Toc Toc: Zwänge, Tics & Gruppentherapie

Als Unbeteiligter ist die spanische Komödie Toc Toc, die derzeit bei Netflix zu sehen ist, ziemlich lustig. Allerdings bin mich mir nicht ganz sicher, ob sie von Menschen mit Zwangsstörungen nicht als verletzend empfunden wird. Vielleicht wirkt der Twist (der eigentlich keiner ist) am Ende in wenig in Richtung Empowerment.
In Toc Toc leiden die meisten Protagonist*innen an einer Zwangsstörung und zwar an der Variante, bei der Zwangshandlungen (im Gegensatz zu Zwangsgedanken), sogenannte Zwangsrituale, im Vordergrund stehen (ICD-10: F42.1). Die Störung ist durch die folgenden Kriterien definiert:

  • Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen treten über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an den meisten Tagen auf
  • Sie werden als Produkte des eigenen Geistes erkannt und nicht als von Personen oder äußeren Einflüssen eingegeben betrachtet
  • Sie treten wiederholt auf, werden als unangenehm und zumindest teilweise unangemessen erlebt
  • Der Betroffene versucht, sie zu unterdrücken. Mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung kann nicht erfolgreich unterdrückt werden
  • Die Zwangshandlung ist an sich nicht angenehm (dies ist zu unterscheiden von einer vorübergehenden Erleichterung von Anspannung oder Angst)
  • Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen Beschwerden oder soziale Probleme

Diese Kriterien treffen auf den Zählzwang, den Waschzwang, den Kontrollzwang, den Ordnungszwang und das Vermeiden von Fugen beim Gehen zu. Von Zwängen zu unterscheiden sind jedoch die sogenannten Tics (ICD-10: F95.1). Tics lassen sich in vokale (Räuspern, Sprechen) und motorische (Zucken, Zwinkern, Gesten) sowie in komplexe (Sprechen, Gesten) und weniger komplexe (Räuspern, Zucken, Zwinkern) Tics einteilen. Gerade die komplexen Tics sind zum Teil nur schwer gegenüber Zwangshandlungen abgrenzen. 
Trotz der äußerlichen Ähnlichkeit, unterscheidet sich das innere Erleben der Betroffenen: Der Ausführung von Zwangshandlungen geht eine eher konkrete kognitive (gedankliche) und emotionale Anspannung, bis zu intensiver Angst, voraus, z.B. die Angst vor Kontamination vor einem Waschzwang oder die Phantasie, das Haus könnte abbrennen, vor einem Kontrollzwang, z.B. dem Überprüfen ob der Herd oder das Bügeleisen abgestellt wurden.
Demgegenüber geht Tics eine eher diffuse, stärker körperlich empfundene Anspannung voraus, der, quasi zur Entlastung oder Abreaktion, die unwillkürliche, oft wiederholte Ausführung des Tics folgt.
Die konkreten Tics in Toc Toc sind das Bekreuzigen (die Tatsache, dass es Ana Maria selbst zunächst gar nicht bewusst ist, ist auch eher typisch für einen Tic als einen Zwang), das Wiederholen der letzten Worte anderer (Echolalie) und von sich selbst (Palilalie) und natürlich Federicos Tourette-Syndrom (ICD-10: F95.2), welches die Kombination motorischer (Zwinkern, Zucken) und vokaler Tics darstellt. Letztere müssen nicht obszön sein, noch nicht einmal richtige Worte – aber für Komödien eignet sich diese Variante natürlich am besten und ist deshalb popkulturell recht beliebt.
Damit sind alle Protagonist*innen diagnostiziert – mit Ausnahme der Empfangsdame. Doch auch sie kommt nicht ganz ohne psychische Störung davon, zumindest, wenn man die Nikotinabhängigkeit (ICD-10: F17.2) dazuzählt.
Neben der bunten Symptomatik fällt natürlich der unkonventionelle Behandlungsansatz von Dr. Palomero auf. Im Film mag das lustig sein, in der Realität verbietet sich ein solche Vorgehen aber eindeutig. Jeder Psychotherapeut ist – ebenso wie jeder Arzt – an die Grundsätze der Medizinethik gebunden. Dazu gehört, neben Nicht-Schädigung, Fürsorge und Gerechtigkeit, der Grundsatz der Autonomie der/s Patient*in. Um sich autonom und frei für und auch gegen eine therapeutische Intervention entscheiden zu können, muss die/der Patient*in umfassend, transparent und verständlich über die Methode, deren Wirkungen und Nebenwirkungen sowie mögliche Alternativen aufgeklärt werden. Patient*innen in der Weise zu täuschen, wie es in Toc Toc geschicht ist – unabhängig von den davon erhofften Effekten – unethisch und somit ein Kunstfehler!
Zudem stellt sich die Frage, ob die Täuschung überhaupt notwendig war, oder ob die Beteiligten sich nicht auch nach einer individuellen Aufklärung auf die Gruppentherapie hätten einlassen können. Und, in der Tat, die Gruppentherapie, die in Toc Toc schließlich stattfindet, funktioniert richtig gut. Was keine Überraschung ist, ist Gruppentherapie doch auch in Wirklichkeit ein hoch wirksames, dynamisches, spannendes und oft auch für alle Beteiligten sehr unterhaltsames Verfahren.
Der große Psychotherapeut Irvin D. Yalom hat in seinem Standardwerk über Gruppentherapie deren elf zentrale Wirkfaktoren herausgearbeitet.

