Dark Knight Trilogy: Batman

Batman ist die, in einen High-Tech-Fledermaus-Kampfanzug gewandete, Tarnidentität des Milliardärs Bruce Wayne, mithilfe derer er nachts Verbrecher in den Straßen seiner Heimatstadt Gotham City jagt. Batmans Geschichte wird, nicht zum ersten Mal, im Rahmen der Filmtrilogie “Batman Begins”, “The Dark Knight” und “The Dark Knight Rises”, wie folgt erzählt:
Bruce Wayne wächst zunächst unter vermeintlich idealen Bedingungen auf. Besonders sein Vater scheint geradezu traumhaft gut zu sein: Selfmade-Milliardär, sozialer Wohltäter, liebender Ehemann und Vater. Umso mehr können wir annehmen, dass sich der kleine Bruce, angesichts dieses schier unerreichbaren Rollenvorbilds, schon früh mit Insuffizienz- und Minderwertigkeitsgefühlen herumzuschlagen hat. Allerdings müssen diese, um die dringend benötigte Fürsorge des Vaters nicht zu gefährden, ins Unbewusste verdrängt werden.

Erstmals erschüttert wird die heile Welt des Bruce Wayne durch den Sturz in einen dunklen Brunnenschacht, in welchem es von Fledermäusen wimmelt. In der Folge dieser als lebensbedrohlich erlebten Situation (aus welcher ihn schließlich sein Vater befreit!), entwickelt er eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) mit den folgenden Symptomen:

  • Wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks, Albträume)
  • Innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen
  • Vermeidung von Umständen, die der Belastung ähneln
  • Anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (Ein- und Durchschlafstörungen, erhöhte Schreckhaftigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten)

Die Angst in traumaassoziierten Situationen und der Drang diese zu vermeiden, führen dazu, dass Familie Wayne eine Oper, in deren Verlauf Fledermäuse umherflattern, vorzeitig durch einen Seiteneingang verlassen muss und das Elternpaar von einem Straßenräuber ermordet wird. Bruce entwickelt daraufhin starke Schuldgefühle. Dass er sich insgeheim manchmal vom übergroßen Schatten des Vaters frei gewünscht hätte, dürfte diese zusätzlich verstärkt haben. 

Seine ohnmächtigen Schuldgefühle projiziert er auf den Täter und schmiedet irgendwann im Lauf der nächsten Jahre einen Racheplan, welchen er bei dessen Haftentlassung umzusetzen versucht. Bis dahin scheint ihn die Rachephantasie für ein äußerlich unauffälliges und leidlich erfolgreiches Leben als Student einer Eliteuni ausreichend stabilisiert zu haben. Als der unausgegorene Racheplan an der Realität scheitert, wirft die narzisstische Kränkung den jungen Mann in eine schwere Depression (ICD-10: F32.2), die sich in typisch männlicher Weise manifestiert:

  • Sozialer Rückzug
  • Zynismus
  • Gereiztheit
  • Parasuizidales Risikoverhalten

Trotz der, zum Markenzeichen stilisierten, Einzelgängerrolle bleibt Bruce insgeheim weiterhin von der Sehnsucht nach der verlorenen väterlichen Anerkennung und mütterlichen Geborgenheit getrieben, welche er beide auf seine Jugendliebe Rachel verschiebt, wobei er das gemeinsame Glück aber vermeidend in eine phantasierte Zukunft projiziert, wahrscheinlich aus Angst, Rachel durch seine untergründig empfundene Unvollkommenheit zu enttäuschen und/oder zu gefährden und dadurch (wie die Eltern) wieder zu verlieren.
Als Rachel (und mit ihr die Erlösungsphantasie) im zweiten Film “The Dark Knight” tatsächlich stirbt, wiederholen sich die Schulddepression und schließlich, zu Beginn des dritten Films “The Dark Knight Rises”, der bekannte Ausweg aus dieser durch die Flucht in die Rolle des maskierten Helden. Wieder wird die empfundene Schuld auf die Bösen projiziert und das Minderwertigkeitsgefühl durch die narzisstische Selbstglorifizierung als edler Rächer abgewehrt.

