Monk: Adrian Monk



Adrian Monks Biographie ist durch mehrere schwere Verlusterlebnisse gekennzeichnet, die in ihm eine tiefe Verunsicherung und Angst sowie ein überwertiges Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit ausgelöst haben. Psychopathologisch schlägt sich dies in der Kombination einer Phobischen Störung und einer Zwangsstörung nieder.

Monk hat eine Vielzahl spezifischer Phobien (ICD-10: F40.2). Diese Störungen zeichnen sich dadurch aus, dass in einer spezifischen Situation (z.B. Zahnarztbesuch) oder durch einen spezifischen Reiz (z.B. Schlangen) starke psychische Angst und vegetative Angstsymptome (z.B. Herzrasen, Schwindel, Schwitzen) ausgelöst werden. Zentral für die Diagnose ist auch, dass die Angst in diesem Maße nur durch den/die spezifischen Reiz/e ausgelöst wird und nicht in beliebigen Situationen oder ohne Auslöser auftritt. Die phobische Angst führt dazu, dass der/die angstbesetzte Reiz/Situation, wann immer möglich, und oft unter hohen Kosten, vermieden wird, wodurch Monk immer wieder in skurrile und gefährliche Situationen gerät.
Außerdem leidet Monk unter einer Zwangsstörung, bei der Zwangshandlungen, sogenannte Zwangsrituale, im Vordergrund stehen (ICD-10: F42.1). Das bedeutet, Monk muss bestimmte Rituale, z.B. das symmetrische Anordnen von Gegenständen oder das Trinken von nur einer bestimmten Sorte Sodawasser, streng einhalten und wiederholt durchführen. Dabei weiß Monk, dass dieser Zwang ein psychisches Symptom ist und nicht etwa eine reale Gefahr entsteht, wenn er z.B. ein anderes Wasser trinkt. Darin unterscheidet sich die Zwangsstörung von einer wahnhaften Störung, bei der die Realitätswahrnehmung beeinträchtigt wäre. Charakteristisch, wenn auch vielleicht etwas überzeichnet, ist, dass Monk immer wieder einen hohen Preis an alltäglicher Effizienz und sozialer Funktionalität zahlt, um seine Zwangsrituale einzuhalten.
 
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Hand of God: Pernell

Die Amazon-Serie Hand of God ließe sich wohl unter vielen Gesichtspunkten interessant analysieren. Glaube vs. Rationalität, Rache vs. Vergebung, Stolz vs. Scham – das sind nur einige der behandelten Themen.
Aus psychiatrischer Perspektive sehen wir in Hand of God in erster Linie einen Mann (Richter Pernell Harris) der unter dem Einfluss eines traumatischen Ereignisses (Suizidversuch seines Sohnes) eine psychische Erkrankung entwickelt, deren imposantestes Symptom ein religiöser Wahn ist. Als Wahn bezeichnet die Psychopathologie eine Überzeugung, die nachweisbar unvereinbar mit der objektiven Realität ist, an der die betroffene Person aber dennoch dauerhaft festhält. Wahn beeinträchtigt dadurch die Realitätswahrnehmung und das Alltagsfunktionsniveau. Pernells religiöser Wahn besteht darin, dass er von Gott auserwählt wurde, seinen Sohn zu rächen. Dass Gott ihm Hinweise in Form optischer Wahrnehmungen sendet. Dass er durch Handeln im Sinne Gottes seinen Sohn aus dem Koma erwecken kann.
Darüber hinaus hat Pernell akustische und optische Halluzinationen: Er hört die Stimme seines im Koma liegenden Sohnes (unterhält sich sogar mit ihm) und sieht immer wieder Personen oder Dinge, die nicht da sind.
Nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10) leidet Pernell unter einer Paranoiden Schizophrenie (F20.0), welche in seinem Fall durch die folgenden charakteristischen Symptome gekennzeichnet ist:
  • Wahn
  • Akustische Halluzinationen in Form von kommentierenden und dialogischen Stimmen
  • Optische Halluzinationen
  • Gedankeneingebung: Überzeugung dass eigene Gedanken von außen (von Gott) geschickt wurden
  • Gedankenabreisen: Unterbrechung des Denkflusses (bei Pernell durch das plötzliche Einschießen von Einfällen im Zusammenhang mit seinem Wahn)

Pernells religiöser Wahn unterscheidet sich von einfacher Religiosität oder auch religiösem Fundamentalismus (der zwar ein Problem, aber keine Krankheit darstellt) dadurch, dass Pernells Realitätswahrnehmung durch seinen Wahn immer wieder deutlich beeinträchtigt wird, z.B. wenn er davon überzeugt ist, seinen Sohn durch aktives Handeln aus dem Koma erwecken zu können etc.
Für einen psychisch gesunden Gläubigen kann z.B. das ewige Leben gleichzeitig mit und trotz dem physischen Tod bestehen – Pernell verleugnet das Koma und den nahenden Tod seines Sohnes, entgegen aller medizinischen Fakten.
Religiöse Fundamentalisten verleugnen zwar auch objektive Realitäten, sie tun dies aber (wie z.B. der charismatische Reverend Curtis in Hand of God) zur Verbreitung ihrer Glaubenslehren und Durchsetzung ihrer Interessen. In den meisten Fällen sind sie sich dennoch der logischen und naturwissenschaftlichen Realitäten bewusst.
Natürlich spielt Hand of God mit genau diesen Unterschieden und Gemeinsamkeiten, sodass man sich nie ganz sicher sein kann, ob nicht doch übernatürliche Kräfte im Spiel sind. Letzten Endes ist wohl auch das Glaubenssache.