  1. Universalität: Betroffene psychischer Krankheiten und emotionaler Probleme haben mitunter den Eindruck, alle anderen würden ihr Leben besser hinbekommen. Auf andere zu treffen, die mit ähnlichen Problemen kämpfen und sich mit diesen auszutauschen, kann eine heilsame Erfahrung sein.
  2. Hoffnung: Andere, die unter ähnlichen Schwierigkeiten leiden, dabei zu beobachten, wie sie Fortschritte machen, lässt Hoffnung auf eigene Heilung entstehen.
  3. Kohäsion: Teil einer Gruppe zu sein, in der man sich wohl, verstanden und zugehörig fühlt, steigert das Selbstwertgefühl und die Selbstwirksamkeitserwartung.
  4. Soziale Kompetenz: Ist eine wichtige Ressource im Umgang mit persönlichen und sozialen Ursachen und Folgen psychischer Krankheit und kann in Gruppentherapien in einem wohlwollenden und sicheren Rahmen gelernt und trainiert werden.
  5. Selbstwert: Als Teil einer Gruppe gerät man automatisch früher oder später in positive besetzte, den Selbstwert steigernde Positionen und Rollen, z.B. der Verständnisvolle, die Erklärerin, die Kämpferin für Gerechtigkeit, der Tröstende usw.
  6. Katharsis: Psychotherapie hat im Allgemeinen den positiven Effekt, Erleichterung und Entlastung dadurch zu erfahren, dass schambesetzte oder unaussprechlich scheinende persönliche Gefühle und Gedanken ausgesprochen und dadurch ihrer negativen Macht beraubt werden. In Gruppentherapien kann dieser Effekt noch dadurch gesteigert werden, dass es mehr Zeugen gibt und diese „echte Menschen“ (im Gegensatz zu Therapeut*innen) sind.
  7. Modelllernen: Jede/r Teilnehmer*in einer Gruppentherapie kann irgendetwas besonders gut oder bringt besondere Eigenschaften mit, welche die anderen von ihr/ihm lernen können.
  8. Interpersonelles Lernen: Chronifizierte interpersonelle Konflikte sind häufig an der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Krankheiten beteiligt. In einer Gruppe werden sie häufig aktualisiert (z.B.: Wer sich in seinem Leben schnell gekränkt oder vernachlässigt fühlt, wird sich auch in der Gruppe früher oder später so fühlen) und können dadurch unmittelbar bearbeitet werden.
  9. Verarbeitung: Die Verarbeitung von belastenden oder traumatischen Erfahrungen findet in Gruppen nicht nur indirekt durch Darüberreden statt. Vielmehr findet währenddessen unmittelbar eine positive, gleichsam korrigierende Erfahrung von Halt und Verständnis statt, welche die Verarbeitung fördert.
  10. Information: Jede/r Teilnehmer*in bringt eigene Erfahrungen und eigenes Wissen über Krankheit, Heilmethoden, Ressourcen und Strategien mit, von welchen auch die anderen profitieren können.
  11. Existenzielle Erfahrung: Letztlich lässt sich das menschliche Leiden, welche Form es auch immer angenommen hat, auf die existenziellen Belange Freiheit, Tod, Einsamkeit und Sinnsuche zurückführen. Die Erfahrung, auch mit diesen letzten Ängsten nicht alleine, sondern im Gegenteil, gerade durch diese letztgültigen Themen und Fragen mit anderen und im Prinzip mit allen anderen verbunden zu sein, kann ebenfalls heilsam sein.
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Monk: Adrian Monk