Bruce Wayne ist also gefangen in einem sich ständig neu inszenierenden Dilemma, einem chronisch misslingenden Beziehungsmuster: Zwar hat er den starken Wunsch von seinen Mitmenschen geliebt und angenommen zu werden. Jedoch ist er in seinem tiefsten Inneren davon überzeugt, den Erwartungen nicht genügen zu können (vermutlich aufgrund des idealisierten und unerreichbaren väterlichen Vorbilds). In dem subjektiven Zwang, sich perfekt und damit liebenswert zu präsentieren, spaltet er alle mit dem väterlichen Idealbild nicht vereinbaren Selbstaspekte (Angst, Rachsucht, Aggressivität, Bindungsängste, Depression…) mithilfe des heimlichen Alter-Egos Batman ab. Tragischerweise wird der nach außen wahrgenommene Bruce Wayne dadurch eindimensional und leer, vermag Andere nicht wirklich an sich zu binden (mit Ausnahme von Rachel in einer Mischung aus Nostalgie und Mitleid).

Der traurige, einsame Bruce Wayne kann einem wahrlich leid tun und man ist regelrecht dankbar, dass Hollywood ihm nach drei langen Filmen voller Leiden und zermürbenden Selbstzweifeln doch noch ein Happy End schenkt.
Gönnen wir also diesem leidgeprüften Batman sein wohlverdientes Glück und trinken mit Alfred einen Fernet Branca auf sein Wohl!

Mehr zur Dark Knight Trilogie gibt es auch im Charakterneurosen-Podcast Folge 20 zu hören!

 

Weiterlesen

Sons of Anarchy: Gemma



Gemma Teller-Morrow ist die Matriarchin des Motorradclubs Sons of Anarchy aus der gleichnamigen TV-Serie. Sie ist die Witwe des verstorbenen Clubgründers John Teller und die Frau des Präsidenten Clay Morrow. Ihr Sohn Jax Teller, der im Mittelpunkt der Serie steht, ist Vizepräsident des Clubs.
Gemma ist eine eindrucksvolle Erscheinung, wirkt stark und selbstsicher und ist mit Anfang 50 außerordentlich attraktiv. Sie ist stets perfekt zurechtgemacht, mit Make-Up und Strähnchen, trägt enge Jeans und tiefe Ausschnitte. Sie ist die einzige Frau, vor der alle Männer des Clubs großen Respekt haben und sie zieht im Hintergrund die Fäden, um die ständig drohende Vernichtung des Clubs durch rivalisierende Gangs, die Polizei oder interne Intrigen, abzuwenden.

Die schillernde, bewunderte, verführerische, manipulativ kontrollierende Gemma zeigt dabei Züge einer histrionischen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.4), d. h. eines überdauernden, durch Egozentrismus und Theatralik geprägten, Erlebens- und Verhaltensmusters. Für diese Diagnose müssen nach ICD-10 mindestens vier der folgenden Merkmale zeit- und situationsübergreifend vorliegen:

  • dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder übertriebener Ausdruck von Gefühlen 
  • Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse/Umstände
  • oberflächliche, labile Affekte
  • ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betreffenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen
  • unangemessen verführerisches Erscheinen oder Verhalten
  • übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen

Der theatralische, übertrieben wirkende Gefühlsausdruck zeigt sich bei Gemma selten in heftigen Gefühlsausbrüchen. Allerdings können diese auch vorkommen, z.B. wenn sie einer jungen Konkurrentin aus Eifersucht mit einem Skateboard die Nase bricht. Häufiger jedoch wird Gemmas dramatisches Gefühlserleben in ihren eigenen Aussagen deutlich: Familie und Club seien ihr Leben, sie würde töten um sie zu schützen, lieber sterben als ihre Enkel nicht mehr zu sehen, etc.
Durch andere besonders beeinflussbar ist Gemma hingegen nicht, vielmehr manipuliert sie ihrerseits gekonnt und rücksichtslos alle möglichen anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Dabei zeigt sie ein breites Spektrum intensiver Gefühle, welche sich dem Zuschauer aber häufig als aufgesetzt und kalkuliert offenbaren.
Eine ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten (Sensation Seeking) können wir in Gemmas direktem Verhalten nicht grundsätzlich feststellen, eine zwischenzeitliche Phase von exzessivem Alkoholkonsum und ausschweifender Promiskuität erweist sich als nur vorübergehend.
Allerdings können wir wohl ein unbewusstes Sensation Seeking-Motiv darin erkennen, dass Gemma sich immer wieder an Männer bindet, die kriminellen und gewalttätigen Gangs vorstehen, und dass sie, im Gegensatz zu den anderen Frauen des Clubs, beim Spiel mit Gewalt, Drogen, Waffen, Prostitution, Betrug, Mord und Vertuschung kräftig aktiv mitmischt. Alltagsroutine droht da nicht.
Durch diese herausgehobene Position sichert sich Gemma auch die bewundernde, zum Teil regelrecht anhimmelnde, Aufmerksamkeit all der wilden und starken Männer, mit denen sie sich gern umgibt.
Gemmas zweifellos verführerisches Auftreten als unangemessen zu bezeichnen, wäre wohl ein wenig übertrieben. Dass sie aber äußersten Wert auf eine betont weibliche, erotische und jugendliche Erscheinung legt, davon können wir uns in jeder Episode überzeugen. 



