Desperate Housewives: Bree

Bree Van de Kamp, die im Laufe von Desperate Housewives noch weitere Nachnamen hatte, ist die klischeehafteste der an klischeehaften Vorstadthausfrauen nicht armen Wisteria Lane. Ihr Haus, ihre Familie und auch sie selbst erstrahlen stets in hellstem Glanz. Alles ist sauber und rein – zumindest an der Oberfläche.
Für diese perfekte Fassade tut Bree einiges. Ständig hat sie alle Hände voll zu tun, um alles, was weniger perfekt erscheinen könnte, unter den Teppich zu kehren. Dies gilt auch für ihr Innenleben: Aggression, Neid, Faulheit, Impulsivität, alles was unkontrolliert oder unanständig wirken könnte, hält sie tief in ihrem Inneren verborgen. Meistens macht es den Eindruck, als würde sie nicht einmal selbst diese unerwünschten Emotionen wahrnehmen. Diesen Abwehrmechanismus, bei dem eigene unerträgliche Gefühle ins Unbewusste verdrängt und dort unter Verschluss gehalten werden, nennt man Affektisolierung.
Bree hatte schon früh in ihrem Leben gute Gründe, ihre Gefühle weit von sich weg zu halten. Als Kind verlor sie ihre Mutter bei einem schrecklichen Unfall. Um das Trauma nicht passiv ertragen und all ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung spüren zu müssen, tat sie, was sie fortan immer tun würde, sie spülte das Blut ihrer toten Mutter aus der Einfahrt, stellte Reinheit und Ordnung wieder her und ging zum Tagesgeschäft über. Später wuchs sie mit einer Stiefmutter auf, die höchste Ansprüche an Ordnung, Fleiß und Tugendhaftigkeit stellte und Bree stets wissen ließ, wenn sie an diesen scheiterte. Brees Vater, ein konfliktscheuer Ja-Sager, stand ihr vermutlich nicht bei, sondern erwartete von ihr, sich um der Harmonie willen an die überzogenen Standards seiner zweiten Frau anzupassen. So musste Bree, um in ihrer pseudo-heilen Welt überleben zu können, auch weiterhin ihre Trauer (über den Tod der Mutter), ihre Wut (auf die ungerechte Stiefmutter), ihre Enttäuschung (über den feigen Vater) und ihre Selbstzweifel hinter einer Fassade von Freundlichkeit und Perfektion verbergen.
Über die Jahre wurden die Affektisolierung und der Zwang zu äußerlicher Ordnung und Reinheit zu Brees dominierender Verhaltensstrategie und prägten ihren Charakter, so dass von möglichen anderen Erlebens- und Verhaltensweisen kaum etwas übrig blieb. Als Ergebnis dieses Prozesses, leidet Bree unter einer Zwanghaften Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.5, auch anankastische Persönlichkeitsstörung genannt). Diese zeigt sich bei Bree durch die folgenden Kriterien:
  • Exzessive Beschäftigung mit Details, Regeln, Ordnung, Organisation und Plänen
  • Extremer Perfektionismus
  • Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung zwischenmenschlicher Beziehungen
  • Übertriebene Pedanterie und Befolgen sozialer Konventionen
  • Rigidität und Eigensinn
  • Bestehen darauf, dass andere sich exakt den eigenen Gewohnheiten unterordnen
  • Abneigung dagegen, andere etwas machen zu lassen
Brees Störung wird vermutlich auch dadurch aufrecht erhalten, dass zwanghafte Züge, in gewissem Ausmaß, durchaus gesellschaftlich anerkannt und geschätzt werden. Zumal in der Wisteria Lane, wo der schöne Schein alles bedeutet. So erhält Bree von den Nachbarn viel Wertschätzung für ihr sorgsam gepflegtes Anwesen, ihr makelloses Äußeres und ihre akkuraten Kochkünste, während ihre Familie hinter verschlossenen Türen unter ihrem Zwang zur Perfektion und ihrer gefühlskalten Unnahbarkeit leidet. 
Wenn dennoch zu viel in ihrem Leben zusammenkommt und die unerwünschten Gefühle immer stärker ins Bewusstsein drängen, greift Bree zum Alkohol, der zuverlässig dabei hilft, diese zu betäuben wieder in die Tiefen des Unbewussten zurückzudrängen.
Bree hat in zweifacher Hinsicht einen hohen Krankheitsgewinn: Erstens erspart ihr die konsequente Affektisolierung, die als Teil ihrer Persönlichkeitsstörung unbewusst, quasi automatisiert, abläuft, das Empfinden unangenehmer Gefühle, wie Trauer, Wut, Angst und Selbstzweifeln. Man spricht hier von primärem Krankheitsgewinn. Zweitens hat Bree, durch die gesellschaftliche Anerkennung für ihre Zwanghaftigkeit, einen über die Umwelt vermittelten, sogenannten sekundären Krankheitsgewinn.
Aufgrund dieses hohen Krankheitsgewinns sind zwanghafte Persönlichkeitsstörungen psychotherapeutisch oft schwierig zu behandeln, wie man in Brees Sitzungen mit dem Eheberater Dr. Goldfine anschaulich miterleben kann. Der subjektiv empfundene Leidensdruck liegt häufig eher beim sozialen und familiären Umfeld, welches unter der Zwanghaftigkeit und emotionalen Kälte leidet. Bree selbst ist hingegen mit ihrer Rationalität und Affektisolierung identifiziert und sieht die Notwendigkeit zur Veränderungen eher bei anderen, die in ihren Augen fehlerhaft oder gefühlsduselig sind.
Außerdem ist der psychotherapeutische Ansatz, sich den eigenen Emotionen ohne Bewertung anzunähern, für Menschen mit zwanghafter Persönlichkeitsstörung häufig wenig nachvollziehbar, da sie ihre Gefühle so konsequent abgespalten haben, dass sie tatsächlich nicht wahrnehmen, dass da noch mehr sein könnte. So wählen zwanghafte Menschen häufig nicht die therapeutische Auseinandersetzung mit den Grundlagen ihres zwanghaften Erlebens und Verhaltens, sondern suchen sich ein soziales Umfeld, das zwanghafte Eigenschaften belohnt und wenig Wert auf emotionale Einlassung legt. Das oberflächlich heile Vorstadtidyll der Wisteria Lane scheint dafür nicht schlecht geeignet zu sein.
Weiterlesen

Minderwertigkeit & Allmacht in Transcendence

In Transcendence wird aus dem zunächst ganz sympathischen Wissenschaftler Dr. Will Caster eine Art virtueller Übermensch, dessen einziger Antrieb die Ausweitung seiner eigenen Macht zu sein scheint. 

Das Streben nach Macht wurde von dem Psychoanalytiker Alfred Adler als kompensatorische Reaktion auf ein jedem Menschen, in unterschiedlichem Maße, eigenes Minderwertigkeitsgefühl erklärt. Das Ausmaß des Minderwertigkeitsgefühls wird durch den Vergleich der eigenen Qualitäten mit denen der Mitmenschen geprägt. Da Kleinkinder in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten zunächst allen anderen Menschen um sie herum unterlegen sind, macht jeder Mensch zu Beginn seines Lebens Erfahrungen von Unterlegenheit und Abhängigkeit, welche die Basis späterer Minderwertigkeitsgefühle darstellen.
Nach Adlers Theorie gibt es zwei mögliche Abwehrmechanismen gegen das latent allgegenwärtige Minderwertigkeitsgefühl:
  • Wer sich selbst als Teil einer Gemeinschaft und die Beziehungen innerhalb dieser Gemeinschaft als helfend, wohltuend und stabil erlebt, kann die eigenen Unvollkommenheiten durch Beziehungen zu anderen Menschen kompensieren. Er wird die eigenen Schwächen akzeptieren und die Stärken der anderen als hilfreiche Ergänzungen annehmen und begrüßen können. Dieses Erleben nannte Adler Gemeinschaftsgefühl.
  • Wer von anderen nicht die Anerkennung und Unterstützung bekommt, die nötig sind, um das eigene Minderwertigkeitsgefühl kompensieren und aushalten zu können, der wird sich durch deren Fähigkeiten und Stärken umso mehr minderwertig und bedroht fühlen. Er wird vor allem nach Macht als Mittel zur Überhöhung über andere und somit zur Bekämpfung des eigenen Minderwertigkeitsgefühls streben.
Will Caster ist zweifellos intellektuell hochbegabt, ansonsten aber eher ein Durchschnittstyp. Blass und hager verbringt er sein Leben im Labor, ist sozial unsicher und unbeholfen und an gesellschaftlichen Entwicklungen, Ansehen, Freizeitgestaltung und Unterhaltung offenbar wenig interessiert. Was sein Leben lebenswert macht, ist die Beziehung zu seiner schönen und ebenfalls ziemlich intelligenten Frau Evelyn.
Zu diesem Zeitpunkt hält Will sein Minderwertigkeitsgefühl noch durch eine recht ausgewogene und funktionale Balance aus Gemeinschaftsgefühl (mit Evelyn) und Machtstreben, in Form wissenschaftlicher Erkenntnis, welche zu diesem Zeitpunkt für ihn noch Selbstzweck (eben zur Erhöhung seines Selbstwertgefühls) ist, in Schach.
Dann jedoch wird er tödlich verwundet und erfährt, trotz all seines Wissens, vollständige Machtlosigkeit. Das schlimmste am Sterben ist für ihn, der im Leben nur an wenigem Freude hatte, dass der Tod auch die ultimative Trennung von Evelyn bedeutet.
Dank Wills genialer technischer Errungenschaften, bleibt es für ihn jedoch zunächst nur bei der Befürchtung all dessen und er bekommt die Chance, als virtuelles Wesen weiter zu existieren. Doch die vorübergehende Machtlosigkeit, das Wissen darum, um ein Haar alles für ihn Bedeutsame verloren zu haben, haben sein latentes Minderwertigkeitsgefühl manifest und übermächtig werden lassen. Fortan betreibt er seine beiden zuvor adäquaten Abwehrmechanismen exzessiv und unbarmherzig. Er versucht Evelyn mit allen Mitteln an sich zu binden und opfert seinem Willen zur Macht (durch Wissen) nach und nach Prinzipien, Bürgerrechte, Menschenrechte und schließlich auch Menschenleben.
Am Ende wendet sich Evelyn gegen ihn, wodurch er gezwungen wird, sich zwischen der Beziehung zu ihr (als freies und autonomes, durchweg menschliches, Wesen) und seiner nahezu vollkommenen Macht zu entscheiden. 
Will wählt schließlich die Menschlichkeit, mit allen Konsequenzen. Er nimmt die Sterblichkeit – und damit das Minderwertigkeitsgefühl – in Kauf und opfert seine Macht dem Gemeinschaftssinn. Ob die virtuellen Supermächte unserer Lebensrealität sich daran ein Beispiel nehmen…? 
Weiterlesen