Adrian Monks Biographie ist durch mehrere schwere Verlusterlebnisse gekennzeichnet, die in ihm eine tiefe Verunsicherung und Angst sowie ein überwertiges Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit ausgelöst haben. Psychopathologisch schlägt sich dies in der Kombination einer Phobischen Störung und einer Zwangsstörung nieder.

Monk hat eine Vielzahl spezifischer Phobien (ICD-10: F40.2). Diese Störungen zeichnen sich dadurch aus, dass in einer spezifischen Situation (z.B. Zahnarztbesuch) oder durch einen spezifischen Reiz (z.B. Schlangen) starke psychische Angst und vegetative Angstsymptome (z.B. Herzrasen, Schwindel, Schwitzen) ausgelöst werden. Zentral für die Diagnose ist auch, dass die Angst in diesem Maße nur durch den/die spezifischen Reiz/e ausgelöst wird und nicht in beliebigen Situationen oder ohne Auslöser auftritt. Die phobische Angst führt dazu, dass der/die angstbesetzte Reiz/Situation, wann immer möglich, und oft unter hohen Kosten, vermieden wird, wodurch Monk immer wieder in skurrile und gefährliche Situationen gerät.
Außerdem leidet Monk unter einer Zwangsstörung, bei der Zwangshandlungen, sogenannte Zwangsrituale, im Vordergrund stehen (ICD-10: F42.1). Das bedeutet, Monk muss bestimmte Rituale, z.B. das symmetrische Anordnen von Gegenständen oder das Trinken von nur einer bestimmten Sorte Sodawasser, streng einhalten und wiederholt durchführen. Dabei weiß Monk, dass dieser Zwang ein psychisches Symptom ist und nicht etwa eine reale Gefahr entsteht, wenn er z.B. ein anderes Wasser trinkt. Darin unterscheidet sich die Zwangsstörung von einer wahnhaften Störung, bei der die Realitätswahrnehmung beeinträchtigt wäre. Charakteristisch, wenn auch vielleicht etwas überzeichnet, ist, dass Monk immer wieder einen hohen Preis an alltäglicher Effizienz und sozialer Funktionalität zahlt, um seine Zwangsrituale einzuhalten.
 
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The Equalizer: McCall



Robert McCall, der Equalizer, lebt nach strengen Regeln und Ritualen. Wahrscheinlich hat er in seinem früheren Leben als Geheimagent gelernt, dass nur eiserne Disziplin und akribische Planung ihn gegen das Grauen schützen können, dem er ausgesetzt war. Dennoch muss er viel Schlimmes erlebt haben, denn auch Jahre nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat, findet er keinen ruhigen Schlaf und hält weiterhin an einem Leben voller Regeln, Routinen und Ritualen fest. Wahrscheinlich kann er sich nur auf diese Weise sicher und annähernd beruhigt fühlen. Der Ex-Agent weist deutliche Züge einer zwanghaften (oder auch anankastischen) Persönlichkeitsstörung auf. Für diese Diagnose müssen nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F60.5) mindestens vier der folgenden Symptome dauerhaft vorliegen:

  • Übermäßige Vorsicht
  • Ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation und Planungen
  • Perfektionismus
  • Überzogene Gewissenhaftigkeit
  • Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit
  • Übermäßige Pedanterie und Befolgung von Konventionen
  • Rigidität und Eigensinn
  • Bestehen auf Unterordnung Anderer unter eigene Gewohnheiten
Robert achtet auf einen gesunden Lebensstil und scheint sich dabei keine Ausnahmen zu gönnen. Jeden Abend um die gleiche Zeit geht er in den immer gleichen Diner, setzt sich an den immer gleichen Platz, ordnet sein Besteck in der immer gleichen Weise an und trinkt den immer gleichen Tee. Als einzige Freizeitbeschäftigung liest er ein Buch nach dem anderen von der Bücherliste seiner Ehefrau. Beim Softball und bei der Vorbereitung seines Arbeitskollegen für die Wachmannprüfung ist er leistungsbezogen und perfektionistisch, kein Raum für Schwäche. Stets höflich, hilfsbereit und ordentlich – so ist er selbst und so erwartet er es von anderen.
Und wenn er mal die halbe russische Mafia auslöschen muss, dann bitteschön streng nach Zeitplan!
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Desperate Housewives: Bree

Bree Van de Kamp, die im Laufe von Desperate Housewives noch weitere Nachnamen hatte, ist die klischeehafteste der an klischeehaften Vorstadthausfrauen nicht armen Wisteria Lane. Ihr Haus, ihre Familie und auch sie selbst erstrahlen stets in hellstem Glanz. Alles ist sauber und rein – zumindest an der Oberfläche.
Für diese perfekte Fassade tut Bree einiges. Ständig hat sie alle Hände voll zu tun, um alles, was weniger perfekt erscheinen könnte, unter den Teppich zu kehren. Dies gilt auch für ihr Innenleben: Aggression, Neid, Faulheit, Impulsivität, alles was unkontrolliert oder unanständig wirken könnte, hält sie tief in ihrem Inneren verborgen. Meistens macht es den Eindruck, als würde sie nicht einmal selbst diese unerwünschten Emotionen wahrnehmen. Diesen Abwehrmechanismus, bei dem eigene unerträgliche Gefühle ins Unbewusste verdrängt und dort unter Verschluss gehalten werden, nennt man Affektisolierung.
Bree hatte schon früh in ihrem Leben gute Gründe, ihre Gefühle weit von sich weg zu halten. Als Kind verlor sie ihre Mutter bei einem schrecklichen Unfall. Um das Trauma nicht passiv ertragen und all ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung spüren zu müssen, tat sie, was sie fortan immer tun würde, sie spülte das Blut ihrer toten Mutter aus der Einfahrt, stellte Reinheit und Ordnung wieder her und ging zum Tagesgeschäft über. Später wuchs sie mit einer Stiefmutter auf, die höchste Ansprüche an Ordnung, Fleiß und Tugendhaftigkeit stellte und Bree stets wissen ließ, wenn sie an diesen scheiterte. Brees Vater, ein konfliktscheuer Ja-Sager, stand ihr vermutlich nicht bei, sondern erwartete von ihr, sich um der Harmonie willen an die überzogenen Standards seiner zweiten Frau anzupassen. So musste Bree, um in ihrer pseudo-heilen Welt überleben zu können, auch weiterhin ihre Trauer (über den Tod der Mutter), ihre Wut (auf die ungerechte Stiefmutter), ihre Enttäuschung (über den feigen Vater) und ihre Selbstzweifel hinter einer Fassade von Freundlichkeit und Perfektion verbergen.