Histrionischen Persönlichkeitszügen liegt häufig ein sogenannter ödipaler Konflikt zugrunde, also eine Störung der psychosexuellen Identität, die zu einer Unausgewogenheit in der Wahrnehmung und Verkörperung der eigenen Geschlechtsrolle führt.
Da die inneren Bilder der eigenen und der gegensätzlichen Geschlechtsrolle in der Regel vor allem durch die Beobachtung und Interaktion mit den eigenen Eltern geprägt werden, könnte uns Gemmas Beziehung zu ihren Eltern mehr über ihren inneren Konflikt verraten: Wir erfahren im Verlauf von Sons of Anarchy, dass Gemma kein gutes Verhältnis zu ihrer inzwischen verstorbenen Mutter Rose hatte. Diese sei ein Kontrollfreak gewesen, habe stets versucht ihren Willen durchzusetzen und sei zu Gemma streng gewesen. Dadurch gab es zwischen Mutter und Tochter viel Streit, bis Gemma schließlich alt genug war, um ihr Elternhaus zu verlassen und sich so dem Einflussbereich ihrer Mutter zu entziehen. Dagegen hegt Gemma gegenüber ihrem Vater Nate starke liebevolle Gefühle. Es wird deutlich, wie sehr sie sich auch als erwachsene Frau noch seine Nähe und Zuneigung wünscht und wie sehr es sie verletzt, dass er sie, inzwischen durch eine Demenz schwer gezeichnet, zeitweise nicht erkennt.

Um eine reife Geschlechtsidentität zu entwickeln bedürfen Mädchen der Mutter zunächst als Vorbild und Identifikationsfigur, mit der sie in späteren Phasen der Entwicklung auch um die Anerkennung des Vaters wetteifern und konkurrieren können. Der „Glanz im Auge des Vaters“ dient dabei als Rückmeldung und Bestätigung.
So wie Gemma ihre Mutter erlebt hat, herrschsüchtig und kontrollierend, mochte sie sich kaum mit ihr identifizieren, auch können wir annehmen, dass Rose der kleinen Gemma wenig Raum für das Experimentieren und Entwickeln einer eigenen Persönlichkeit ließ.Auch Nate konnte sich offenbar gegen die dominante Rose nicht behaupten. Vielmehr unterwarf er sich ihr in passiver Verehrung und hatte daneben wenig Aufmerksamkeit für seine Tochter übrig. Vielleicht zog er sich unbewusst auch deshalb von Gemma zurück, weil er ahnte, dass da eine zweite Rose heranwuchs, wo er es ja mit einer schon schwer genug hatte. 
Und tatsächlich, wenngleich Gemma nach Kräften gegen ihre Mutter und das familiäre Machtgefüge anzukämpfen versuchte, unbewusst übernahm sie doch die Rollenbilder die ihr vorgelebt wurden: So wurde sie selbst zu einer alles kontrollierenden, manipulativen Über-Mutter und obwohl die Männer die sie als Partner wählt nach außen hin Stärke und Männlichkeit verkörpern, hält sie sie in ihrem Innern doch für so schwach und verletzlich, dass sie getrieben ist von der ständigen Sorge um sie und dem verzweifelten Wunsch, sie zu beschützen.

Gemmas betont weiblich-verführerisches Auftreten können wir demnach als Reinszenierung des Versuchs des kleinen Mädchens sehen, in der Rolle der Frau um den Stolz und die Anerkennung des Vaters zu werben. Tragisch dabei ist, dass Gemma, bei all der Resonanz, die sie von der Männerwelt erhält (vom offenen Stolz ihres Mannes Clay auf die Schönheit und Stärke seiner „Old Lady“, über den bewundernden Respekt der Clubmitglieder und deren heimliche ödipale MILF-Fantasien, bis hin zu der bedingungs- und anspruchslosen Verehrung des örtlichen Polizeichefs Wayne), von ihrem Vater, der zwischen dementer Umnachtung und dem Festklammern an der Erinnerung an seine verstorbene Frau gefangen scheint, noch immer kaum wahrgenommen wird.

Weiterlesen

Der Herr der Ringe: Gollum

Über Gollum wissen wir, von der triologischen Verfilmung des Herrn der Ringe ausgehend, zunächst einmal eines: Er ist getrieben vom Wunsch, den Einen Ring zu besitzen. Dieser Wunsch ist so übermächtig, dass das ganze Leben, die ganze Persönlichkeit Gollums darauf ausgerichtet zu sein scheint. Gollum ist süchtig nach dem Ring.