New Girl: Nick & Schmidt

Nick Miller und der vornamenlose Schmidt aus New Girl sind ein ungleiches Freundespaar. Während Schmidt alles mit Leidenschaft, Hingabe und Perfektionismus tut und sich dabei häufig in Überengagement verrennt und in Detailverliebtheit verliert, scheut Nick Herausforderungen und Veränderung und schiebt die wenigen Ziele, die er überhaupt hat, chronisch auf. Während Schmidt in allem der Beste sein will, will Nick scheinbar in überhaupt nichts der Beste sein.
Schmidt und Nick sind wie Aktivität und Passivität, Engagement und Lethargie, Unrast und Ruhe, Veränderung und Bewahrung, Progression und Stillstand, Interesse und Desinteresse, Motivation und Genügsamkeit, laut und leise, schnell und langsam…
Besonders deutlich wird die Gegensätzlichkeit von Schmidt und Nick im Bezug auf die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen.
Schmidt geht die Meinung und Wertschätzung anderer über alles. Er sucht ständig Kontakt, teilt seine Gefühle mit und möchte mit ihnen wahrgenommen und beachtet werden. Er nimmt sich selbst, aber auch sein Gegenüber, immens wichtig. Er würdigt, hegt und zelebriert seine Beziehungen zu den ihm wichtigen Menschen. Nick dagegen scheut zu enge und emotionale Beziehungen und Situationen. Er behält sein Innerstes möglichst für sich und zeigt eher durch nüchterne und pragmatische Taten, als durch große Worte und Gesten, wenn ihm etwas am anderen liegt. Er bemüht sich nicht um Anerkennung, sondern lehnt Konventionen und gesellschaftliche Leistungsansprüche renitent ab. Wenn es Schmidt schlecht geht, möchte er Hilfe und Trost, wenn es Nick schlecht geht, möchte er in Ruhe gelassen werden.
Dieses Beziehungsverhalten ist die Folge unterschiedlicher Bindungsstile. Bindungsstile bilden sich in der Kindheit aus und werden vor allem durch die Beziehungen zu den engsten Bezugspersonen, also meist den Eltern, geprägt.
Gelingt den Eltern ein ausgeglichenes Maß an Fürsorge und Gelassenheit, können die Kinder lernen, dass sie in Beziehungen einerseits Schutz und Sicherheit erfahren können, dass aber auch vorübergehende Trennungen zu bewältigen sind und die Beziehung dadurch nicht zerbricht. Der daraus entstehende Bindungsstil, der durch ein ausgewogenes Verhältnis aus Bezogenheit und Selbstständigkeit gekennzeichnet ist, wird sichere Bindung genannt.
Schmidt und Nick haben deshalb immer wieder Probleme in Beziehungen, weil sie äußerst problematische Beziehungen zu ihren Eltern, vor allem den Vätern, hatten. 
Schmidts Vater hat die Familie aus heiterem Himmel verlassen, woraufhin der kleine, geschwisterlose Schmidt mit seiner Mutter zurückblieb, die ihn fortan kompensatorisch mit Zuwendung, vor allem in Form von Essen, überschüttete und ihm sogar den Hollywoodstar und Batman-Darsteller Buster Keaton als imaginären Brieffreund zur Seite stellte. 
Schmidt lernte daraus, dass Beziehungen unerwartet und abrupt abbrechen können und die Trauer darüber nur durch die übermäßige Zuneigung anderer bewältigt werden kann. Es ist folglich kein Wunder, dass er ständig die Bewunderung und Aufmerksamkeit anderer sucht und sich doch niemals wirklich in einer Beziehung sicher fühlen und entspannen kann. Man nennt diesen Bindungsstil unsicher-ambivalente Bindung
Nicks Vater war ein unzuverlässiger Lebemann, der seinen Sohn immer wieder für seine Zwecke instrumentalisiert und die Familie enttäuscht hat. Wann immer Nick die Hoffnung hatte, dass sein Vater sich geändert haben und endlich verantwortungsvoll und selbstlos geworden sein könnte, wurde er von ihm wieder enttäuscht. Für seine Mutter und seine Geschwister versuchte Nick den unzuverlässigen Vater zu ersetzen und übernahm zu früh zu viel Verantwortung. 
Nick hat daraus gelernt, dass enge Beziehungen entweder zu Enttäuschung und Verletzung führen, oder erfordern, dass man sich einseitig für andere, die ihre Schwächen weniger gut überspielen können, aufopfert und dabei die eigenen Bedürfnisse unterdrückt. Folglich vermeidet er es, sich zu sehr auf andere einzulassen und enttäuscht deren Erwartungen bereits im Voraus, um nicht selbst vereinnahmt oder enttäuscht zu werden. Dieser Bindungsstil heißt unsicher-vermeidende Bindung
So gegensätzlich Nick und Schmidt hinsichtlich ihres Bindungsverhaltens sind, so gut ergänzen sie sich, nicht zuletzt gerade deshalb, als Freunde. 
Nick kann sich Schmidts Freundschaft stets gewiss sein und wird ihrer von Schmidt immer wieder überschwänglich versichert, ohne dass er selbst allzu offen zu seinen Gefühlen stehen und sich um Schmidts Loyalität bemühen muss. Dadurch kann er sich in der Beziehung zu Schmidt aufgehoben fühlen, ohne Angst haben zu müssen, selbst zu viel zu investieren. 
Schmidt hat in Nick einen Freund gefunden, der nicht mit ihm konkurriert, der ihm Raum für seine Selbstdarstellungen und selbstverliebten Höhenflüge lässt und der trotzdem verlässlich da ist, wenn er danach wieder auf dem Boden ankommt und einfach nur einen ganz normalen Freund braucht. 
Weiterlesen

Last Samurai: Wie man wird, was man ist

Bevor Nathan Algren der letzte Samurai wurde, war er Captain in der US-amerikanischen Armee und Teilnehmer an den Indianerkriegen, in welchen er an grausamen Kriegsverbrechen beteiligt war.