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Terminator 2: Sarah Connor



Sarah Connor gilt, insbesondere in Terminator 2 – Tag der Abrechnung, als eine der stärksten weiblichen Heldenfiguren des Actionkinos. Dennoch befindet sie sich zu Beginn des Films in einer überaus hilflosen Lage, nämlich zwangseingewiesen in einer geschlossenen forensischen Psychiatrie.

[Insgesamt erinnert die Szene: Starke (rothaarige!) Frau mit geheimem Wissen wird von (männlichen) Autoritäten nicht verstanden und dafür bestraft, ein wenig an die Hexenjagden früherer Jahrhunderte.]
Aber zurück zur Psychologie: Sarah Connor erhält von ihren Ärzten die Diagnose Schizoaffektive Störung und soll mit Thorazine behandelt werden. Thorazine ist der amerikanische Handelsname eines Medikaments mit dem Wirkstoff Chlorpromazin. Chlorpromazin gehört zur Arzneimittelgruppe der Neuroleptika und kann zur Behandlung von Wahn und Unruhe im Rahmen von schizophrenen Störungen eingesetzt werden. Insofern wäre eine Thorazine-Therapie ein denkbarer Behandlungsansatz für Sarah Connor – wenn sie denn eine schizoaffektive Störung hätte.
Eine solche wäre nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F25) gekennzeichnet durch das gleichzeitige Auftreten von
  • Symptomen einer Schizophrenie, z.B. Wahn   und
  • Symptomen einer Affektiven Störung, also entweder
    • einer Depression (gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Antriebsminderung)   oder
    • einer Manie (situationsunangemessen gehobene Stimmung, Gereiztheit, Antriebssteigerung, Größenwahn)
Fairerweise muss man den (zugegebenermaßen so unprofessionellen wie unsympathischen) Behandlern von Sarah Connor zugestehen, dass der Verdacht auf eine wahnhafte Störung naheliegt, wenn eine Patientin steif und fest der Überzeugung ist, von menschengleichen Robotern aus der Zukunft gejagt zu werden, weil sie die Mutter des designierten Retters der Menschheit sei. Tatsächlich scheint dies näher zu liegen, als ihr ihre Geschichte einfach zu glauben. Da sie im Zusammenhang mit diesen Überzeugungen eine Straftat verübt hat (einen Sprengstoffanschlag auf das Cyberdyne-Labor), scheint auch die Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie (i.e. einer psychiatrischen Einrichtung für aufgrund ihrer psychischen Erkrankung straffällig gewordene oder schulunfähige Täter) angemessen.
Würde es sich bei ihrer Überzeugung tatsächlich um eine Wahnvorstellung handeln, könnte die Behandlung mit Thorazine ihr diese nehmen und sie vor der Begehung weiterer Straftaten bewahren. Zudem wirkt Chlorpromazin sedierend, also beruhigend und ermüdend, so dass Sarahs ängstlich-gereizte Übererregung, welche die Ärzte als manisches Symptom fehldeuten, dadurch ebenfalls behandelt werden könnte.
So machen sich Sarah Connors Behandler im Film zwar durch ihr unprofessionelles aggressiv-entwertendes Verhalten ihrer Patientin gegenüber schuldig. Diagnosestellung und Behandlungsplan an sich sind jedoch nachvollziehbar, da die Ärzte unmöglich wissen (und kaum glauben) können, dass Sarah die Wahrheit sagt.
Die Rahmenhandlung der Terminator-Reihe wirkt phantastisch genug um davon auszugehen, dass eine Situation wie die von Sarah Connor zu Beginn des zweiten Films in unserer Realität nicht denkbar ist. Andererseits haben sich 2013 nicht wenige Kollegen die Frage gestellt, wie sie wohl reagiert hätten, wenn ihnen ein Patient vor den Enthüllungen Edward Snowdens vom Ausmaß der Geheimdienstüberwachungen berichtet hätte…
Sarah Connor hat also keine schizoaffektive Störung, braucht kein Thorazine und gehört nicht in die forensische Psychiatrie. Unbeschadet überstanden hat sie die Ereignisse des ersten Terminator-Films jedoch auch nicht. Zu Beginn der zweiten Teils zeigt sie die Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die durch die folgenden Kriterien definiert wird (ICD-10: F43.1):
  • Ein Erlebnis von außergewöhnlicher Bedrohung, z.B. von einem Terminator gejagt und mehrfach fast getötet zu werden
  • Anhaltende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis oder wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen, z.B. Tagträume vom Ende der Welt
  • Innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen, z.B. unverhofft auf der Flucht aus dem Krankenhaus auf genau das Terminator-Modell zu treffen, von welchem man gejagt und mehrfach fast getötet wurde
  • Erhöhte psychische Sensitivität und Erregung, z.B. Gereiztheit, Schreckhaftigkeit, erhöhte Wachsamkeit, Impulsivität…
Mithilfe ihres Sohnes und des umprogrammierten T-800 kann Sarah ihr Trauma teilweise überwinden. Wer beides nicht zur Hand hat, dem hätte auch mit einer Psychotherapie im ambulanten oder offenen stationären Rahmen (statt geschlossener Forensik), der vorübergehenden Einnahme eines leichten Beruhigungsmittels bei Bedarf (statt neuroleptischer Dauermedikation) und einer therapeutischen Fokussierung auf die Gefühle von Angst und Hilflosigkeit (statt den Wahrheitsgehalt der Geschichte) geholfen werden können.
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Gone Girl: Amy