Die internationale Klassifikation psychischer Krankheiten (ICD-10, WHO, 2010) legt für die Diagnose eines stoffgebundenen Abhängigkeitssyndroms (F19.2) fest, dass mindestens drei der folgenden Kriterien längerfristig erfüllt sein müssen:
  • Starkes Verlangen oder Zwang, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle über den Konsum oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren
  • Körperliches Entzugssyndrom
  • Toleranzentwicklung: Bei fortgesetztem Konsum derselben Menge treten deutlich geringere Effekte auf
  • Aufgabe oder Vernachlässigung anderer Interessen. Hoher Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum der Substanz
  • Anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen
Der „Konsum“ des Ringes besteht für Gollum (und auch die anderen Konsumenten: Isildur, Bilbo, Frodo) im bloßen Besitz (Sauron hingegen scheint eher ein instrumentelles Interesse an der militärischen Macht des Ringes zu haben). Die Benutzung des Ringes und die damit einhergehende Unsichtbarkeit sind offenbar von untergeordneter Bedeutung. In diesem Sinne ist bei Gollum ein starkes, ja übermächtiges Verlangen, sein Suchtmittel zu konsumieren, deutlich festzustellen.
Kontrollverlust über Dauer und Menge des Konsums des Ringes ist dagegen schwer nachzuweisen, da man ihn nur entweder besitzen kann, oder nicht. Jedoch werden wir im Verlauf der Filme Zeuge davon, wie Gollum, um seine aufkeimende Freundschaft zu Frodo zu schützen, zeitweise versucht, gegen seine Sucht anzukämpfen, was, wie wir wissen, letztlich erfolglos bleibt.
Ein körperliches Entzugssyndrom, wie es die meisten psychotropen Substanzen früher oder später mit sich bringen, lässt sich für den Ring nicht feststellen. Der Konsum selbst scheint sich, nebenbei bemerkt, kurzfristig negativ auf die körperliche Gesundheit auszuwirken (Gollum, und im Verlauf der Filme zunehmend auch Frodo, sind in erschreckender physischer Verfassung), langfristig aber das Leben zu verlängern.
Da uns die subjektive Wirkung des Ringes auf seinen Träger nicht wirklich beschrieben wird, ist es schwer, eine mögliche Toleranzentwicklung zu beurteilen. Es finden sich jedoch Hinweise darauf, dass der Besitz des Ringes zunächst mit höchst positiven Gefühlen, die an eine Manie erinnern (Aktivierung, Tollkühnheit, Größenwahn etc.), einhergeht (was vermutlich zum hohen Suchtpotential beiträgt). Vor allem Isildur, aber auch der junge Gollum (der damals noch Smeagol hieß), zeigen diese Symptome. Bei fortgesetztem Konsum (die Dosis des Einen Ringes ist ja, wie gesagt, unveränderbar) scheinen die positiven Gefühle immer mehr abzunehmen und es treten (wie bei vielen euphorisierenden Drogen) zunehmend gereizte und paranoide Stimmungen in den Vordergrund. Somit ist eine gewisse Toleranzentwicklung bzgl. der erwünschten Wirkung festzustellen.
Die Aufgabe anderer Interessen bei hohem Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum des Suchtmittels können wir bei Gollum im Extrem beobachten: Sein ganzes Leben, all seine Aktivitäten und Anstrengungen, zielen letztlich auf den Besitz des Ringes ab. Davon vermögen ihn auch die beträchtlichen schädlichen Folgen seines Suchtverhaltens nicht abzubringen: Er tötet seinen besten Freund (Beschaffungskriminalität), wird sozial ausgegrenzt, vernachlässigt seine Gesundheit, lebt völlig isoliert in bitterster Armut, wird gefangen, geschlagen und gefoltert und opfert letztlich auch die Aussicht auf einen neuen Freund (Frodo), der ihn und sein Schicksal verstehen und akzeptieren könnte, der Gier nach dem Ring.
Jenseits der, diagnostisch somit gesicherten, Abhängigkeitserkrankung, zeigt Gollum noch weitere Symptome (in welchen er sich von den anderen Ringträgern unterscheidet): Zunächst fällt uns seine bizarre Sprechweise auf. Er spricht von sich in der ersten Person Plural, scheint im Dialog mit seinem „Schatz“ zu stehen, benutzt Neologismen (Hobbitse, Orkse). Außerdem zeigt er seltsame, stereotype Bewegungsmuster und Körperhaltungen (z. B. stundenlanges Sitzen in der Hocke, den Blick in die eigene Handfläche vertieft).