Wie viele Kriegsheimkehrer (z.B. auch John Rambo) leidet er seitdem unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, die durch die folgenden Kriterien definiert wird (ICD-10: F43.1):
  • Erlebnis von außergewöhnlicher Bedrohung, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde
  • Anhaltende Erinnerungen an das traumatische Erlebnis oder wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen
  • Innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder damit in Zusammenhang stehen, Tendenz zur Vermeidung solcher Situationen
  • Teilweise oder vollständige Unfähigkeit, sich an das belastende Erlebnis zu erinnern und/oder anhaltende Symptome erhöhter psychischer Sensitivität und Erregung
Der Krieg an sich stellt bereits eine außergewöhnliche Bedrohung und Belastung dar, hinzu kommen Nathans Schuldgefühle angesichts der Grausamkeiten, an denen er beteiligt war. In sich aufdrängenden Erinnerungen, sogenannten Flashbacks, durchlebt er die Ereignisse und Gefühle immer wieder neu.
Erschwerend kommt hinzu, dass Nathans Vergangenheit auch nach seiner Rückkehr aus dem Feld ständig präsent ist, gibt er doch allabendlich den stolzen Kriegsveteranen auf Verkaufsveranstaltungen eines Waffenherstellers, bzw. später den hochdekorierten Militärberater. Somit spielt er die Rolle, welche ihm so viel Leid und Schuldgefühle eingebracht hat, immer wieder aufs Neue.
Erinnerung, Flashbacks, Schuldgefühle und nicht zuletzt ein Dasein in einer innerlich zutiefst verachteten Identität erträgt Nathan nur im Rausch, welchen er sich durch Whisky zu verschaffen pflegt. Zum Zeitpunkt der Filmhandlung ist er bereits süchtig, das heißt, er leidet unter einem Alkoholabhängigkeitssyndrom. Für diese Diagnose müssen nach ICD-10 (F10.2) mindestens drei der folgenden Merkmale vorliegen, und zwar seit mindestens einem Monat:
  • Starkes Verlangen oder Zwang, die Substanz zu konsumieren
  • Verminderte Kontrolle über den Konsum oder erfolglose Versuche, den Substanzkonsum zu verringern oder zu kontrollieren
  • Körperliches Entzugssyndrom
  • Toleranzentwicklung: Bei fortgesetztem Konsum derselben Menge treten deutlich geringere Effekte auf
  • Aufgabe oder Vernachlässigung anderer Interessen. Hoher Zeitaufwand für die Beschaffung und den Konsum der Substanz
  • Anhaltender Substanzkonsum trotz schädlicher Folgen
So wie Nathan seine Uniform immer weiter tragen muss, obwohl er eigentlich schon längst kein Soldat mehr ist, verkörpert er äußerlich eine technokratische, imperialistische und megalomanische Ideologie, die längst nicht mehr die seine ist. Seine Uniform, sein ganzes Sein, ist eine leere Hülle. 
Diese äußere Hülle der Persönlichkeit nannte der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung Persona. Nach Jungs Auffassung entsteht eine umso stärkere innere Konfliktspannung, je weniger die Persona der inneren Persönlichkeit entspricht.
Diese innere Persönlichkeit, sozusagen sein wahres Ich, kann Nathan erst bei den Samurai entdecken, die ihm ein alternatives Wertesystem und andere Geisteshaltungen aufzeigen, als diejenigen mit denen er aufgewachsen ist und die sein ganzes bisheriges Leben bestimmt haben. Nachdem er unter schweren Entzugserscheinungen seine Alkoholsucht überwunden hat, begibt sich Nathan auf eine innere Reise zu sich selbst und beginnt sein wahres Ich zu entdecken. 
Diesen Weg zu sich selbst, der niemals wirklich abgeschlossen ist, nannte C. G. Jung Individuation oder Selbstwerdung und sah in dieser einen zentralen Aspekt psychotherapeutischer Behandlung. Wer ihn geht, muss, wie Nathan Algren, tief in die Abgründe der eigenen Seele blicken und vieles aufgeben, was vertraut war und alternativlos schien. Er wird jedoch, wie der letzte Samurai, eine ungeahnte Freiheit im Denken, Fühlen und Handeln erlangen und immer mehr zu dem werden, der er wirklich ist. 
Weiterlesen

Howard Wolowitz & Barney Stinson

Wenn Howard Wolowitz aus The Big Bang Theory Barney Stinson aus How I Met Your Mother kennen würde, wäre dieser wohl sein Vorbild. Ein reicher Playboy mit scheinbar grenzenlosem Selbstvertrauen, dessen verwegene Verführungsstrategien ihn in die Betten zahlloser schöner Frauen gebracht haben.
Was die beiden, neben diesem Männlichkeitsideal, gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie ohne Vater aufgewachsen sind. Auch gab es keine Stiefväter oder andere väterliche Ersatzfiguren. Howard ist alleine mit seiner Mutter aufgewachsen, Barney mit seiner Mutter und seinem nicht wesentlich älteren Halbbruder.
Howard und Barney blieben in der Kindheit ihre Mütter als einzige erwachsene Bezugspersonen. Zu Beginn des Lebens ist jedes Kind von seiner Mutter abhängig, die sein Überleben sichert, indem sie Nahrung, Wärme und Nähe spendet. Darüber hinaus lieben die meisten Mütter ihre Babys abgöttisch.
Sowohl die vollkommene Versorgung, als auch die bedingungslose Liebe, sind für ein Kind zunächst existenziell notwendig. In der weiteren Entwicklung ist es aber ebenso wichtig, dass das Kind lernt, sich physisch und emotional zunehmend selbst zu versorgen und auch die eigenen Grenzen und Schwächen kennenzulernen, um schließlich zu einer realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten zu gelangen.
Diese Funktion fällt häufig dem Vater zu, der in den ersten Lebensmonaten nach und nach an Bedeutung gewinnt. Man nennt diesen Vorgang des Hinzutretens des Vaters in die ursprünglich dyadische Mutter-Kind-Beziehung Triangulierung. Durch die Erweiterung der Zweier- in eine Dreierbeziehung, kommt es zum sogenannten Ödipuskomplex (nach der griechischen Sage von Ödipus, der unwissentlich seinen Vater ermordete und seine Mutter heiratete): Der Sohn möchte die Mutter, den bisherigen Dreh-und-Angelpunkt seiner Existenz, weiterhin für sich alleine haben und beginnt mit dem Vater um ihre Liebe zu konkurrieren. Ist die Beziehung der Eltern intakt, muss der Sohn erleben, dass die Mutter ihrerseits eigene Liebesbedürfnisse an den Vater hat und er mit dessen Männlichkeit nicht mithalten kann. Allerdings bietet der Vater auch die Möglichkeit an, sich durch die Hinwendung zu ihm ein Stück weit aus der existenziellen Abhängigkeit von der Mutter zu befreien. Orientiert sich der Sohn an seinem Vater, kann er lernen, was es heißt ein Mann zu sein, welche Stärken und Schwächen das mit sich bringt, wie man diese realistisch einschätzen und zielführend einsetzen kann. Die Niederlage im Konkurrenzkampf mit dem Vater erschließt dem Sohn den Zugang zu einer weiteren bedeutsamen Beziehungs- und Identifikationsfigur. Gelingt diese erste Triangulierung, wird der Ödipuskomplex bewältigt und der Sohn gewinnt die Fähigkeit, Rückschläge und Kränkungen zu verkraften, sich selbst realistisch einzuschätzen, sich in Gruppen zurechtzufinden und ein gesundes Mittelmaß zwischen der Durchsetzung eigener Bedürfnisse und dem Respekt vor denen anderer zu entwickeln.
All das gelingt Howard und Barney nicht. Beide phantasieren sich ein einseitiges, idealisiertes und völlig unrealistisches Männerbild zusammen, wahrscheinlich geprägt von medialen Klischees (wie dem Showmaster, den Barney für seinen Vater hält und den Superhelden, die Howard verehrt) und müssen ständig hart und immer wieder vergeblich darum kämpfen, dieses selbst zu erfüllen.
Gleichzeitig bleiben beide in der kindlichen emotionalen Abhängigkeit von ihren Müttern gefangen, was wiederum mit dem eigenen Selbstbild als Super-Mann völlig unvereinbar ist. Mit diesem Widerspruch gehen die beiden unterschiedlich um:
Barney idealisiert seine Mutter und blendet alle ihre negativen und amoralischen Seiten vollständig aus. Da er ihr absolute Reinheit und Sittlichkeit zuschreibt, geht er davon aus, dass sie diese auch von ihm erwartet und spielt ihr seinerseits ein klischeehaft heiles Familienleben vor.
Den Zorn darüber, sich noch immer von ihrem Urteil abhängig zu fühlen, das Minderwertigkeitsgefühl angesichts des eigenen Scheiterns an ihren (vermeintlich) hohen moralischen Ansprüchen und die Scham über ihren (von Barney unbewusst erahnten) liederlichen Lebenswandel, agiert Barney kompensatorisch an allen anderen Frauen aus, indem er diese verletzt, manipuliert und zu entmenschlichten Trophäen macht. Man nennt diesen Abwehrmechanismus Spaltung und er tritt nicht selten bei Männern mit ungelöstem Ödipuskonflikt auf, die, wie Barney, die Frauenwelt radikal in Huren und Heilige aufspalten.
Während Barney es durch Spaltung schafft, sich zumindest äußerlich von seiner Mutter abzulösen, bleibt Howard auch physisch im Einflussbereich der seinen gefangen. Vielleicht, weil er in der Betäubung der eigenen Selbstzweifel durch Männlichkeitsrituale (One Night Stands, Geldverdienen und jeder Art von Wettbewerb) so viel weniger erfolgreich ist, als Barney. Die Welt außerhalb des mütterlichen Heims ist für ihn tatsächlich härter und verletzender. Das Gefühl des Säuglings, ohne die Mutter ein Nichts zu sein, ist in seinem Leben deutlicher präsent, wenngleich es unbewusst auch Barney um- und antreibt.
Da es Howard nicht gelingt, seine Mutter zu verlassen, kann er sie auch nicht aus sicherer Distanz idealisieren. Vielmehr bringen ihn ihre ständige Einmischung und die Tatsache, dass er selbst zu schwach ist, sich gegen diese abzugrenzen, andauernd zu Weißglut.
Eine ähnliche Ambivalenz (Abhängigkeit vs. Abneigung) dürfte auch seine Mutter quälen: Einerseits ist sie enttäuscht darüber, dass ihr Sohn ein undankbares und verwöhntes Muttersöhnchen geblieben ist, andererseits scheint sie große Angst davor zu haben, dass er sie eines Tages doch verlassen könnte (wie es sein Vater bereits getan hat), was für sie, als körperlich unattraktive und sozial äußerst ungeschickte Person, wohl ein Leben in völliger Einsamkeit bedeuten würde. So können Howard und seine Mutter nicht ohne-, aber auch nicht gut miteinander, führen das Leben eines zänkischen alten Ehepaares und geben jeweils dem anderen die Schuld dafür.
Die Lösung für Barneys und Howards Probleme mit dem Mann-Sein erscheint, oh Wunder, in Frauengestalt: Robin ist weder Hure noch Heilige. Sie bietet Barney die Stirn, gibt ihm Raum für seine wahren, sentimentalen Gefühle, schätzt und teilt aber auch einige seiner forciert männlichen Marotten.
Der (innerlich und äußerlich) kleine Howard darf sich bei der (äußerlich) noch kleineren Bernadette als ganzer Kerl fühlen, die zudem (innerlich groß und stark) an seiner statt seine übergriffige Mutter in die Schranken weist.
Also, Ende gut, alles gut?
Oder hat Tyler Durden aus dem Film Fight Club recht: „Wir sind eine Generation von Männern, die von Frauen groß gezogen wurde. Ich frage mich ob noch eine Frau wirklich die Antwort auf unsere Fragen ist“?