Die bisher drei Romane der amerikanischen Autorin Gillian Flynn sind allesamt nicht nur spannend, sondern zeichnen sich durch eine außerordentliche und zumindest im Thriller-Genre beklagenswert seltene psychologische Tiefe und ein starkes Gespür für den Facettenreichtum und die Ambivalenzen menschlichen Denkens und Fühlens aus.

Die Romanverfilmung Gone Girl – Das perfekte Opfer erreicht zwar nicht den Tiefgang des Buches, ist aber dennoch sehenswert. Vor allem wegen der schillernden Hauptfigur Amy Elliott Dunne. 
Dass diese sich psychisch deutlich außerhalb der Norm bewegt, wird im Lauf des Films zunehmend überdeutlich. Wie in vielen amerikanischen Filmen wird auch in Bezug auf Amy und ihr manipulativ-kriminelles Verhalten der Begriff Soziopathin verwendet. Soziopath bezeichnet ursprünglich einen Menschen, der kein wirkliches Mitgefühl (Empathie) mit anderen Menschen hat und sich daher nicht sozial, sondern antisozial-egoistisch verhält.
In der Psychiatrie ist Soziopathie ein veralteter und wegen seiner Unschärfe und hohen stigmatisierenden Wirkung inzwischen nicht mehr gebräuchlicher Begriff für das Syndrom der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Diese Diagnose ist nach der modernen internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F60.2) zu vergeben, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien zeitstabil und situationsübergreifend vorliegen:
  • Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer
  • Deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen
  • Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen, obwohl keine Schwierigkeit besteht, sie einzugehen
  • Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, einschließlich gewalttätiges Verhalten
  • Fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung, insbesondere Bestrafung, zu lernen
  • Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen anzubieten für das Verhalten, durch welches die Betreffenden in Konflikt mit der Gesellschaft geraten sind
Amy scheint zwar im intuitiven Nachvollziehen, bzw. Antizipieren der Gefühle und Reaktionen anderer ausgesprochen gut zu sein. Empathie, im Sinne eines tatsächlichen, eigenen Nachempfindens des Gefühls, scheint ihr jedoch eher fremd. Damit fehlt ihr die emotionale Basis um Mitgefühl mit ihren Opfern zu haben oder denen vergeben zu können, die ihr vermeintlich Unrecht getan haben.
Eine verantwortungslose Haltung kann man der bestens organisierten und sich ständig selbst reflektierenden Amy eigentlich nicht unterstellen. Auch zeigt sie sich an der Oberfläche durchaus an sozialen Normen orientiert, legt großen Wert auf eine makellose Außenwirkung. Unter der Oberfläche zeigt sich dann aber doch eine umfassende Verachtung gegenüber gesellschaftlichen Normen und die Gewissheit, über diesen zu stehen, so dass Lügen, Betrug und selbst Mord legitime Mittel zur Durchsetzung der eigenen Bedürfnisse sind.
Dauerhafte, befriedigende Beziehungen zu führen, ist für die meisten Menschen eine Herausforderung. Dies wird in Gone Girl ausführlich thematisiert, auch aus der Sicht von Amys Ehemann Nick. Eine zentrale Herausforderung besteht darin, dass beide Partner sich persönlich ständig entwickeln und damit verändern, so dass die gemeinsame Beziehung, deren Selbstverständnis und Normen, immer wieder überprüft und angepasst werden müssen. Dies ist genau der Punkt, an dem Amy in ihren Beziehungen immer wieder scheitert: Sie möchte genau den Partner, den sie sich am Anfang vorgestellt und aufgrund ihre Vorstellung ausgewählt hat. Abweichungen von ihren Ansprüchen kann sie nicht tolerieren und versucht sie mittels Druck und Manipulation zu unterbinden. Wahrscheinlich liegt hier das Kernproblem von Amys auffallend gestörtem Beziehungsverhalten. Hier gerät Amy immer wieder an den Scheideweg zwischen einem einfach nur selbstbezogenen und wenig empathischen Menschen und einer eiskalt manipulativen „Soziopathin“. Dabei spricht