Diese Symptome (die zunächst ein sog. Prodromalstadium darstellen) wachsen sich im weiteren Verlauf zu einer manifesten Psychose aus: Gollum hat optische und akustische Halluzinationen in Form eines bösen Alter-Egos, auf welches er seine süchtigen, brutal-egoistischen Selbstanteile projiziert. Angesichts der jahrelangen Abhängigkeitserkrankung, können wir davon ausgehen, dass es sich um eine Psychotische Störung infolge des Substanzkonsums (ICD-10: F19.5) handelt.
Und als wäre das noch nicht genug, leidet der arme Gollum, ebenfalls infolge des gesundheitlichen Abbaus im Rahmen seiner Sucht, noch an einem chronischen vokalen Tic (ICD-10: F95.1): Seit vielen Jahren muss er mehrmals täglich, unwillkürlich, plötzlich und wiederholt den Laut „Gollum“ ausstoßen, dem er seinen stigmatisierenden Namen verdankt.
In Gollums psychotischer Ich-Spaltung wird das Wesen der Sucht exemplarisch deutlich: Verängstigte, einsame, hilflose Persönlichkeitsanteile (die sich auch später noch Smeagol nennen, was auf dessen prämorbide Persönlichkeitsstruktur verweist) finden in der Sucht eine starke, selbstbewusste, beschützende und versorgende Instanz. Diese ist jedoch trügerisch und kann jederzeit massiv bedrohlich, entwertend und beschuldigend werden, was die ursprünglichen Gefühle von Angst, Einsamkeit und Hilflosigkeit wiederum verstärkt.
Die ganze Figur des Gollum kann somit als Metapher auf den Teufelskreis der Sucht verstanden werden: Zunächst können negative Gefühle kompensatorisch durch angenehmere ersetzt werden. Diesen folgen jedoch irgendwann Scham- und Schuldgefühle. Der daraus entstehende Impuls, sich loszusagen, löst erneut die primären negativen Gefühle aus. Mit jeder Niederlage im Ankämpfen gegen die Sucht, werden Scham und Schuld und der Zweifel daran, das Leben ohne den Suchtstoff bewältigen zu können, stärker.
Wenngleich Gollum dem Ring völlig verfällt und schließlich an seiner Sucht zugrunde geht, scheint, wie bei jedem Suchtmittel, auch das Abhängigkeitspotential des Ringes interpersonell unterschiedlich groß zu sein:
Isildur nutzt den Ring um sich besser und stärker zu fühlen, ähnlich einer Partydroge oder einem Aufputschmittel zur Leistungssteigerung. Sein Risiko, langfristig abhängig zu werden, wäre hoch, fände er nicht im Rausch einen frühen Tod.
Bilbo steckt den jahrzehntelangen Besitz des Ringes offenbar recht unbeschadet weg und kann ihn, trotz zwischenzeitlich beträchtlichen Widerwillens, schließlich abgeben. Danach setzt jedoch ein rapider und stetiger körperlicher Verfall ein. Bilbo erinnert somit an einen Spiegeltrinker, der über lange Zeit konsumiert, ohne dabei vollständig die Kontrolle zu verlieren. Ohne seinen Suchtstoff fällt es ihm allerdings schwer, ein angemessenes Funktionsniveau aufrecht zu erhalten und die körperlichen Langzeitfolgen machen sich umso deutlicher bemerkbar.
Frodo zeigt schon früh süchtige Verhaltensweisen und riskiert im Kampf um den Ring schließlich sogar sein Leben. In seinem Fall liegt folglich ein Schädlicher Gebrauch (ICD-10: F19.1) vor. Als er aber vom Ring befreit ist, kann er dies ohne Entzugssymptome und nennenswerte Folgeschäden aushalten, was dafür spricht, dass eine Abhängigkeit im Entstehen begriffen war, aber durch den erzwungenen Entzug noch abgewendet werden konnte.
Sam schließlich scheint am wenigsten suchtgefährdet: Ihm sind der Ring und dessen Wirkung von Beginn an suspekt und er ist regelrecht erleichtert, ihn wieder loszuwerden. Er trägt den Ring aus Verantwortungsgefühl, ähnlich jemandem, der aus sozialen Beweggründen Drogen konsumiert, vor deren Wirkung er aber eigentlich Angst hat und die ihm auch nicht schmecken. Da der „Gruppenzwang“ zum Tragen des Rings für Sam einmalig bleibt, besteht weiterhin keine Suchtgefahr.
Wer warum wie auf einen Suchtstoff reagiert, ist eine Frage von extremer psycho-physiologischer Komplexität, die auch im Herr der Ringe (in der Realität sowieso) nicht abschließend beantwortet werden kann.
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass selbst der schwerst süchtige Gollum, nach Jahrzehnten der Misshandlung und Ausgrenzung, durch ein Bisschen Zuwendung und Mitgefühl von Frodo, zu einem ernsthaften, wenn auch letzten Endes erfolglosen, Versuch, gegen seine Sucht anzukämpfen, befähigt wird.
Wie hätte sein Leben wohl ausgesehen, wenn ihm früher jemand die Hand gereicht hätte?
Weiterlesen