Weiterlesen

Das Böse in House of Cards & The Shield

Francis „Frank“ Underwood aus House of Cards und Detective Vic Mackey aus The Shield – Gesetz der Gewalt verbindet auf den ersten Blick nicht viel. Hier der aalglatte Spitzenpolitiker, stets in Anzug und Krawatte, dort der raubeinige Cop, laut, aggressiv und respektlos. 

Bereits der zweite Blick offenbart jedoch eine Reihe von Gemeinsamkeiten: Jeder der beiden ist in seiner Welt (der des politischen Establishments und der des Polizeiapparates und der Straßengangs) bewundert und gefürchtet zugleich. Sowohl Frank als auch Vic sind in höchstem Maße berechnend, kaltherzig, gierig und manipulativ. Nichts und Niemand scheint ihnen heilig zu sein. Prinzipien wie Personen verraten sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Das schlechte Gewissen, der innere Konflikt zwischen egoistischen Bedürfnissen und allgemeingültigen Moralvorstellungen, welcher viele Film- und Seriencharaktere stellvertretend für uns umtreibt, spielt für Frank und Vic keine Rolle. Sie lügen, drohen, erpressen und morden mit schockierender Gleichgültigkeit. Sie verfolgen ausschließlich ihre persönlichen Ziele und stellen diese ganz selbstverständlich über alles andere. Frank selbst formuliert es so: „Der Weg an die Macht ist mit Heuchelei gepflastert und Kollateralschäden. Kein Platz für Reue!“
Diese Kombination aus Narzissmus, Dissozialität, Aggression und Misstrauen gegenüber anderen wird als Maligner Narzissmus bezeichnet. Maligner Narzissmus ist eine spezielle und seltene Variante der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die zwar deren Kriterien erfüllt, aber darüber hinaus noch die zusätzlichen Merkmale Dissozialität, Aggressivität und eine misstrauische Grundhaltung voraussetzt.
Für die Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung müssen nach der internationalen Klassifikation psychischer Krankheiten (ICD-10: F60.80) mindestens fünf der folgenden Kriterien vorliegen:
  • Gefühl der eigenen Grandiosität und Wichtigkeit 
  • Phantasien von Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe 
  • Überzeugung besonders und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder wichtigen Menschen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu müssen
  • Bedürfnis nach exzessiver Bewunderung 
  • Anspruchsdenken und Erwartung bevorzugter Behandlung 
  • Ausbeuterische Haltung in zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Mangel an Empathie
  • Neid auf andere und/oder Überzeugung, von anderen beneidet zu werden
  • Arrogante und hochmütige Verhaltensweisen oder Ansichten
Frank Underwood und Vic Mackey erfüllen den Großteil dieser Kriterien. Beide fühlen sich ihren Kollegen und Konkurrenten überlegen und leiten aus ihrer idealisierten Selbstwahrnehmung das Recht ab, die eigenen Interessen (Frank: Macht; Vic: Macht und Geld) ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen. Beide idealisieren ihre Ehen und sind blind dafür, dass sie ihre Frauen, genau wie alle anderen, manipulieren und verletzen. Die wenigen Freundschaften, die sie pflegen (Frank: Freddy, Doug; Vic: Shane, Lem, Ronnie), bestehen ausschließlich zu Menschen, die hinsichtlich Status und Hierarchie unterlegen sind. Dies dient der Sicherung der eigenen Überlegenheit und der Bewunderung durch die weniger Privilegierten. Doch selbst diese werden fallengelassen, sobald es der eigenen Sache dient. 
Alle, die höher in der Nahrungskette stehen (Frank: Präsident Walker; Vic: Captain Aceveda), werden als unfähig erlebt, um ihre Position beneidet und mit allen Mitteln und ohne Mitleid bekämpft.
Neben der ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung, weisen Frank und Vic auch die weiteren Merkmale maligner Narzissten auf: Dissozialität, Aggressivität und Misstrauen. Erst diese Kombination macht ihren individuellen Narzissmus so maligne, so verheerend für ihre Feinde, Freunde, Kontrahenten und Familien.
Die ausgeprägte Dissozialität (d.h. Gleichgültigkeit gegenüber sozialen Normen und Gefühlen anderer) bewirkt, dass es nicht bei Neid- und Hassgefühlen auf all jene, die die eigene Grandiosität nicht anerkennen oder den eigenen Zielen im Wege stehen, bleibt, sondern dass diese auch aktiv, unter Missachtung jeglicher gesellschaftlicher Regeln, bis aufs Blut bekämpft werden, wobei sich ein hohes Maß an Aggressivität zeigt: Jeder (vermeintliche) Angriff wird massiv vergolten, jede kleinste Provokation heftigst erwidert. Bei Kränkungen wird impulsiv und unverhältnismäßig zurückgeschossen, nichts wird je vergessen oder vergeben.
Die hohe Kränkbarkeit hängt auch mit der per se misstrauischen Grundhaltung zusammen. Aus der eigenen Bereitschaft, jeden jederzeit dem eigenen Vorteil zu opfern, leitet sich die Erwartung ab, dass auch andere letztlich illoyal und ausschließlich auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Daher müssen alle Beziehungen durch Macht oder Manipulation kontrolliert und das Gegenüber in Angst, blindem Gehorsam und Abhängigkeit gehalten werden.
Beunruhigend an den Darstellungen des malignen Narzissmus in House of Cards und The Shield ist allerdings weniger die Tatsache, dass es solche Menschen gibt, sondern vielmehr, dass diese (zumindest für lange Zeit und mit verheerenden Folgen) erfolgreich und prägend in zentralen gesellschaftlichen Institutionen tätig sind. Es sieht sogar so aus, als wären es gerade die pathologischen Persönlichkeitsaspekte, die den Aufstieg und die Triumphe von Frank und Vic in oft zunächst ausweglos erscheinenden Situationen erst ermöglichen. Der maligne Narzissmus scheint einen Wettbewerbsvorteil gegenüber denjenigen darzustellen, die entweder durch Prinzipien, Anstand, Skrupel, Mitgefühl oder Gemeinsinn gebunden sind.
Die meisten von ihnen verzweifeln irgendwann an der Verdorbenheit des Systems, versuchen schließlich mit ebenso illegalen Mitteln zurückzuschlagen, scheitern aber an ihren auf diesem Gebiet überlegenen narzisstischen Kontrahenten und werden schließlich entweder von ihnen vernichtet oder stehen geschlagen und beschämt da. Dieses düstere Bild wird in House of Cards und The Shield bei weitem nicht nur von Politik und Polizei gezeichnet, sondern zeigt sich genauso in Medien, Gewerkschaften, Kirchen sowie sozialen und gemeinnützigen Organisationen.
Muss man also ein maligner Narzisst sein, um sich in den hierarchisch-bürokratischen Gesellschaftsstrukturen zu behaupten? Lässt der gesellschaftliche Leistungs- und Konkurrenzdruck die Menschen gar erst zu malignen Narzissten werden? (Immerhin wissen wir kaum etwas über Franks und Vics Vorgeschichten)
Oder ist es in echt gar nicht so schlimm, wie im Fernsehen…?
Weiterlesen

Game of Thrones & die vier Säfte



Die auf Hippokrates (460-370 v. Chr.) zurückgehende Viersäftelehre (auch Humoralpathologie genannt) bildet die Grundlage einer der ältesten Persönlichkeitstheorien überhaupt. Hippokrates nahm an, dass die Gesundheit und Funktionsweise des menschlichen Körpers durch vier Körpersäfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle) gesteuert wird. 