vieles dafür, dass Amy einfach nur das Beziehungsmuster reinszeniert, welches ihr am besten vertraut ist. Ihre Eltern haben ihr gegenüber nie offen Kritik geäußert, ihr aber ihr ganzes Leben lang Kinderbücher über Amazing Amy, die eigentlich perfekte Tochter, vorgesetzt. Hinter der oberflächlichen Akzeptanz und Zuneigung, machten Amys Eltern ihr indirekt ununterbrochen deutlich, dass sie nicht amazing war und das es auch besser ginge, indem Amazing Amy im jeweils neuen Kinderbuch immer genau die Herausforderung bravourös meisterte, mit der die echte Amy gerade zu kämpfen hatte. Wie sich ihre echte Tochter dabei fühlen mag, scheint den Eltern entweder nicht bewusst (Empathiestörung?) oder egal gewesen zu sein. Hier scheint der Grundstein für Amys Beziehungsmuster aus überhöhten und unflexiblen Ansprüchen und unempathischer Manipulation zu liegen. Folglich dienen auch alle noch so dissozialen und kriminellen Handlungen Amys letztlich nur einem Ziel: Die Amazing Amy mit dem perfekten Leben zu sein – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Eine geringe Schwelle für aggressives Verhalten dürfen wir Amy durchaus attestieren: Ihre Reaktionen auf eher normale Beziehungsprobleme fallen doch ungewöhnlich drastisch aus. Allerdings sind ihre aggressiven Reaktionen nicht impulsiv, sondern sorgfältig von langer Hand vorbereitet, was zwar für dissoziale Persönlichkeitsstörungen eher untypisch, aber keine Ausschlusskriterium ist.
Und schließlich passt auch Amys Umgang mit Schuld ins Bild: Für jede ihrer Taten hat sie eine scheinbar logische Begründung parat, die jeder Verantwortung dem anderen zuschreibt und Amys Verhalten als nachvollziehbare, fast schon alternativlose Reaktion erscheinen lässt. Somit dürfen wir Amy mit einiger Gewissheit die Diagnose dissoziale Persönlichkeitsstörung geben, wenngleich einzelne Aspekte nicht ins typische Bild passen.
Viel interessanter als Amys Verbrechen (Wer hat im Kino nicht schon Schlimmeres gesehen?) sind die Fragen, die Amys und Nicks Reflektionen in Gone Girl stellen und die auch für unsere „normalen“ Paarbeziehungen gelten:
Wie viel Raum geben wir dem Partner, sich abweichend von unseren Wünschen und Vorstellungen zu entwickeln?
Wie sehr sind wir bereit uns für unseren Partner wirklich zu verändern?
Wie ehrlich sind wir wirklich?
Wie viel Ehrlichkeit können wir von unserem Partner ertragen?
Oder, wie Nick Dunne fragt:
Woran denkst du?
Wer bist du?
Was haben wir einander angetan?
Was werden wir noch tun?

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Orange Is the New Black: Mr. Caputo



In der dritten Staffel von Orange Is the New Black lernen wir Gefängnisdirektor Joe Caputo besser kennen und erfahren unter anderem – Achtung: Spoiler 😉 – dass er nicht in Gegenwart anderer Pinkeln kann. Dieses Phänomen – Paruresis genannt – ist gar nicht mal so selten. Schätzungen zufolge sind ca. sieben Prozent der Bevölkerung betroffen, neun von zehn Betroffenen sind Männer.

Die Paruresis zählt zu den Sozialen Phobien, welche nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F40.1) gekennzeichnet sind durch:
  • Furcht vor bestimmten sozialen Situationen, oft im Zusammenhang mit einer befürchteten sozialen Bewertung
  • Vermeidung der angstbesetzten Situation



So vermeidet es auch Mr. Caputo gleichzeitig mit anderen Männern am Urinal zu stehen und muss, falls es doch passiert, die Situation unter fadenscheinigen Ausreden und unverrichteter Dinge wieder verlassen.

Neben körperlichen Funktionsstörungen kommen eine Reihe psychischer Ursachen für Paruresis infrage, allerdings ist die Störung bisher nur wenig erforscht. Dass deutlich mehr Männer als Frauen betroffen sind, könnte mit der größeren Öffentlichkeit auf Herrentoiletten oder der hohen identitätsstiftenden Bedeutung eines voll funktionsfähigen Penis zu tun haben. Letzterer scheint ja auch für das Selbstbild von Joe „Anaconda“ Caputo eine große Rolle zu spielen.