Dexter: Dexter

Dexter Morgan, der sympathische Serienkiller aus dem sonnigen Miami – man muss ihn einfach mögen.
Dexter ist forensischer Blutspurenspezialist bei der Mordkommission der Polizei von Miami. Er ist der nette, harmlose, in seiner scheinbaren Schüchternheit irgendwie charmante Labornerd, der die Kollegen mit Donuts und genialen forensischen Analysen beglückt. Sogar eine Freundin mit zwei süßen Kindern hat er sich zugelegt, um die er sich rührend geduldig und verständnisvoll kümmert.
Nachts jedoch treibt es ihn immer wieder hinaus in die düsteren Winkel Miamis und der Conditio Humana, wo er seine Opfer aufspürt und ermordet. In der Regel handelt es sich dabei um Menschen, die aus niederen Motiven selbst gemordet haben und von der Justiz nicht belangt werden konnten. Dexters Antrieb ist aber nicht Selbstjustiz im Dienste der Gerechtigkeit, sondern ein innerer, unstillbarer Drang zu töten, dem er nicht dauerhaft widerstehen kann und den er durch die gezielte Auswahl seiner Opfer lediglich in vermeintlich richtige Bahnen zu lenken versucht. Dies hat zur Folge, dass er selbst wiederholt Ermittlungen sabotiert, um die dann entkommenen oder entlasteten Täter selbst zur Strecke bringen und sein Verlangen stillen zu können.

Dexters Drang zu morden begleitet ihn bereits seit der Kindheit und war offenbar niemals über längere Zeit erloschen. Dabei ist er durchaus in der Lage, die Umsetzung für einige Zeit aufzuschieben, zum Beispiel um nach einem geeigneten Opfer zu suchen oder eine günstige Gelegenheit abzuwarten. Dadurch wächst jedoch seine innere Anspannung und es fällt ihm immer schwerer, sich zurückzuhalten. Seine Gedanken engen sich zunehmend auf das Töten ein, bis es ihm kaum noch möglich ist, sich auf anderes zu konzentrieren, um in seinem Alltag zu funktionieren. Mit der Zeit hat er ein festes Ritual entwickelt, das er bei der Tötung seiner Opfer zumeist rigide befolgt und dessen Einhaltung einen maßgeblichen Teil seiner Befriedigung und Erleichterung durch das Morden ausmacht. Wenngleich Dexter seinen Drang als „dunklen Begleiter“ bezeichnet, ist er sich doch im Klaren darüber, dass er aus seinem Inneren, seiner eigenen Psyche entspringt und nicht etwa auf mystische oder magische Weise von außen eingegeben ist. Ebenso realisiert Dexter, dass sein Verhalten extrem ist und von fast allen anderen Menschen nicht akzeptiert, geschweige denn verstanden werden würde. Dexter ist nicht in der Lage, das Morden aufzugeben, wenngleich er dadurch immer wieder in extrem bedrohliche Situationen gerät: Mehrfach steht er kurz davor, erwischt zu werden, was in Florida die Todesstrafe bedeuten würde. Auch Personen die ihm nahe stehen, werden durch seine Aktivitäten gefährdet, mitunter sogar getötet. Nicht zuletzt ist er durch sein Doppelleben permanent extremem Zeitstress und chronischem Schlafmangel ausgesetzt.