Über die Jahre wurden die Affektisolierung und der Zwang zu äußerlicher Ordnung und Reinheit zu Brees dominierender Verhaltensstrategie und prägten ihren Charakter, so dass von möglichen anderen Erlebens- und Verhaltensweisen kaum etwas übrig blieb. Als Ergebnis dieses Prozesses, leidet Bree unter einer Zwanghaften Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.5, auch anankastische Persönlichkeitsstörung genannt). Diese zeigt sich bei Bree durch die folgenden Kriterien:
  • Exzessive Beschäftigung mit Details, Regeln, Ordnung, Organisation und Plänen
  • Extremer Perfektionismus
  • Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung zwischenmenschlicher Beziehungen
  • Übertriebene Pedanterie und Befolgen sozialer Konventionen
  • Rigidität und Eigensinn
  • Bestehen darauf, dass andere sich exakt den eigenen Gewohnheiten unterordnen
  • Abneigung dagegen, andere etwas machen zu lassen
Brees Störung wird vermutlich auch dadurch aufrecht erhalten, dass zwanghafte Züge, in gewissem Ausmaß, durchaus gesellschaftlich anerkannt und geschätzt werden. Zumal in der Wisteria Lane, wo der schöne Schein alles bedeutet. So erhält Bree von den Nachbarn viel Wertschätzung für ihr sorgsam gepflegtes Anwesen, ihr makelloses Äußeres und ihre akkuraten Kochkünste, während ihre Familie hinter verschlossenen Türen unter ihrem Zwang zur Perfektion und ihrer gefühlskalten Unnahbarkeit leidet. 
Wenn dennoch zu viel in ihrem Leben zusammenkommt und die unerwünschten Gefühle immer stärker ins Bewusstsein drängen, greift Bree zum Alkohol, der zuverlässig dabei hilft, diese zu betäuben wieder in die Tiefen des Unbewussten zurückzudrängen.
Bree hat in zweifacher Hinsicht einen hohen Krankheitsgewinn: Erstens erspart ihr die konsequente Affektisolierung, die als Teil ihrer Persönlichkeitsstörung unbewusst, quasi automatisiert, abläuft, das Empfinden unangenehmer Gefühle, wie Trauer, Wut, Angst und Selbstzweifeln. Man spricht hier von primärem Krankheitsgewinn. Zweitens hat Bree, durch die gesellschaftliche Anerkennung für ihre Zwanghaftigkeit, einen über die Umwelt vermittelten, sogenannten sekundären Krankheitsgewinn.
Aufgrund dieses hohen Krankheitsgewinns sind zwanghafte Persönlichkeitsstörungen psychotherapeutisch oft schwierig zu behandeln, wie man in Brees Sitzungen mit dem Eheberater Dr. Goldfine anschaulich miterleben kann. Der subjektiv empfundene Leidensdruck liegt häufig eher beim sozialen und familiären Umfeld, welches unter der Zwanghaftigkeit und emotionalen Kälte leidet. Bree selbst ist hingegen mit ihrer Rationalität und Affektisolierung identifiziert und sieht die Notwendigkeit zur Veränderungen eher bei anderen, die in ihren Augen fehlerhaft oder gefühlsduselig sind.
Außerdem ist der psychotherapeutische Ansatz, sich den eigenen Emotionen ohne Bewertung anzunähern, für Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung häufig wenig nachvollziehbar, da sie ihre Gefühle so konsequent abgespalten haben, dass sie tatsächlich nicht wahrnehmen, dass da noch mehr sein könnte. So wählen zwanghafte Menschen häufig nicht die therapeutische Auseinandersetzung mit den Grundlagen ihres zwanghaften Erlebens und Verhaltens, sondern suchen sich ein soziales Umfeld, das zwanghafte Eigenschaften belohnt und wenig Wert auf emotionale Einlassung legt. Das oberflächlich heile Vorstadtidyll der Wisteria Lane scheint dafür nicht schlecht geeignet zu sein.
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Dexter: Dexter