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Sons of Anarchy: Jax und die Sons



Die über sieben Staffeln erzählte Geschichte der Sons of Anarchy ist eine Geschichte von Treue und Verrat, Loyalität und Rivalität, Liebe und Verlust. Zentrale Themen des menschlichen Seins also.

Schon Kleinkinder lernen, dass der Mensch Nähe und Bindung zu anderen Menschen braucht um zu überleben – physisch und emotional. Erst das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Liebenswürdigkeit durch Eltern und andere wichtige Bindungspersonen bildet die Basis für Selbstvertrauen, Stolz, Neugier und Mut. Das Wechselspiel von Entdeckung, Entwicklung, Leistung und Risiko auf der einen, Bindung, Sicherheit und Geborgenheit auf der anderen Seite, bestimmt das Leben.
Wie viel Rückversicherung durch Bindungspersonen ein erwachsener Mensch braucht, hängt maßgeblich von seinen frühen Bindungserfahrungen im Kindesalter ab. Sind die frühen Bindungen verlässlich, beschützend und wertschätzend, ermöglichen sie dem späteren Erwachsenen, sich auf der Grundlage einer inneren sicheren Basis im Leben voranzubewegen, flexible, gleichberechtigte Bindungen einzugehen und insgesamt ein gesundes Gleichgewicht zwischen Bindung und Individualität, zwischen Nähe und Distanz, zu leben. Je unsicherer oder negativer jedoch die frühen Bindungserfahrungen sind, umso mehr kann sich ein Mensch in einem ständigen Nähe-Distanz-Konflikt befinden, sprich: Sich einsam fühlen, wenn keine starke Bindungsperson verfügbar ist, sich aber gleichzeitig von zu großer Nähe bedroht und erdrückt fühlen.
Viele der Outlaws in Sons of Anarchy scheinen sich in einem latenten Nähe-Distanz-Konflikt zu befinden. An der Oberfläche lehnen sie Verbindlichkeiten, feste Beziehungen und einen Platz in der durch Normen definierten bürgerlichen Gesellschaft ab, predigen Anarchie, persönliche Freiheit und Außenseitertum. Vermutlich haben viele von ihnen eher ungute und instabile frühe Beziehungserfahrungen gemacht, so wie zum Beispiel Jax, der seinen Vater und Bruder verlor, dessen Stiefvater ein Gewaltverbrecher und dessen Mutter eine egozentrische und möglicherweise psychisch kranke Frau war.
Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass die Outlaws der Sons of Anarchy ein geradezu übergroßes Bedürfnis nach Bindung und Nähe haben, was sich in der scheinbar endlosen, gänzlich unkritischen und unentwegt beschworenen Treue und Liebe zum Club und zur Familie (was für viele dasselbe ist) ausdrückt.
Der berühmte Psychoanalytiker Donald W. Winnicott* hat erkannt, dass hinter dissozialem, also regelverletzendem bzw. kriminellem Verhalten, häufig eine Hoffnung auf Bindung und Nähe – und sei es in Form von Strafe – steht.
So erscheinen uns die Söhne der Anarchie, aus einem psychologischen Blickwinkel betrachtet, als ehemals unsichere und im Stich gelassene Kinder, welche die dem menschlichen Leben immanente latente Spannung zwischen den einander entgegengesetzten Bedürfnissen nach Nähe und Distanz nicht aushalten und moderat in Form reifer, differenzierter Beziehungen lösen können. 
So gibt es nur bedingungslose Liebe oder grenzenlosen Hass. Selbstaufgabe oder Anarchie. 
Nähe bedeutet Unterwerfung, Distanz bedeutet Tod. 
Gotta live this life `till you die
*Winnicott, D.W. (2015). Aggression: Versagen der Umwelt und Antisoziale Tendenz. Klett-Cotta, 6.dt. Auflage.

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Moby Dick: Ahab



Kapitän Ahab, in der 1956er Verfilmung von Moby Dick gespielt von Gregory Peck, ist ein finsterer Geselle. Seit der weiße Wal ihn entstellt und fast getötet hat, jagt er ihm durch die sieben Weltmeere nach, besessen vom Gedanken an Rache und bereit, dafür jedes Menschenleben, auch sein eigenes, zu opfern.