Damit können wir Dexter eine Zwangsstörung, bei der Zwangshandlungen, sogenannte Zwangsrituale, im Vordergrund stehen (ICD-10: F42.1), diagnostizieren. Diese ist durch die folgenden Kriterien definiert:

  • Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen treten über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an den meisten Tagen auf
  • Sie werden als Produkte des eigenen Geistes erkannt und nicht als von Personen oder äußeren Einflüssen eingegeben betrachtet
  • Sie treten wiederholt auf, werden als unangenehm und zumindest teilweise unangemessen erlebt
  • Der Betroffene versucht, sie zu unterdrücken. Mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung kann nicht erfolgreich unterdrückt werden
  • Die Zwangshandlung ist an sich nicht angenehm (dies ist zu unterscheiden von einer vorübergehenden Erleichterung von Anspannung oder Angst)
  • Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen verursachen Beschwerden oder soziale Probleme
Im Verlauf der Serie erfährt Dexter (und mit ihm der Zuschauer) immer mehr über seine Vergangenheit. Er findet heraus, dass er im Alter von drei Jahren Zeuge des extrem sadistischen Mordes an seiner Mutter wurde, was er fortan als Ursache seiner psychischen Störung ansieht. Wir können jedoch davon ausgehen, dass bei deren Manifestation zumindest zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle gespielt haben:
Erstens war Dexters Mutter akut drogenabhängig. Dies, sowie ihr krimineller Umgang und die Affäre mit einem verheirateten, notorisch fremdgehenden Polizisten, für den sie gleichzeitig als Informantin tätig war, sprechen für eine nicht allzu gefestigte psychische Struktur. Folglich dürften Dexters frühe Beziehungserfahrungen oftmals verwirrend, ängstigend, enttäuschend und verunsichernd gewesen sein, weshalb wir annehmen können, dass seine psychische Struktur zur Zeit des Traumas bereits fragiler und somit störungsanfälliger war, als die von durchschnittlichen Dreijährigen.
Zweitens wurde Dexters Verarbeitung des traumatischen Erlebnisses über Jahre hinweg von seinem Ziehvater Harry, einem Cop alter Schule, geprägt. Dieser enthielt ihm psychotherapeutische Hilfe vor und vermittelte ihm stattdessen sein klassisch dichotomes Verständnis von gut und böse. Unablässig betrieb er die Abspaltung des traumatisierten Anteils als böses „Monster“, welches in Dexters Innerem lauern und in Form des Drangs zu töten an die Oberfläche drängen würde. Er hielt dieses Monster für nicht kontrollierbar und sah somit die einzige Möglichkeit der Schadensbegrenzung für Dexter und die Allgemeinheit darin, den Impuls wenigstens auf die, aus seiner Sicht, richtigen Opfer zu lenken.
Wir dürfen annehmen, dass Harry damit auch eigene Fantasien, die Bösen jenseits gerichtlicher Bürokratie gerecht bestrafen zu können, auf Dexter projizierte.
Dadurch blieb Dexter die Möglichkeit, seine Gefühle und Impulse besser zu verstehen und dadurch das Trauma adäquat zu verarbeiten, verwehrt. In einer Therapie hätte er lernen können zu begreifen, dass durch den brutalen Mord an seiner Mutter seine kindliche Welt in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Nichts konnte mehr als sicher gelten. Seine eigene Existenz, sowie alles was er liebte und brauchte, waren in einer Welt, in der etwas so schreckliches geschehen konnte, fundamental bedroht.

Diese Wahrnehmung kann die Seele eines Dreijährigen nicht verkraften, weshalb Dexters Psyche verschiedene Abwehrmechanismen einsetze um ihre Funktionalität irgendwie aufrecht zu erhalten: Erstens spaltete Dexter die Erinnerung an das Trauma über viele Jahre komplett ab, verdrängte das Erlebnis ins Unbewusste. Zweitens, quasi als Schutz vor eventuell doch ans Licht kommenden Erinnerungen, identifizierte sich Dexter unbewusst mit der einzigen Person, die angesichts der unfassbaren Gewalttat nicht um ihr Leben fürchten musste: Dem Mörder.





Das Dilemma, dass die einzige Sicherheit gebende Identifikationsfigur gleichzeitig auch zutiefst ängstigend und verhasst war, wurde durch eine nur unvollständige, gleichsam widerwillige Identifikation gelöst. Psychoanalytiker sprechen von einem „Täterintrojekt“: Dexter nimmt selbst die Rolle des Mörders ein und kann somit (gefühlt) nicht mehr zum Opfer werden.
Gleichzeitig erlebt er den Impuls zu morden aber als etwas störendes, falsches, eigentlich nicht zu ihm passendes. Er legt größten Wert darauf, sich von den anderen Mördern, die Unschuldige umbringen, zu unterscheiden und bringt sie, stellvertretend für den nicht internalisierten Teil des Mörders seiner Mutter, immer wieder um.

