Eine manische Phase gefolgt von einer depressiven Phase.

Carrie erlebt dabei das Vollbild einer manischen Episode, wie sie in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F31.1) folgendermaßen definiert ist: Eine Periode abnormer und ständiger gehobener, überschwänglicher oder gereizter Stimmung, die mindestens eine Woche dauert und während der mindestens drei der folgenden Symptome vorliegen:

  • gesteigerte Aktivität, motorische Ruhelosigkeit
  • gesteigerte Gesprächigkeit, Rededrang
  • Ideenflucht oder Gefühl von Gedankenrasen
  • Verlust normaler sozialer Hemmungen, was zu unangemessenem Verhalten führt
  • vermindertes Schlafbedürfnis
  • überhöhte Selbsteinschätzung
  • Ablenkbarkeit oder andauernder Wechsel von Aktivitäten oder Plänen
  • Tollkühnes oder leichtsinniges Verhalten, dessen Risiken die Betroffenen nicht erkennen
  • Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit

Zusätzlich können bei manischen Episoden psychotische Symptome in Form wahnhafter Ideen und Überzeugungen auftreten, also zum Beispiel Größen- und Verfolgungswahn oder Verschwörungsideen. Carries Theorien bewahrheiten sich zwar letztlich, wirken aber zunächst derart bizarr und unglaubwürdig, dass sie von ihrem Umfeld für wahnhaft gehalten werden.
Im Anschluss an die Manie verfällt Carrie in eine schwere Depression, wobei die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit dabei ein Stück weit auch dem realen Scheitern ihres Lebensentwurfs als nimmermüde, stets überlegene und einsam erfolgreiche Topagentin Rechnung tragen.

Carries psychische Störung spiegelt auch die emotionale Bipolarität ihres Umfeldes wieder. Der in einer als feindlich erlebten Welt manisch-getriebene CIA-Apparat kultiviert seinen Größenwahn, indem er zwanghaft Informationen und Daten sammelt, wahllos Menschen manipuliert und instrumentalisiert und sich über alle legalen und moralischen Grenzen erhebt. Aus dem Kampf um die eigene Daseinsberechtigung ergibt sich der Zwang zur Verbreitung und Rechtfertigung der eigenen Paranoia.
Doch am Ende jeder manischen Jagd auf einen Feind steht immer wieder die Depression. Weil der Feind zwar getötet wurde, aber Hass und Rachedurst der Gegenseite umso stärker brennen. Weil Rückschläge und Fehler nicht verziehen werden. Weil Erfolge von Oben vereinnahmt und Misserfolge dem Einzelnen angelastet werden. Weil Freunde sich als Verräter und Versprechen als Lügen herausstellen. Weil Böse gut und Gute böse sind. Weil letztlich jeder für sich selbst kämpft und alleine stirbt.

Zum Ende der ersten Staffel von Homeland stellt sich Carrie schließlich ihrer Krankheit, gesteht sich ihre Schwäche ein und lässt sich professionell behandeln. Zunächst mit Medikamenten, dann mit Elektrokonvulsionstherapie (EKT). Dabei werden durch Elektroschocks Krampfanfälle des Gehirns ausgelöst und in diesem antidepressive Botenstoffe freigesetzt und regenerative Mechanismen angestoßen. Im Kreise ihrer Familie, mit geregelten Arbeitszeiten, entspannenden Hobbys, Psycho- und Pharmakotherapie hätte sie wohl eine recht gute Prognose gehabt. Doch die Firma hat andere Pläne…

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