Der Angriff durch den weißen Wal muss für Ahab ein Erlebnis extremer Belastung und Todesangst gewesen sein, im psychologischen Sinne ein Trauma, welches allerdings zum Zeitpunkt der Handlung von Moby Dick bereits viele Jahre zurückliegt.
Lange zurückliegende, aber unverarbeitete Traumata können bei den Betroffenen, wie bei Ahab, zu einer chronifizierten Traumafolgestörung, einer sogenannten Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (ICD-10: F62.0), führen. Diese ist zu diagnostizieren, wenn eine Person ein schweres Trauma erlebt hat und später mindestens zwei der folgenden Symptome dauerhaft aufweist:
  • Feindliche oder misstrauische Haltung
  • Sozialer Rückzug
  • Andauerndes Gefühl von Leere und Hoffnungslosigkeit
  • Andauerndes Gefühl von Nervosität oder von Bedrohung
  • Andauerndes Gefühl der Entfremdung (anders als die anderen zu sein), ggf. verbunden mit emotionaler Betäubung
Häufig geht einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung eine Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1) voraus und die Symptome beider Störungen können ineinander übergehen. So scheint es auch bei Ahab gewesen zu sein, dessen Schlafstörungen und Alpträume noch immer auf die Posttraumatische Belastungsstörung hinweisen. 
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The Walking Dead: Gruppenpsychologie


Wenngleich The Walking Dead den ein oder anderen interessanten Charakter aufzuweisen hat, ist es doch vor allem eine Serie über Gruppen. Hauptthema sind immer wieder Konflikte zwischen Gruppen, nicht nur zwischen Menschen und den sogenannten „Beißern“, sondern vor allem auch zwischen den verschiedenen Gruppen von Menschen.
Vieles, was die psychologische Forschung der letzten Jahrzehnte über Konflikte zwischen und Kommunikation innerhalb von Gruppen herausgefunden hat, lässt sich in The Walking Dead beobachten.
So kommt es beispielsweise immer wieder zum Phänomen des sogenannten Gruppendenkens (Groupthink). Damit wird die Tendenz innerhalb bestimmter sozialer Gruppen bezeichnet, die vorherrschende Meinung als alternativlos anzunehmen. Von der Mehrheitsmeinung abweichende Sichtweisen werden als illoyal abgetan, oder, häufiger, aus dem Bestreben weiterhin zur Gruppe zu gehören, gar nicht geäußert. Dadurch wird die Abwägung von Handlungsalternativen eingeschränkt und die objektive Abschätzung von Handlungsfolgen erschwert. Somit führt Gruppendenken häufiger zu übereilten, irrationalen und emotional beeinflussten Entscheidungen.
Begünstigende Faktoren für Gruppendenken sind die Abschottung der Gruppe nach Außen, das Fehlen von offiziellen Regeln und Gesetzen, ein dominanter Anführer und das Gefühl der Bedrohung durch Feinde von Außen.
In The Walking Dead sind alle Gruppen jeweils von den anderen abgeschottet, Regeln und Gesetze der Zivilisation gelten nicht mehr und die Bedrohung sowohl durch die Beißer, als auch durch andere Menschengruppen im Streit um Zufluchtsorte und Ressourcen ist allgegenwärtig. Folglich etablieren sich in den meisten Menschengruppen schnell dominante Anführer, deren Meinung sich die Gruppe immer wieder mehr oder weniger unkritisch anschließt, selbst wenn sie eigentlich nicht mit dem eigenen Wertesystem vereinbar sind.
Hier kommt ein weiterer psychologischer Gruppeneffekt ins Spiel: Das Motiv der Reduktion kognitiver Dissonanz. Als kognitive Dissonanz bezeichnet man das unangenehme innere Anspannungsgefühl, wenn die eigenen Gedanken, Meinungen, Einstellungen und Absichten miteinander unvereinbar sind. Menschen versuchen dann, durch Veränderung ihrer Gedanken oder Meinungen, diese wieder in Einklang zu bringen. So kommt es zum Beispiel dazu, dass Menschen, die der anderen Gruppe angehören, als gefährlich, unehrlich oder sogar unmenschlich verurteilt werden, um die Entscheidung zu rechtfertigen, sie auch Angst oder zum Schutz der eigenen Ressourcen zu töten.
Die Entscheidung darüber, wer bei alldem zur eigenen Gruppe gehört und wer als Feind angesehen wird, fällt bei The Walking Dead meist schnell und oft eher irrational. Wer von Anfang an dabei war, wird als vertrauenswürdig und loyal erlebt, während alle neuen Bekanntschaften zunächst einmal als Feinde gesehen werden, selbst wenn sie nach objektiven Kriterien (Herkunft, Sozialisation, Überzeugungen etc.) ebenso gut zur eigenen Gruppe gehören könnten.
Das Phänomen, dass bei Ressourcenknappheit oder einer gefühlten Bedrohung von Außen, bereits minimalste oder sogar völlig willkürliche Unterscheidungsmerkmale dazu führen, dass Mitglieder der eigenen Gruppe bevorzugt und Mitglieder der vermeintlich fremden Gruppe abgewertet und diskriminiert werden, wird als Minimalgruppen-Paradigma bezeichnet.
So geht die Gefahr in The Walking Dead in den meisten Fällen sehr viel weniger von den Beißern aus, als von den Menschen untereinander.
Die Lösung für dieses Problem bestünde, so postuliert es die gruppenpsychologische Kontakthypothese, in der gegenseitigen Annäherung und Kooperation der Gruppen: Wenn zwei Gruppen, die sich zunächst misstrauisch oder feindlich gegenüberstehen, gemeinsam an einem Ziel arbeiten, sich dabei als gleichwertig betrachten und die Kooperation von den jeweiligen Autoritäten gefördert wird, können Vorurteile und Ängste zwischen den Gruppen abgebaut werden. 
Doch bis das geschieht, bleibt der Mensch dem Menschen ein Beißer…
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The Equalizer: McCall