Dexter Morgan, der sympathische Serienkiller aus dem sonnigen Miami – man muss ihn einfach mögen.
Dexter ist forensischer Blutspurenspezialist bei der Mordkommission der Polizei von Miami. Er ist der nette, harmlose, in seiner scheinbaren Schüchternheit irgendwie charmante Labornerd, der die Kollegen mit Donuts und genialen forensischen Analysen beglückt. Sogar eine Freundin mit zwei süßen Kindern hat er sich zugelegt, um die er sich rührend geduldig und verständnisvoll kümmert.
Nachts jedoch treibt es ihn immer wieder hinaus in die düsteren Winkel Miamis und der Conditio Humana, wo er seine Opfer aufspürt und ermordet. In der Regel handelt es sich dabei um Menschen, die aus niederen Motiven selbst gemordet haben und von der Justiz nicht belangt werden konnten. Dexters Antrieb ist aber nicht Selbstjustiz im Dienste der Gerechtigkeit, sondern ein innerer, unstillbarer Drang zu töten, dem er nicht dauerhaft widerstehen kann und den er durch die gezielte Auswahl seiner Opfer lediglich in vermeintlich richtige Bahnen zu lenken versucht. Dies hat zur Folge, dass er selbst wiederholt Ermittlungen sabotiert, um die dann entkommenen oder entlasteten Täter selbst zur Strecke bringen und sein Verlangen stillen zu können.

Dexters Drang zu morden begleitet ihn bereits seit der Kindheit und war offenbar niemals über längere Zeit erloschen. Dabei ist er durchaus in der Lage, die Umsetzung für einige Zeit aufzuschieben, zum Beispiel um nach einem geeigneten Opfer zu suchen oder eine günstige Gelegenheit abzuwarten. Dadurch wächst jedoch seine innere Anspannung und es fällt ihm immer schwerer, sich zurückzuhalten. Seine Gedanken engen sich zunehmend auf das Töten ein, bis es ihm kaum noch möglich ist, sich auf anderes zu konzentrieren, um in seinem Alltag zu funktionieren. Mit der Zeit hat er ein festes Ritual entwickelt, das er bei der Tötung seiner Opfer zumeist rigide befolgt und dessen Einhaltung einen maßgeblichen Teil seiner Befriedigung und Erleichterung durch das Morden ausmacht. Wenngleich Dexter seinen Drang als „dunklen Begleiter“ bezeichnet, ist er sich doch im Klaren darüber, dass er aus seinem Inneren, seiner eigenen Psyche entspringt und nicht etwa auf mystische oder magische Weise von außen eingegeben ist. Ebenso realisiert Dexter, dass sein Verhalten extrem ist und von fast allen anderen Menschen nicht akzeptiert, geschweige denn verstanden werden würde. Dexter ist nicht in der Lage, das Morden aufzugeben, wenngleich er dadurch immer wieder in extrem bedrohliche Situationen gerät: Mehrfach steht er kurz davor, erwischt zu werden, was in Florida die Todesstrafe bedeuten würde. Auch Personen die ihm nahe stehen, werden durch seine Aktivitäten gefährdet, mitunter sogar getötet. Nicht zuletzt ist er durch sein Doppelleben permanent extremem Zeitstress und chronischem Schlafmangel ausgesetzt.

Damit können wir Dexter eine Zwangsstörung, bei der Zwangshandlungen, sogenannte Zwangsrituale, im Vordergrund stehen (ICD-10: F42.1), diagnostizieren. Diese ist durch die folgenden Kriterien definiert:

  • Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen treten über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an den meisten Tagen auf
  • Sie werden als Produkte des eigenen Geistes erkannt und nicht als von Personen oder äußeren Einflüssen eingegeben betrachtet
  • Sie treten wiederholt auf, werden als unangenehm und zumindest teilweise unangemessen erlebt
  • Der Betroffene versucht, sie zu unterdrücken. Mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung kann nicht erfolgreich unterdrückt werden
  • Die Zwangshandlung ist an sich nicht angenehm (dies ist zu unterscheiden von einer vorübergehenden Erleichterung von Anspannung oder Angst)
  • Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen Beschwerden oder soziale Probleme
Im Verlauf der Serie erfährt Dexter (und mit ihm der Zuschauer) immer mehr über seine Vergangenheit. Er findet heraus, dass er im Alter von drei Jahren Zeuge des extrem sadistischen Mordes an seiner Mutter wurde, was er fortan als Ursache seiner psychischen Störung ansieht. Wir können jedoch davon ausgehen, dass bei deren Manifestation zumindest zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle gespielt haben:
Erstens war Dexters Mutter akut drogenabhängig. Dies, sowie ihr krimineller Umgang und die Affäre mit einem verheirateten, notorisch fremdgehenden Polizisten, für den sie gleichzeitig als Informantin tätig war, sprechen für eine nicht allzu gefestigte psychische Struktur. Folglich dürften Dexters frühe Beziehungserfahrungen oftmals verwirrend, ängstigend, enttäuschend und verunsichernd gewesen sein, weshalb wir annehmen können, dass seine psychische Struktur zur Zeit des Traumas bereits fragiler und somit störungsanfälliger war, als die von durchschnittlichen Dreijährigen.
Zweitens wurde Dexters Verarbeitung des traumatischen Erlebnisses über Jahre hinweg von seinem Ziehvater Harry, einem Cop alter Schule, geprägt. Dieser enthielt ihm psychotherapeutische Hilfe vor und vermittelte ihm stattdessen sein klassisch dichotomes Verständnis von gut und böse. Unablässig betrieb er die Abspaltung des traumatisierten Anteils als böses „Monster“, welches in Dexters Innerem lauern und in Form des Drangs zu töten an die Oberfläche drängen würde. Er hielt dieses Monster für nicht kontrollierbar und sah somit die einzige Möglichkeit der Schadensbegrenzung für Dexter und die Allgemeinheit darin, den Impuls wenigstens auf die, aus seiner Sicht, richtigen Opfer zu lenken.
Wir dürfen annehmen, dass Harry damit auch eigene Fantasien, die Bösen jenseits gerichtlicher Bürokratie gerecht bestrafen zu können, auf Dexter projizierte.
Dadurch blieb Dexter die Möglichkeit, seine Gefühle und Impulse besser zu verstehen und dadurch das Trauma adäquat zu verarbeiten, verwehrt. In einer Therapie hätte er lernen können zu begreifen, dass durch den brutalen Mord an seiner Mutter seine kindliche Welt in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Nichts konnte mehr als sicher gelten. Seine eigene Existenz, sowie alles was er liebte und brauchte, waren in einer Welt, in der etwas so schreckliches geschehen konnte, fundamental bedroht.

Diese Wahrnehmung kann die Seele eines Dreijährigen nicht verkraften, weshalb Dexters Psyche verschiedene Abwehrmechanismen einsetze um ihre Funktionalität irgendwie aufrecht zu erhalten: Erstens spaltete Dexter die Erinnerung an das Trauma über viele Jahre komplett ab, verdrängte das Erlebnis ins Unbewusste. Zweitens, quasi als Schutz vor eventuell doch ans Licht kommenden Erinnerungen, identifizierte sich Dexter unbewusst mit der einzigen Person, die angesichts der unfassbaren Gewalttat nicht um ihr Leben fürchten musste: Dem Mörder.





Das Dilemma, dass die einzige Sicherheit gebende Identifikationsfigur gleichzeitig auch zutiefst ängstigend und verhasst war, wurde durch eine nur unvollständige, gleichsam widerwillige Identifikation gelöst. Psychoanalytiker sprechen von einem „Täterintrojekt“: Dexter nimmt selbst die Rolle des Mörders ein und kann somit (gefühlt) nicht mehr zum Opfer werden.
Gleichzeitig erlebt er den Impuls zu morden aber als etwas störendes, falsches, eigentlich nicht zu ihm passendes. Er legt größten Wert darauf, sich von den anderen Mördern, die Unschuldige umbringen, zu unterscheiden und bringt sie, stellvertretend für den nicht internalisierten Teil des Mörders seiner Mutter, immer wieder um.