Später ging der griechische Arzt Galen von Pergamon im zweiten Jahrhundert n. Chr. davon aus, dass man die Menschen, je nach dem in ihrem Körper dominierenden Körpersaft, in vier Temperamentstypen einteilen könne (Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker). Über viele Jahrhunderte war die Temperamentenlehre fester Bestandteil der Medizin und Philosophie und wurde kontinuierlich erweitert. So wurden den Körpersäften im Laufe der Zeit neben Charaktereigenschaften auch Jahreszeiten, Elemente, Tiere, Sternzeichen, Himmelsrichtugen und vieles mehr zugeordnet. 

In der modernen Psychologie spielt die Viersäftelehre keine Rolle mehr, aber ihre historische Bedeutung als Wegbereiterin der Persönlichkeitspsychologie ist nicht zu unterschätzen, was sich auch an der Übernahme der Begriffe Choleriker, Melancholiker und Phlegmatier in unseren Sprachgebrauch zeigt. 

Darüber hinaus passt die Viersäftelehre mit ihrem esotherischen Charme gut in die mittelalterlich-phantastische Welt von Game of Thrones. Und tatsächlich können wir charakteristische Vertreter der vier Temperamentstypen in vier der großen Königshäuser entdecken. 
Der Typus des Sanguinikers wird als heiter, aktiv, selbstbewusst und mutig beschrieben. Diese Eigenschaften finden wir deutlich ausgeprägt bei Jaime und Tyrion aus dem Hause Lennister. Beide sind in der Lage, sich auch im Angesicht großer Herausforderungen Heiterkeit und Zuversicht zu bewahren. Sie kennen ihre persönlichen Stärken genau und setzen diese gezielt ein, um jede Situation zu ihrem Vorteil zu beeinflussen. Obwohl sie sich auch ihrer Schwächen wohl bewusst sind, sind sie stolz und selbstbewusst. Eigenschaften, die im Tierreich der Löwe verkörpert, der das Wappentier der Lennisters ist und auch in der Viersäftelehre dem Sanguiniker zugeordnet wurde. „Hört mich brüllen!“ ist ihr Wahlspruch, wobei es kein cholerisches (s.u.) Brüllen ist, sondern vielmehr ein gezielt-differenziertes Verbreiten der eigenen Stärken (bester Schwertkämpfer von Westeros; genialer politischer Stratege; „ein Lennister begleicht immer seine Schuld“) zur Festigung des eigenen Mythos. 


Die Lennisters sehen Krisen als Herausforderungen und haben stets die Hoffnung, am Ende zu triumphieren und die eigene Position verbessert zu haben. Gerade diese Eigenschaften finden sich auch bei Tywin. Er scheint vor nichts Angst zu haben und aus jeder Situation seinen Vorteil ziehen zu können. Auch er ist ein stolzer Löwe und brüllt gerne und laut um seinen Ruf zu festigen. Allerdings ist er dabei weniger heiter und offen gegenüber den Freuden des Lebens, als seine Söhne, und in diesem Punkt weniger typisch sanguinisch. Hier zeigen sich bei Tywin auch cholerische Züge. Insgesamt scheint das sanguinische Temperament nur den männlichen Lennisters eigen zu sein, denn Cersei hat eher melancholische Charakterzüge. 

Choleriker gelten als kühn, reizbar und unberechenbar. Wir benutzen den Begriff noch heute, um Menschen zu charakterisieren, die unbeherrscht sind und bereits bei Kleinigkeiten aus der Haut fahren können. Das Element der Choleriker ist das Feuer: heiß, schwer zu beherrschen und von großer zerstörersicher Kraft. Wir finden cholerische Charakterzüge bei fast allen bekannten Mitgliedern des Hauses Targaryen, die auch das Feuer in ihrem Wahlspruch „Feuer und Blut“ tragen. Aegon der Eroberer, der irre König Aerys, Viserys und auch Daenerys zeichnen sich allesamt durch hohe Impulsivität und verheerende Wutanfälle aus (einzig Rhaegar könnte von etwas milderem Gemüt gewesen sein). 

Dabei gehen sie nicht taktisch berechnend vor, wie die sanguinischen Lennisters, sondern reagieren spontan und gefühlsbetont. Ihre Gefährlichkeit resultiert nicht aus kriegerischer Finesse, sondern aus schierer Zerstörungswut. Deshalb waren die Targaryens nur solange unbesiegbar, wie sie Drachen hatten, welche als Kriegswaffen und auch als Wappentier des Hauses für ungezügelte Leidenschaft und unbändige Kraft stehen. Vermutlich war die Liebe zwischen Daenerys und Khal Drogo unter anderem deshalb so tief, weil auch die Dothraki von ausgesprochen cholerischem Temperament sind. 



Der Begriff der Melancholie ist uns auch heute noch geläufig. Melancholiker gelten als in sich gekehrt, traurig, resigniert, mit wenig Lebenslust und geringem Selbstwertgefühl. Der Melancholiebegriff ist ein Vorläufer unseres heutigen Konzeptes der depressiven Störung und bezeichnet somit nach modernem Verständnis eher einen vorübergehenden Gefühlszustand, als einen festen Charakterzug. Ein typisch melancholischer Charakter in Game of Thrones ist Stannis Baratheon. Er wirkt chronisch missmutig, gekränkt und unzufrieden. Er scheint kaum jemanden wirklich zu mögen und ist seinerseits wenig beliebt. Von Lady Melisandre scheint er eher abhängig, als ihr wirklich zugetan. Auch zu seiner Tochter, seinen Brüdern und dem ihm treu ergebenen Ser Davos kann er keine wirklich liebevollen oder freundschaftlichen Beziehungen aufbauen. Sein jüngerer Bruder Renly (der als einziger Baratheon ein eher sanguinisches Gemüt hat) sagt über Stannis: „Er erweckt weder Liebe noch Ergebenheit. Er ist kein König.“ Auch Stannis´ älterer Bruder Robert ist ein ausgemachter Melancholiker, was allerdings weniger deutlich zu Tage tritt, weil er seine Melancholie in Alkohol ertränkt und im Rausch mit cholerisch anmutenden Impulsdurchbrüchen überkompensiert. 
Der Wahlspruch der Baratheons ist „Unser ist der Zorn“, aber der Zorn ist selten ein cholerischer (wie der Zorn der Targaryens), sondern vielmehr ein stiller, verbitterter und resignierter. Die Baratheons kämpfen nicht, um etwas zu gewinnen (wie die Lennisters), sondern nur noch um ihre Kränkungen zu sühnen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben haben sie aufgegeben, es geht im Krieg nur noch darum, den Feind den eigenen Schmerz fühlen zu lassen. In ihrem Wappen tragen die Baratheons den Hirsch, der dem Melancholiker schon in der Viersäftelehre zugeordnet wird. Er ist stolz und majestätisch, aber auch scheu und verletzlich und ein leichtes Opfer für Raubtiere wie Löwen, Wölfe und Drachen.

Phlegmatiker gelten allgemein als antriebslos, langsam, passiv und stur, aber auch besonnen und verlässlich. Diese Eigenschaften kennzeichnen vor allem die Oberhäupter des Hauses Stark. Sie sind plichtergeben und genügsam, ohne hochtrabende Ziele und besonderen Ehrgeiz. Ihre Herrschaftsinteressen erschöpfen sich an den Grenzen des Nordens. Eddard zwingen nur sein Pflichtbewusstsein und seine Loyalität gegenüber König Robert, sich in die Politik der Hauptstadt einzubringen. Und Robb strebt als einziger König nicht nach dem eisernen Thron, sondern kämpft wiederum nur aus Pflichtbewusstsein und Loyalität gegenüber seinem getöteten Vater. Beide sind einerseits zögerlich und wägen Entscheidungen lange ab, was ihre Verbündeten und Gefolgsleute zum Teil irritiert und verärgert. Andererseits sind sie, ist die Entscheidung einmal getroffen, stur und unnachgiebig und nehmen dafür jedwede Konsequenz schicksalsergeben in Kauf.
Auch der dritte Mann in der Stark´schen Erbfolge, Bran, zeigt phlegmatische Tendenzen, allerdings ist seine junge Persönlichkeit noch in der Entwicklung begriffen und weist auch sanguinische und melancholische Züge auf. Ähnlich wie bei den Lennisters, sind auch bei den Starks nur die Männer Träger des charakteristischen Temperaments. Lady Catelyn ist eine ausgemachte Melancholikerin und Sansa scheint nach ihrer Mutter zu kommen. Arya hingegen hat starke sanguinische und cholerische Züge.