Robert McCall, der Equalizer, lebt nach strengen Regeln und Ritualen. Wahrscheinlich hat er in seinem früheren Leben als Geheimagent gelernt, dass nur eiserne Disziplin und akribische Planung ihn gegen das Grauen schützen können, dem er ausgesetzt war. Dennoch muss er viel Schlimmes erlebt haben, denn auch Jahre nachdem er sich zur Ruhe gesetzt hat, findet er keinen ruhigen Schlaf und hält weiterhin an einem Leben voller Regeln, Routinen und Ritualen fest. Wahrscheinlich kann er sich nur auf diese Weise sicher und annähernd beruhigt fühlen. Der Ex-Agent weist deutliche Züge einer zwanghaften (oder auch anankastischen) Persönlichkeitsstörung auf. Für diese Diagnose müssen nach der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F60.5) mindestens vier der folgenden Symptome dauerhaft vorliegen:

  • Übermäßige Vorsicht
  • Ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation und Planungen
  • Perfektionismus
  • Überzogene Gewissenhaftigkeit
  • Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit
  • Übermäßige Pedanterie und Befolgung von Konventionen
  • Rigidität und Eigensinn
  • Bestehen auf Unterordnung Anderer unter eigene Gewohnheiten
Robert achtet auf einen gesunden Lebensstil und scheint sich dabei keine Ausnahmen zu gönnen. Jeden Abend um die gleiche Zeit geht er in den immer gleichen Diner, setzt sich an den immer gleichen Platz, ordnet sein Besteck in der immer gleichen Weise an und trinkt den immer gleichen Tee. Als einzige Freizeitbeschäftigung liest er ein Buch nach dem anderen von der Bücherliste seiner Ehefrau. Beim Softball und bei der Vorbereitung seines Arbeitskollegen für die Wachmannprüfung ist er leistungsbezogen und perfektionistisch, kein Raum für Schwäche. Stets höflich, hilfsbereit und ordentlich – so ist er selbst und so erwartet er es von anderen.
Und wenn er mal die halbe russische Mafia auslöschen muss, dann bitteschön streng nach Zeitplan!
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Shameless: Frank & Carl



In Shameless wird nicht nur die schwere Alkoholabhängigkeit von Frank Gallagher dargestellt, sondern auch die weitreichenden und gravierenden Auswirkungen, die seine Erkrankung auf alle Mitglieder seiner Familie hat.

Um eine Alkoholabhängigkeit diagnostizieren zu können, müssen laut internationaler Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F10.2) mindestens drei der folgenden sechs Diagnosekriterien über einen längeren Zeitraum hinweg erfüllt sein:
  • Starkes Verlangen, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle oder Kontrollverlust über Beginn, Beendigung oder Menge des Konsums
  • Körperliche Entzugserscheinungen, wenn die Substanz reduziert oder abgesetzt wird
  • Toleranzentwicklung, d.h. es müssen immer größere Mengen konsumiert werden, um den gewünschten Effekt zu erzielen
  • Gedankliche Einengung auf den Konsum, d.h. Aufgabe oder Vernachlässigung anderer Interessen und Verpflichtungen
  • Fortgesetzter Substanzkonsum trotz eindeutig schädlicher Folgen
Frank Gallagher erfüllt deutlich mehr als die drei für die Diagnose notwendigen Kriterien einer Alkoholabhängigkeit.
Sein starkes, geradezu zwanghaftes Verlangen, Alkohol zu trinken, wird immer wieder eindrücklich dargestellt. Es gibt kaum ein Hindernis, eine Regel oder eine moralische Grenze, die Frank nicht mit aller verfügbaren Energie zu überwinden versuchen würde, um an Alkohol oder an Geld für Alkohol zu kommen.
Der für die Sucht typische Kontrollverlust über den Alkoholkonsum lässt Frank kompromisslos solange trinken, wie Nachschub verfügbar oder aufzutreiben ist – stets bis zur Bewusstlosigkeit.
Die seltenen Versuche Franks, abstinent zu bleiben, sind von körperlichen Entzugserscheinungen begleitet (Psychomotorische Unruhe, Schlafstörungen, aggressive Impulsivität, Erektionsstörungen), wenngleich diese für einen Alkoholiker von Franks Kaliber eher harmlos dargestellt werden.
Eine Toleranzentwicklung ließe sich bei Frank nur eindeutig nachweisen, wenn bekannt wäre, wie sein Konsum zu Beginn der Suchterkrankung ausgesehen hat. Angesichts der großen Mengen, die er, nach Möglichkeit ununterbrochen, trinkt, können wir jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit von einer deutlichen Toleranzsteigerung im Laufe der Jahre ausgehen.
Deutlich erkennbar ist hingegen Franks vollständige gedankliche Einengung auf den Alkoholkonsum. Es scheint in seinem Leben nichts mehr zu geben, was ihn interessiert oder was er auch nur wahrnimmt, außer den Alkohol und die Mittel und Wege, an diesen heranzukommen. Insbesondere für die Bedürfnisse seiner Kinder bringt er keinerlei Einfühlungsvermögen auf, sondern manipuliert auch diese immer wieder schamlos, um Geld für Alkohol aufzutreiben.
Ebenso offensichtlich sind die eindeutig schädlichen Folgen, die Frank für seine Trinkerei in Kauf nimmt. Nicht nur, dass er sich selbst körperlich und sozial völlig zugrunde richtet. Auch die psychische Gesundheit, das soziale Ansehen und die materielle Existenzgrundlage seiner Kinder opfert er ohne mit der Wimper zu zucken.