Dexter wurde also Opfer, machte sich, um die Opferrolle zu verlassen, selbst zum Täter, und vermeidet die Schuldgefühle eines Täters, indem er die Schuld auf andere Täter projiziert, die er dann zu gerechten Opfern macht.
Die Komplexität dieser Abwehrkonstruktion lässt bereits vermuten, dass das nie lange gut gehen kann. Und tatsächlich, nach jedem Mord dauert es nicht lange, bis der Zwang sich wieder meldet und unaufhaltsam auf Umsetzung drängt. All die verdrängten Gefühle (Angst vor der Destruktivität der Welt, Trauer um die Mutter, Hass auf deren Mörder, Schuldgefühle wegen der eigenen Täterschaft…) drängen ins Bewusstsein und drohen, Dexters sensibles psychisches Gleichgewicht zu zerstören, was ihn immer wieder dazu zwingt, dieses wieder in Ordnung zu bringen.
In seinem Tötungsritual wird das eindrucksvoll deutlich: 

  • Der ganze Raum wird sorgfältigst mit Plastikfolie ausgekleidet: Das Morden ist hier sauber, fast ein Akt der Reinigung, schmutzig sind die anderen Mörder – nicht Dexter. 
  • Vor ihrem Tod werden die Opfer mit den Opfern ihrer eigenen Gräueltaten konfrontiert: Dem Bösen wird damit ein fester Ort zugewiesen. Es ist im Anderen zu Hause, nicht bei Dexter. 
  • Dexter behält von jedem Opfer einen Blutstropfen auf einem Objektträger, welche er, fein säuberlich geordnet, in seiner Wohnung aufbewahrt: Das Opfer wird damit zur Fallnummer, zu einem Stück DNS unter vielen, somit entmenschlicht. Dexter ist ein Sammler, ein Wissenschaftler, so einer ist nicht wirklich böse. Brutale Mörder, und damit schuldig, sind die Anderen. 
Dexter selbst sieht sich (durch Harry dahingehend indoktriniert) als hoffnungslosen Fall. Der Kreislauf aus Zwangsgedanken, Mord, Erleichterung und erneutem Aufkommen der Zwangsgedanken wird solange weitergehen, bis er eines Tages gefasst und für seine Taten gerichtet wird. Davon geht Dexter, zumindest zu Beginn der Serie, fest aus.
Als Zuschauer haben wir allerdings durchaus Grund zur Hoffnung: Dexter verlässt zunehmend seine resignativ selbstgewählte innere Isolation. Die Bindungen, die er zunächst nur als Fassade eingegangen ist, lassen ihn nicht unberührt. Er entdeckt warme, emotionale Seiten in sich (dem vermeintlichen Monster) und dunkle, verborgene Seiten in den (vermeintlich guten) anderen, welchen er sich dadurch doch hin und wieder zugehörig fühlen darf.
Es beginnt eine schrittweise Ablösung von Harrys simplifizierender Ideologie, die er zunehmend nicht mehr als seine eigene betrachtet, sich aber auch noch nicht vollständig von ihr lösen kann, was sich in Form von halluzinierten Zwiegesprächen mit dem verstorbenen Harry niederschlägt: Dexter sieht Harry, hört seine Stimme und erlebt die darin geäußerten Gedanken als Harrys, nicht als seine eigenen.
Diese Symptome rechtfertigen zwar die Diagnose einer Paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0). Da uns aber weder Hinweise auf frühere schizophrene Episoden vorliegen, noch ein kognitiver oder motorischer Abbau erkennbar wäre, ist die Prognose günstig.
Wir können davon ausgehen, dass Dexter sich auf diese Weise nach und nach von Harry, seinen Zuschreibungen und Lösungsstrategien verabschiedet.
Und wir dürfen hoffen, dass er sich eines Tages vielleicht auch von seinem Zwang lösen und die Komplexität seiner Gefühle und Persönlichkeitszüge mithilfe realer zwischenmenschlicher Beziehungen zulassen und aushalten kann.
Bis dahin wünschen wir uns nichts sehnlicher, als dass der liebenswürdige, zigfache Serienkiller auch weiterhin ungeschoren davonkommt.
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