Den Phlegmatikern wird der Winter zugeordnet, den die Starks in ihrem Wahlspruch tragen: „Der Winter naht“. Als einziger Wahlspruch der großen Häuser von Westeros kündet dieser nicht von der Stärke oder Tugend seines Herrschergeschlechts, sondern benennt eine so allgemeingültige wie unumgängliche Tatsache. Er ist ein Appell an Demut und Gemeinsinn, die Eigenschaften der Starks, denn der Winter ist ein großer Gleichmacher in Westeros und bedroht Könige und Diener aller Häuser gleichermaßen. Die phlegmatische Haltung spricht überdeutlich daraus: Der Winter kommt, Du kannst ihm nicht entkommen und nicht gegen ihn ankämpfen, sondern ihn nur stoisch erdulden und bestenfalls überleben.

Die Menschen (in unserer Welt und in Game of Thrones) lassen sich nicht in vier starre Kategorien einteilen und der menschliche Charakter wird nicht von Körpersäften geprägt. Aber wir alle kennen Menschen mit sanguinischen, cholerischen, melancholischen und phlegmatischen Charakterzügen und wir alle finden diese Tendenzen in unterschiedlicher Ausprägung in uns selbst wieder. 
Was zu der Frage führt: Zu welchem Haus gehörst Du?!

Weiterlesen

Star Trek: Spock & Kirk

Die Star Trek Filme von J. J. Abrams, Star Trek (2009) und Star Trek Into Darkness (2013), rücken das Kennenlernen und die beginnende Freundschaft der beiden Hauptcharaktere Captain James T. Kirk und Commander Spock in dem Mittelpunkt der Handlung.

Wenngleich die beiden eigentlich viel gemeinsam haben (Stolz, beruflicher Ehrgeiz, Verlust eines Elternteils, Schwäche für Lieutenant Uhura…), wird vor allem ihr unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Umgang mit Emotionen thematisiert und sorgt immer wieder für Diskussionen und Konflikte zwischen beiden.

Spock, der halb Mensch, halb Vulkanier ist, wurde nach vulkanischem Brauch erzogen. Wie wir von Spocks Vater lernen, haben Vulkanier nicht etwa keine oder weniger Emotionen als Menschen, sondern im Gegenteil, viel stärkere. Durch Wissen und Logik versuchen sie, ihre Emotionen zu kontrollieren, um nicht von ihnen kontrolliert zu werden. Die Indoktrination mit der vulkanischen Philosophie beginnt von klein auf, sodass Spock niemals lernte, Emotionen wahrzunehmen, zu differenzieren oder zu regulieren, sondern nur, sie radikal zu unterdrücken.

Diesen, von den Vulkaniern angestrebten Zustand kennt die Psychologie als psychopathologisches Symptom mit dem Namen Alexithymie, was so viel bedeutet wie Unfähigkeit zum Gefühlsausdruck.
Alexithymie kommt durch Verdrängung zustande. Verdrängung wiederum ist ein psychischer Abwehrmechanismus, mit dem sich das Ich vor unaushaltbaren Emotionen schützt, indem diese ins Unbewusste verdrängt werden. Verdrängung kann komplette Erinnerungssequenzen, z. B. traumatische Erlebnisse, betreffen, oder auch nur die Gefühle, die mit einem Erlebnis verknüpft sind. Im letzteren Fall spricht man auch von Affektisolierung. Diese liegt der Alexithymie zugrunde, bei der die Personen zwar über schmerzhafte Erlebnisse berichten können, aber scheinbar ohne emotionale Beteiligung.
Am Beispiel von Spock, der den Prozess der Verdrängung, welcher beim Menschen in der Regel unwillkürlich und unbewusst abläuft, aktiv trainiert und praktiziert, können wir beobachten, dass Verdrängung nicht mit vollständigem Vergessen oder Löschen gleichzusetzen ist. Spocks Emotionen (sowohl die aktuellen, wie auch die Erinnerungen an vergangene, besonders schmerzhafte) sind in den Tiefen seines Bewusstseins weiter vorhanden und können unvermittelt hervorbrechen, zum Beispiel wenn er provoziert wird.

Es wird deutlich, dass die Verdrängung von Gefühlen und die Fokussierung auf Logik und Rationalität Spocks Leistung im beruflichen Alltag verbessert und ihm dadurch kaum Fehler unterlaufen. 
Diese funktionale Komponente macht den psychischen Abwehrmechanismus der Verdrängung auch für uns Menschen so wichtig, da er uns ermöglicht, rational, konsequent und zielorientiert Leistung zu erbringen, wenn es sein muss, und unseren Affekten und Impulsen nicht ständig ausgeliefert zu sein.
Dies ist jedoch auf Dauer anstrengend und wenn es nicht gelingt, Ventile für die (vorrübergehend) verdrängten Gefühle zu schaffen (Genuss, Spiel, Entspannung, oder die bewusste Auseinandersetzung mit ihnen – aus vulkanischer Sicht allesamt unlogisch…), steigt der innere Druck und kann, wie bei Spock, zu umso heftigeren spontanen Gefühlsausbrüchen kommen, oder, wie häufig bei alexithymen Patienten, zu körperlichen Symptomen und Schmerzen infolge der psychischen Anspannung.

Darüber hinaus unterschätzt Spock die soziale Funktion von Emotionen. Seine radikale Affektisolierung, macht ihn für sein (menschliches) Umfeld suspekt, für Rivalen (Kirk) und Feinde (Khan) berechenbar und für seine Freundin (Uhura) unnahbar. Indem er den Kontakt zu seinen Gefühlen blockiert, trennt er die Verbindung zu seinen Mitmenschen, die zu großen Teilen auf emotionsbasierter verbaler und nonverbaler Kommunikation beruht.
Erst als er anfängt zu seinen Gefühlen zu stehen und sie zunehmend zuzulassen wird er von den Seinen akzeptiert (offenbar auch von den Vulkaniern, denn schließlich wird er später deren Botschafter) und kann seine Feinde besiegen.

Wenn Spock (zunächst) das Extrem von Logik, Besonnenheit und der Unterdrückung von Gefühlen verkörpert, stellt Kirk in diesem Punkt seinen diametralen Gegenpol dar. Rationalität und Reflektion sind seine Sache nicht. Häufig handelt er, anstatt nachzudenken und hört dabei auf sein Bauchgefühl.
In Ausnahmesituationen und angesichts scheinbar übermächtiger (aber selbst nicht rational handelnder) Gegner und aussichtsloser Lagen, hat er damit, dank maximalen Einsatzes, hohen Risikos und des Überraschungsmoments oft Erfolg.
Allerdings ist auch er in seinem Verhalten wenig flexibel und zeigt daher auch im Alltag ein von Emotionalität und Impulsivität geprägtes Verhalten, welches ihn hier wiederholt in beträchtliche Schwierigkeiten bringt.

Es entsteht der Eindruck, dass Kirk Emotionen nicht nur nicht vermeidet, sondern im Gegenteil vielmehr ständig auf der Suche nach möglichst intensiven Erfahrungen und Gefühlen ist. Er ist das, was die Psychologie einen Sensation Seeker nennt. Ebenso wie bei der Alexithymie handelt es sich bei Sensation Seeking nicht um eine Krankheit, sondern um eine Verhaltenstendenz, die, je nach Ausprägung, mehr oder weniger Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionalität und des Wohlbefindens mit sich bringen kann.

Sensation Seeking kann sich beispielsweise anhand folgender Verhaltensweisen äußern:

  • Suche nach Spannung und Abenteuer durch riskante Aktivitäten wie z. B. Extremsport, schnelles Fahren etc.
  • Suche nach neuartigen, ungewohnten Erfahrungen, z.B. durch einen nonkonformistischen Lebensstil
  • Tendenz zur Enthemmung, z. B. durch promiskuitives Verhalten oder Rauschmittel
  • Unfähigkeit, Monotonie oder Langeweile auszuhalten


Kirk hatte bereits als Kind ein Faible für schnelle Autos und Regelübertretungen. Er pflegt ganz und gar nicht den Lebensstil, der allgemein für einen Sternenflottenoffizier als angemessen erachtet wird. Seine Freizeit verbringt er bevorzugt mit Saufen, Kneipenschlägereien und sexuellen Affären mit möglichst exotischen Geschöpfen anderer Spezies. Die Aussicht, bei irgendeinem gefährlichen Einsatz nicht an vorderster Front mitzumischen, scheint für ihn nahezu unerträglich zu sein.

Die Tendenz zum Sensation Seeking ist wahrscheinlich überwiegend genetisch determiniert. Sensation Seeker haben an sich ein eher geringes Grunderregungsniveau (im Gegensatz also zu Vulkaniern!) und benötigen daher starke äußere Reize, um ein angenehmes Maß an Stimulation zu empfinden (sonst drohen Unterforderung und Langeweile).