Was Shameless neben der überzeugenden Darstellung von Franks Alkoholsucht interessant macht, ist aber vor allem die erstaunliche Fähigkeit seiner Kinder, mit ihrer außerordentlich schwierigen Lebenssituation umzugehen. In einem Armutsviertel aufgewachsen, von ihrer Mutter verlassen und von ihrem alkoholkranken Vater immer wieder enttäuscht und ausgenutzt, meistern sie ihr Leben doch mit bewundernswertem Optimismus und Erfolg.
Die Fähigkeit, unter erschwerten äußeren Bedingungen zurecht zu kommen und Krisen durch den Einsatz der eigenen Fähigkeiten zu bewältigen, ohne dabei psychisch krank zu werden, nennt die Psychologie Resilienz. Verschiedene Faktoren können als Ressourcen fungieren, die die Resilienz einer Person steigern. Franks Kinder weisen viele dieser Faktoren auf:
So gelten stabile inner- und außerfamiliäre Beziehungen als wichtige Resilienzfaktoren. Auch wenn ihre Eltern sie völlig im Stich lassen, so halten die Gallagher-Kinder frag- und kompromisslos zusammen und haben sich zudem ein verlässliches außerfamiliäres Netzwerk von treuen Freunden geschaffen, von denen sie in Notlagen konkrete Unterstützung erwarten können.
Auch Intelligenz gilt als wichtiger Faktor für eine hohe Resilienz. Alle Gallagher-Kinder wirken recht intelligent, was auch bedeutet, dass sie die Schwangerschaften ihrer ebenfalls suchtkranken Mutter unbeschadet überstanden haben. Lip ist sogar überdurchschnittlich intelligent und trägt dadurch häufig entscheidend zum Gelingen der Pläne der Gallagher-Kinder bei.
Ein weiterer wichtiger Resilienzfaktor kann das Eingebundensein in soziale Verpflichtungen sein, das auch in Zeiten großer Schwierigkeiten das Gefühl, gebraucht zu werden und einem höheren Sinn zu dienen, sicherstellen kann. Die Verpflichtung gegenüber ihren jüngeren Geschwistern scheint zum Beispiel Fiona immer wieder die nötige Kraft und den Mut zu verleihen, um für diese Übermenschliches zu leisten.
Das einzige Kind, das in den ersten Staffeln weniger hochfunktional wirkt, ist Carl, der vermutlich eine Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (ICD-10: F90.1) hat, also ein ADHS (Unaufmerksamkeit + Hyperaktivität + Impulsivität) mit der Tendenz zu normverletzendem Verhalten (Wutausbrüche, Regeln brechen, unüberlegtes Handeln, Tiere quälen, Eigentum anderer beschädigen, etc.). Während Carl sich in den späteren Staffeln zunehmend fängt, ergeben sich phasenweise immer wieder auch gravierende Probleme bei den anderen Kindern: Lip wird, wie sein Vater, Alkoholiker, scheint seine Sucht aber mithilfe einer Selbsthilfegruppe wieder in den Griff zu bekommen. Auch Fiona trinkt zeitweise viel zuviel. Bei ihr scheint eher ein Alkoholmissbrauch (ICD-10: F10.1) als eine vollwertige Abhänigkeit vorzuliegen, so dass sie auch ohne Selbsthilfegruppe und Entzugsbehandlung den Absprung schafft. Ian erkrankt, wie seine Mutter, an einer bioplaren Störung (ICD-10: F31), wodurch er auf eine dauerhafte Medikamentöse Behandlung angewiesen ist.
Dennoch meistern die Gallaghers ihr an Belastungen und Hürden reiches Leben mit letztlich doch unverbrüchlichem Optimismus, Einfallsreichtum und Humor. Letzterer, ebenfalls ein wichtiger Resilienzfaktor, scheint allen Gallagher-Kindern eigen zu sein – vielleicht das einzige, das sie von Frank geerbt haben.
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