Dexter wurde also Opfer, machte sich, um die Opferrolle zu verlassen, selbst zum Täter, und vermeidet die Schuldgefühle eines Täters, indem er die Schuld auf andere Täter projiziert, die er dann zu gerechten Opfern macht.
Die Komplexität dieser Abwehrkonstruktion lässt bereits vermuten, dass das nie lange gut gehen kann. Und tatsächlich, nach jedem Mord dauert es nicht lange, bis der Zwang sich wieder meldet und unaufhaltsam auf Umsetzung drängt. All die verdrängten Gefühle (Angst vor der Destruktivität der Welt, Trauer um die Mutter, Hass auf deren Mörder, Schuldgefühle wegen der eigenen Täterschaft…) drängen ins Bewusstsein und drohen, Dexters sensibles psychisches Gleichgewicht zu zerstören, was ihn immer wieder dazu zwingt, dieses wieder in Ordnung zu bringen.
In seinem Tötungsritual wird das eindrucksvoll deutlich: 

  • Der ganze Raum wird sorgfältigst mit Plastikfolie ausgekleidet: Das Morden ist hier sauber, fast ein Akt der Reinigung, schmutzig sind die anderen Mörder – nicht Dexter. 
  • Vor ihrem Tod werden die Opfer mit den Opfern ihrer eigenen Gräueltaten konfrontiert: Dem Bösen wird damit ein fester Ort zugewiesen. Es ist im Anderen zu Hause, nicht bei Dexter. 
  • Dexter behält von jedem Opfer einen Blutstropfen auf einem Objektträger, welche er, fein säuberlich geordnet, in seiner Wohnung aufbewahrt: Das Opfer wird damit zur Fallnummer, zu einem Stück DNS unter vielen, somit entmenschlicht. Dexter ist ein Sammler, ein Wissenschaftler, so einer ist nicht wirklich böse. Brutale Mörder, und damit schuldig, sind die Anderen. 
Dexter selbst sieht sich (durch Harry dahingehend indoktriniert) als hoffnungslosen Fall. Der Kreislauf aus Zwangsgedanken, Mord, Erleichterung und erneutem Aufkommen der Zwangsgedanken wird solange weitergehen, bis er eines Tages gefasst und für seine Taten gerichtet wird. Davon geht Dexter, zumindest zu Beginn der Serie, fest aus.
Als Zuschauer haben wir allerdings durchaus Grund zur Hoffnung: Dexter verlässt zunehmend seine resignativ selbstgewählte innere Isolation. Die Bindungen, die er zunächst nur als Fassade eingegangen ist, lassen ihn nicht unberührt. Er entdeckt warme, emotionale Seiten in sich (dem vermeintlichen Monster) und dunkle, verborgene Seiten in den (vermeintlich guten) anderen, welchen er sich dadurch doch hin und wieder zugehörig fühlen darf.
Es beginnt eine schrittweise Ablösung von Harrys simplifizierender Ideologie, die er zunehmend nicht mehr als seine eigene betrachtet, sich aber auch noch nicht vollständig von ihr lösen kann, was sich in Form von halluzinierten Zwiegesprächen mit dem verstorbenen Harry niederschlägt: Dexter sieht Harry, hört seine Stimme und erlebt die darin geäußerten Gedanken als Harrys, nicht als seine eigenen.
Diese Symptome rechtfertigen zwar die Diagnose einer Paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0). Da uns aber weder Hinweise auf frühere schizophrene Episoden vorliegen, noch ein kognitiver oder motorischer Abbau erkennbar wäre, ist die Prognose günstig.
Wir können davon ausgehen, dass Dexter sich auf diese Weise nach und nach von Harry, seinen Zuschreibungen und Lösungsstrategien verabschiedet.
Und wir dürfen hoffen, dass er sich eines Tages vielleicht auch von seinem Zwang lösen und die Komplexität seiner Gefühle und Persönlichkeitszüge mithilfe realer zwischenmenschlicher Beziehungen zulassen und aushalten kann.
Bis dahin wünschen wir uns nichts sehnlicher, als dass der liebenswürdige, zigfache Serienkiller auch weiterhin ungeschoren davonkommt.
Weiterlesen

Willkommen bei Charakter-Neurosen!

Auf diesen Seiten mache ich als Psychologe und Cineast Vorschläge zum psychologischen Verständnis ausgewählter Charaktere aus Filmen und TV-Serien. 

Die Texte enthalten in der Regel keine ausführlichen Darstellungen oder Zusammenfassungen der Handlung, vielmehr wird die Kenntnis des Films oder der Serie vorausgesetzt und ist für das Verständnis der Ausführungen förderlich bis notwendig. Dennoch werden hin und wieder Ereignisse beschrieben und Handlungsstränge nachverfolgt (Spoiler!). 

Viel Vergnügen!

    Weiterlesen
    1 11 12 13