Hinzu kommt, dass Kirk ohne seinen Vater, dafür aber in dessen übermenschlich heldenhaftem Schatten aufgewachsen ist. Damit ist er von klein auf zum Heldentum verdammt, Mittelmaß und Normalität sind gleichbedeutend mit Versagen.
Dieser narzisstische Konflikt, der Beste sein zu müssen, oder sich als Versager zu fühlen, treibt Kirk beständig dazu an, Rekorde zu brechen, das Unmögliche zu versuchen, sich über Regeln und Wahrscheinlichkeiten hinwegzusetzen.
Da er als Kind nur eine Heldenschablone, aber keinen echten Vater hatte, der ihm Anleitung gab und Grenzen setzte, empfindet er, der zu Großem Geborene, das später fast immer als Kränkung und hat ständig Schwierigkeiten mit Autoritäten.
So ist Kirk mit seinem Alltag als Mitglied eines hierarchischen Militärapparates chronisch überfordert, während er in Ausnahmesituationen, welche die meisten Menschen vor Angst lähmen würden, zu Hochform aufläuft.

Der Streit zwischen Kirk und Spock darüber, ob der Weg des Bauchgefühls oder der Logik der bessere ist, bleibt letztlich unentschieden. Wichtiger scheint zu sein, dass sich beide im selben Moment der Grenzen ihrer jeweiligen Strategien bewusst werden: Als der Macher Kirk (am Ende von Star Trek Into Darkness) alles ihm Mögliche getan hat und alle retten konnte, außer sich selbst, wird er sich seiner Sterblichkeit und der Tatsache bewusst, dass er doch nicht über allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit steht und er bekommt, vermutlich erstmals seit langem, bewusst Angst. Von Spock, dessen Rationalismus sich über die Niederungen der menschlichen Gefühle erhoben zu haben scheint, will er wissen, wie man es schafft keine Angst zu empfinden, doch Spock muss in ebendiesem Moment erkennen, dass er gegen die Angst um seinen Freund, zu dem er nur unfreiwillig eine emotionale Bindung aufgebaut hat, ebenso machtlos ist.

In diesem Sinne können wir die Freundschaft zwischen Spock und Kirk und die Veränderung der beiden durch ihre Freundschaft, als Hinweis zum Umgang mit der uns allen eigenen, innerpsychischen Dialektik von Denken und Fühlen, von Verdrängen und Annehmen, von Reflektieren und Agieren sehen.

Es geht, könnten uns die Filme sagen wollen, nicht darum, die eine Position zugunsten der anderen gänzlich aufzugeben, so wie Kirk und Spock zunächst versuchen, über den jeweils anderen zu triumphieren und ihn so von der Überlegenheit des eigenen Ansatzes zu überzeugen. 
Vielmehr liegt der Schlüssel zum Erfolg darin, die Stärken beider Ansätze zu nutzen, ihre Grenzen anzuerkennen und sie situationsangemessen bestmöglich komplementär einzusetzen. Faszinierend!

Weiterlesen

Homeland: Carrie

Im Zentrum von Homeland steht die CIA-Agentin Carrie Mathisen. Carrie leidet unter einer bipolaren affektiven Störung (ICD-10: F31). Die Bezeichnung bipolar bezieht sich darauf, dass das Hauptmerkmal der Störung ein Wechsel zwischen den beiden Extrempolen affektiven Erlebens, Manie und Depression, ist.

Relativ viele Menschen, die unter Stimmungsschwankungen oder widersprüchlichen Gefühlen leiden, meinen sich in mehr oder weniger seriösen Beschreibungen der bipolaren affektiven Störung („himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt…“) wiederzufinden, also „manisch-depressiv“ zu sein. Tatsächlich sind aber die meisten Stimmungsschwankungen völlig normal und eine bipolare affektive Störung mit Krankheitswert recht selten.

In Homeland können wir dagegen viel über eine wirkliche bipolare affektive Störung lernen.

Diese ist zu einem bedeutsamen Anteil genetisch determiniert, das heißt, Angehörige von Erkrankten haben ein (Studien zufolge bis zu siebenfach) erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken. Diese Disposition hat Carrie von ihrem Vater geerbt. Allerdings wird nicht jeder Mensch mit familiärer Vorbelastung krank, Carries Schwester Maggie leidet beispielsweise nicht unter der Störung.
Warum bei gleichem genetischem Risiko ein Mensch erkrankt und der andere nicht, erklärt das psychologische Diathese-Stress-Modell. Es besagt, dass zur Disposition für eine bestimmte Erkrankung (Diathese) noch belastende Faktoren (Stress) hinzukommen müssen, um zum Ausbruch der betreffenden Krankheit zu führen. Je stärker die genetische Disposition, umso geringer die Stressschwelle und umgekehrt.

Im Verlauf der Serie erfahren wir, dass Carrie krank wurde, nachdem sie begonnen hatte, aufs College zu gehen. Für eine so ehrgeizige Person wie sie, dürfte das mit einigem Stress verbunden gewesen sein. Zudem hat sich an ihrem ersten Collegetag ihre Mutter von der Familie abgewandt und nie mehr gemeldet, worunter sie beträchtlich gelitten haben muss. Es gibt Hinweise darauf, dass der Weggang Carrie schwerer getroffen hat, als Maggie. Zunächst scheint Maggie die ältere zu sein, möglicherweise war sie bereits in ihrem Leben als Ärztin, Ehefrau und Mutter angekommen und gefestigt, während Carrie gerade erst auf dem Sprung zur Verselbstständigung und entsprechend irritierbar war. Darüber hinaus hat Maggie ein engeres Verhältnis zum zweiten Elternteil, ihrem Vater, der später auch bei ihr lebt. Möglicherweise hatte sie als ältere noch mehr „gute“ Jahre mit ihm, bevor er selbst krank wurde. In ihrem Beruf als Ärztin wird der Wunsch deutlich, für den kranken Vater da zu sein, während sie der Mutter nicht verzeiht, dass sie ihn verlassen hat.

Anders Carrie: Sie hat Verständnis für ihre Mutter, die es mit dem kranken Vater nicht mehr ausgehalten hat. Sie verdrängt auch ihre eigene Krankheit, welche sie mit den schwachen Seiten des Vaters verbindet, und sucht sich stattdessen in Person von CIA-Agent Saul einen Ersatzväter, der Macht, Stärke und Belastbarkeit verkörpert.

Die Verdrängung der eigenen Schwäche zeigt sich auch in Carries Lebensstil. Sie ist ein Workoholic und definiert sich selbst fast ausschließlich über ihren Beruf. Sie arbeitet viel, ernährt sich ungesund, trinkt zu viel, schläft zu wenig, nimmt ihre Medikamente unregelmäßig und ohne fachärztliche Kontrolle und hat keine stabilen, vertrauensvollen Beziehungen in ihrem Privatleben. Somit finden wir in Carries Alltag nahezu alle Stressoren, die den Ausbruch der Erkrankung begünstigen. Auch das unterscheidet sie von Maggie, deren Leben wesentlich beschaulicher und geregelter zu sein scheint.

Als die Belastungen immer größer werden und sie zudem ihre Medikamente absetzt, erlebt Carrie schließlich einen Rückfall. Dieser verläuft nach dem typischen Muster des Typs I der bipolaren affektiven Störung: Eine manische Phase gefolgt von einer depressiven Phase.

Carrie erlebt dabei das Vollbild einer manischen Episode, wie sie in der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10: F31.1) folgendermaßen definiert ist: Eine Periode abnormer und ständiger gehobener, überschwänglicher oder gereizter Stimmung, die mindestens eine Woche dauert und während der mindestens drei der folgenden Symptome vorliegen:

  • gesteigerte Aktivität, motorische Ruhelosigkeit
  • gesteigerte Gesprächigkeit, Rededrang
  • Ideenflucht oder Gefühl von Gedankenrasen
  • Verlust normaler sozialer Hemmungen, was zu unangemessenem Verhalten führt
  • vermindertes Schlafbedürfnis
  • überhöhte Selbsteinschätzung
  • Ablenkbarkeit oder andauernder Wechsel von Aktivitäten oder Plänen
  • Tollkühnes oder leichtsinniges Verhalten, dessen Risiken die Betroffenen nicht erkennen
  • Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit

Zusätzlich können bei manischen Episoden psychotische Symptome in Form wahnhafter Ideen und Überzeugungen auftreten, also zum Beispiel Größen- und Verfolgungswahn oder Verschwörungsideen. Carries Theorien bewahrheiten sich zwar letztlich, wirken aber zunächst derart bizarr und unglaubwürdig, dass sie von ihrem Umfeld für wahnhaft gehalten werden.
Im Anschluss an die Manie verfällt Carrie in eine schwere Depression, wobei die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit dabei ein Stück weit auch dem realen Scheitern ihres Lebensentwurfs als nimmermüde, stets überlegene und einsam erfolgreiche Topagentin Rechnung tragen.

Carries psychische Störung spiegelt auch die emotionale Bipolarität ihres Umfeldes wieder. Der in einer als feindlich erlebten Welt manisch-getriebene CIA-Apparat kultiviert seinen Größenwahn, indem er zwanghaft Informationen und Daten sammelt, wahllos Menschen manipuliert und instrumentalisiert und sich über alle legalen und moralischen Grenzen erhebt. Aus dem Kampf um die eigene Daseinsberechtigung ergibt sich der Zwang zur Verbreitung und Rechtfertigung der eigenen Paranoia.
Doch am Ende jeder manischen Jagd auf einen Feind steht immer wieder die Depression. Weil der Feind zwar getötet wurde, aber Hass und Rachedurst der Gegenseite umso stärker brennen. Weil Rückschläge und Fehler nicht verziehen werden. Weil Erfolge von Oben vereinnahmt und Misserfolge dem Einzelnen angelastet werden. Weil Freunde sich als Verräter und Versprechen als Lügen herausstellen. Weil Böse gut und Gute böse sind. Weil letztlich jeder für sich selbst kämpft und alleine stirbt.

Zum Ende der ersten Staffel von Homeland stellt sich Carrie schließlich ihrer Krankheit, gesteht sich ihre Schwäche ein und lässt sich professionell behandeln. Zunächst mit Medikamenten, dann mit Elektrokonvulsionstherapie (EKT). Dabei werden durch Elektroschocks Krampfanfälle des Gehirns ausgelöst und in diesem antidepressive Botenstoffe freigesetzt und regenerative Mechanismen angestoßen. Im Kreise ihrer Familie, mit geregelten Arbeitszeiten, entspannenden Hobbys, Psycho- und Pharmakotherapie hätte sie wohl eine recht gute Prognose gehabt. Doch die Firma hat andere Pläne…

Weiterlesen

Fight Club & Zwielicht

SPOILERWARNUNG: Die Filme Fight Club und Zwielicht weisen, neben der großartigen Darbietungen von Edward Norton, eine Reihe weiterer Parallelen auf. Eine davon ist die überraschende Wendung zum Schluss, weshalb an dieser Stelle besonders empfohlen sei, zunächst beide Filme anzuschauen und erst danach die folgenden Ausführungen zur Psychopathologie der Hauptrollen zu lesen.

Beide Filme behandeln, jeweils anhand der von Edward Norton dargestellten Charaktere, das Thema gespaltene Persönlichkeit, oder, im psychologischen Fachjargon Multiple Persönlichkeitsstörung, welche nach IDC-10 (F44.81) wie folgt beschrieben wird:

  • Zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten innerhalb eines Individuums, von denen zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils eine in Erscheinung tritt
  • Jede Persönlichkeit hat ihr eigenes Gedächtnis, ihre eigenen Vorlieben und Verhaltensweisen und übernimmt zu einer bestimmten Zeit, auch wiederholt, die volle Kontrolle über das Verhalten der Betroffenen
  • Unfähigkeit, wichtige persönliche Informationen zu erinnern (zu ausgeprägt für eine einfache Vergesslichkeit)
  • Nicht bedingt durch eine hirnorganische Störung oder durch psychotrope Substanzen
  • Überzeugender zeitlicher Zusammenhang zwischen den Symptomen und belastenden Ereignissen, Problemen oder Bedürfnissen

Die multiple Persönlichkeitsstörung gehört zu den sogenannten Dissoziativen Störungen, wobei Dissoziation sinngemäß mit Abspaltung übersetzt werden kann und meint, dass eine Funktion, welche normalerweise in die psychische Gesamtstruktur integriert ist (z.B. Erinnerung, Wahrnehmung, Bewegung), sich plötzlich der psychischen Kontrolle entzieht, gleichsam von dieser abgespalten wird. Im Falle der multiplen Persönlichkeitsstörung sind ganze Persönlichkeitsanteile (mit jeweils eigenen psychischen Funktionen) von dieser Abspaltung betroffen.

In Fight Club spielt Edward Norton den namenlosen Protagonisten, der in der Rezeption häufig Jack genannt wird (im Bezug auf die Zeitschriftenartikel aus der Perspektive der inneren Organe einer Person namens Jack), und der wahrscheinlich die prämorbide Grundpersönlichkeit darstellt. Auf andauernde Gefühle von Sinnlosigkeit und Einsamkeit reagiert Jack zunächst mit heftigen Schlafstörungen (ICD-10: F51.0, Nichtorganische Insomnie), die ihn noch weiter an die psychische und physische Belastungsgrenze bringen. Die letzte Rettung für seine dem Zusammenbruch nahe Psyche ist die Dissoziation eines Persönlichkeitsanteils, den Jack bisher nicht ausleben konnte, wahrscheinlich aufgrund von Angst, Scham und einer Erziehung und Sozialisation, die Anpassung, Unterordnung und den Rückzug in eine materiell-private pseudoheile Welt propagiert haben. Dieser Persönlichkeitsanteil, gespielt von Brad Pitt, heißt Tyler Durden und verkörpert nach eigener Aussage „all das was du immer sein wolltest…„, was in erster Linie Autonomie, Impulsivität, aggressive und sexuelle Exzessivität und grenzenloses Selbstvertrauen bedeutet. Jack leidet, wie er in einer Szene berichtet, darunter, seinen Vater kaum gekannt zu haben und nur von Frauen erzogen worden zu sein. Mit Tyler lebt er sein idealisiertes männlich-kraftvolles Persönlichkeitsideal aus. Die Abspaltung dieses Persönlichkeitsanteils ist zunächst noch notwendig, weil Jack zu tief in seinen Ängsten und Unsicherheiten gefangen ist, um bewusst Veränderungsschritte einleiten zu können.

Ein ähnlicher Zusammenhang besteht im Film Zwielicht zwischen den beiden Persönlichkeitsanteilen Aaron und Roy (diesmal beide gespielt von Edward Norton), wenngleich sich zum Schluss herausstellt, dass, anders als es zunächst den Anschein hatte (und auch anders als in Fight Club), nicht der unsichere, ängstliche Aaron die prämorbide Grundpersönlichkeit verkörpert, sondern dass dieser eine bloße Erfindung des aggressiven und manipulativen Roy, der in Wahrheit doch nicht unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet, ist.

Zudem besteht ein Unterschied zwischen den beiden Filmen darin, dass Aaron und Roy nie gleichzeitig auftreten, was, wenngleich sich Roy als Simulant entpuppt, die realistischere Darstellung der multiplen Persönlichkeitsstörung ist, während die ausführlichen Dialoge zwischen Jack und Tyler eher an visuelle und akustische Halluzinationen erinnern, wie sie beispielsweise im Rahmen einer Paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F20.0) typisch sind und weniger bei multipler Persönlichkeitsstörung.

Ein anderes Störungsbild, welchem in beiden Filmen eine zentrale Rolle zukommt, ist die Dissoziale Persönlichkeitsstörung. Diese ist nach ICD-10 (F60.2) gekennzeichnet durch:

  • Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer
  • Deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen
  • Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen, obwohl keine Schwierigkeit besteht, sie einzugehen
  • Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, einschließlich gewalttätiges Verhalten
  • Fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung, insbesondere Bestrafung, zu lernen
  • Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen anzubieten für das Verhalten, durch welches die Betreffenden in Konflikt mit der Gesellschaft geraten sind

Sowohl Roy als auch Tyler erfüllen fraglos den Großteil der diagnostischen Kriterien, wobei in Fight Club, angesichts des massiven Zulaufs, welchen zunächst der Fight Club und später das Projekt Chaos haben, zusätzlich die Frage nach dem Ausmaß der unterschwellig vorhandenen, aber aufgrund gesellschaftlicher Normen unterdrückten, dissozialen Anteile in der (männlichen) Gesamtbevölkerung aufgeworfen wird.

Dies führt zu einer weiteren Gemeinsamkeit beider Filme: Die Darstellung (vermeintlich) dissoziativ gestörter Hauptcharaktere hat auch die Funktion des Hinweises auf dissoziative Elemente im gesamtgesellschaftlichen Geschehen.
In Zwielicht wird der simulierten Persönlichkeitsspaltung des wegen Mordes angeklagten Aaron/Roy die ihrerseits an Persönlichkeitsspaltung grenzende Bigotterie der herrschenden Klasse gegenübergestellt und die durchweg selbstsüchtigen, macht-, ruhm-, geldgierigen und perversen Motive der nach außen hin makellos anständigen Würdenträger aus Gesellschaft, Justiz und Kirche werden vorgeführt.
Fight Club thematisiert ausführlich die dissoziative Gefühlsabspaltung als Massenphänomen in einer Gesellschaft, die durch permanenten materiellen und medialen Passivkonsum und das axiomatische Gebot von Konformität und Selbstoptimierung in einem hypnotischen Zustand geduldeter Unterwerfung und Gefügigkeit gehalten werden soll, welcher wiederum (und hier schließt sich der Kreis) im eigensten Interesse der, in Zwielicht charakterisierten, herrschenden Minderheit sein soll.

Summa Summarum ist Roy ein kaltblütiger Mörder und Tyler ein Extremist und Terrorist. Einen Anstoß, dissoziative Phänomene im eigenen Alltagserleben wahrzunehmen und die Maximen der eigenen Lebensführung einer Überprüfung zu unterziehen, können uns die Filme dennoch liefern.

Weiterlesen